# taz.de -- Die Revolution ist vollbracht | |
Die Beatniks, wie sie sich nannten, predigten Ende der fünfziger Jahre ein | |
neues Lebensgefühl, bestimmt von Freiheit, freier Liebe und der Suche nach | |
individueller Erfüllung. Ihre bekanntesten Werke, darunter das Gedicht | |
„Howl“ von Allen Ginsberg und „On the Road“ von Jack Kerouac, sind län… | |
in die Literaturgeschichte eingegangen. Herbert Gold, 74 Jahre, ist | |
Schriftsteller und mit der Beatbewegung bestens vertraut. In seinem | |
Apartment in North Beach, dem Künstlerviertel San Franciscos, zog er ohne | |
Wehmut eine Bilanz. Ihn besuchte der 22jährige Student A. Maximilian | |
Stelzle. | |
taz: Sie kannten die meisten Künstler der Beatbewegung bereits aus ihrer | |
gemeinsamen Collegezeit an der New Yorker Columbia University. Was war Ihr | |
Eindruck von den Leuten, die sich in den Fünfzigern um Allen Ginsberg | |
scharrten? | |
Herbert Gold: In meinen Augen waren die Beatniks eine homoerotische Gruppe, | |
obwohl einige vermutlich heterosexuell waren. Jack Kerouac wandte sich | |
davon ab. Es machte ihn verrückt. Er konnte dieser Tatsache nicht ins Auge | |
sehen. Ich bin mir aber sicher, er hatte Sex mit Neal Cassady und Allen | |
Ginsberg, vielleicht auch William S. Burroughs. Allen Ginsberg dagegen war | |
ehrlich und sah dem direkt ins Auge. Ich kann mich an unsere Diskussionen | |
über Sex während unserer Collegezeit erinnern. Er sagte immer: Laß es uns | |
versuchen. Deswegen war die Beatbewegung eine sehr kleine Gruppe. | |
Es gab doch auch Frauen bei den Beatniks. Zum Beispiel Diane DiPrima? | |
Die wenigen Frauen, mit denen sie sich umgaben, wurden nie richtig | |
einbezogen. Die Beatniks haben zwar später eine bestimmte Frauenliteratur | |
beeinflußt, doch während der Bewegung waren sie nicht an ihnen | |
interessiert. | |
Allen Ginsberg und Jack Kerouac zählten zu den bekanntesten Künstlern unter | |
den Beatniks. Was zeichnete sie aus? | |
Der junge Jack Kerouac machte sich wie James Dean sehr gut im T-Shirt. Bis | |
er dem Alkohol verfiel und schließlich als verrückter, trauriger Mann | |
gestorben ist. Allen Ginsberg hingegen war ein phantastischer Organisator. | |
Er war nicht der spirituelle Vater, wie viele behaupten, vielmehr eine | |
spirituelle Mutter. | |
„On the Road“ von Jack Kerouac wurde eines der populärsten Bücher, das aus | |
dieser Bewegung hervorging. Welche Bedeutung hat dieses ständige | |
Herumtingeln der Beatniks? | |
Als 17jähriger trampte ich ein Jahr lang durch das Land, ohne mir jedoch im | |
klaren zu sein, daß diese Wanderjahre zu einer Mode wurden. Das war lange, | |
bevor es irgend etwas wie die Beatniks gab. Von einer zur anderen Küste | |
tingeln, nach Afrika, nach Europa, um etwas zu suchen. Das wurde zur | |
Gewohnheit. Auch dieses Fahren, dieses verrückte Fahren. Kerouacs beste | |
Schriften waren über die Magie des Reisens. Diese Menschen suchten etwas. | |
Ich denke, sie suchten sich selbst. | |
Können Sie dieses Etwas, nach dem die Beatniks suchten, genauer | |
beschreiben? | |
Sie wußten selbst nicht, was sie suchten. Sie sagten, sie suchen nach | |
Erlösung, nach Glückseligkeit. Stichwort: Zen-Buddhismus. Es war ein | |
mystisches Konzept. | |
Wollten die Beatniks ihre Unzufriedenheit mit der Spießigkeit der fünfziger | |
Jahre Ausdruck verleihen? | |
Ja, die Menschen kamen aus dem Krieg zurück mit dem Gedanken, Zeit verloren | |
zu haben. Sie dachten, sie müssen möglichst schnell ein Häuschen bauen, | |
einen dicken Schlitten erwerben und sich gesellschaftlich etablieren. Die | |
Beatniks wollten sich nicht in den Schraubstock des Spießertums einspannen | |
lassen. Die natürlich Folge war eine viel größere Bewegung – die Hippies, | |
auch wenn diese eine ganz andere Art hatten. | |
Hinter all den Phrasen – wie „Das Recht, unterschiedlich zu sein“ oder | |
„Minderheit gegen Mehrheit“ – konnte ich keine grundlegende Philosophie | |
finden. Hatte die Beatbewegung überhaupt so etwas wie eine Generalidee? | |
Keine, weil es keine gab. Aber weil die Beatniks sehr daran interessiert | |
waren, öffentlich in Erscheinung zu treten, versuchten sie sich eine | |
Philosophie zusammenzubasteln. Aber sie stimmten nicht einmal in der | |
Bedeutung des Wortes „Beats“ überein. Das erste Mal benutzte es John | |
Clellon Holmes, ein gemeinsamer Freund von Ginsberg und Kerouac aus unserer | |
Zeit an der Universität. Die erste Bedeutung lautete: Diese Menschen waren | |
müde, erschöpft. Dann versuchten sie zu sagen, sie fühlen den „beat“ wie | |
den Rhythmus der Musik. Später führten sie das Wort auf „beatitude“ | |
(Glückseligkeit) zurück. Sie hatten eine Art Dichtung, in der sie diese | |
Dinge zusammenführten: Wir sind Beat, wir fühlen den Beat wie den Rhythmus | |
des Blues oder der schwarzen Musik. Oder wir suchen Glückseligkeit, | |
Ekstase, Erlösung. Aber eine Philsophie hatten sie keine. | |
Bob Kaufman und Jack Kerouac würden vielleicht sagen, die Philosophie der | |
Beatniks sei, alles auszuprobieren, allem gegenüber offen zu sein, keine | |
Erfahrung abzulehnen. Das erklärt auch ihre sexuelle Freiheit. | |
Ich würde nicht sagen, daß sie eine Philosophie hatten. Vielmehr konnten | |
sie und die Generationen nach den Beatniks eine Philosophie in dem finden, | |
was sie taten oder was sich in ihrem Lebensstil äußerte. Aber nicht in dem, | |
was sie sagten oder wußten. | |
Aber es gab doch literarische Strömungen, die die Autoren der Beatbewegung | |
beeinflußten. | |
Manche, wie Ginsberg, waren Erbe der Rousseauschen Philosophie, die besagt: | |
Es ist gut, ein primitiver Wilder zu sein. Gregory Carsey übernahm von dem | |
englischen Schriftsteller Perca Bysshe Sheeley den Glauben, daß Kleinkinder | |
alles wissen und das Leben ein Prozeß des Vergessens des eigentlichen | |
Wissens ist. Sie glaubten, die kindliche Unschuld – damit meinten sie den | |
Willen offen für Erfahrungen zu sein – ist Wissen. Nach dem Motto: Wenn du | |
allem offen gegenüber stehst und alles erfahren willst, stirb jung und seh | |
schön aus im Sarg, dann bist du mit der Wahrheit auf Tuchfühlung. | |
Gerade bei den Jugendlichen heutzutage erlebt die Beatkultur eine | |
Renaissance, jüngstes Beispiel der Film „Naked Lunch“ über William S. | |
Burroughs. Was halten Sie von der Nostalgie? | |
Nostalgie ist kein produktives Gefühl. Sicher, Nostalgie ist ein Element | |
jeder Kunstrichtung. Aber die Nostalgie der jetzigen Jugend für die | |
glorreichen Tage der Beatwelt ist nicht produktiv. | |
Warum nicht? | |
Weil sie der Phantasie entspringt. Sie ist nicht Wirklichkeit. Ich traf | |
Kerouacs Tochter, die erst vor kurzem starb, auf einer Gedächtnisfeier für | |
ihren Vater. Ich erzählte, daß ich Jack von der Columbia Universität her | |
kannte, aber nicht sehr gut. Sie schaute mich traurig an und sagte: Sie | |
kannten ihn besser als ich. Sie hatte ihn nur mehrere Male gesehen und ist | |
auch sehr jung an Drogen gestorben. Zwar mochte sie ihren Vater, aber die | |
Botschaft kann heute nicht heißen, diese Menschen als Modelle zu nehmen. | |
Haben die Beatniks denn gar nichts hervorgebracht, was heute noch | |
nacheifernswert ist? | |
In einer Sache beeinflußten Jack Kerouac wie auch Henry Miller oder Walt | |
Whitman und andere amerikanische Schriftsteller, viele Menschen: Sie hatten | |
die Vorstellung, nicht in europäischem Englisch zu schreiben, sondern die | |
amerikanische Sache zu benutzen. Die Sprache, die die Menschen auf der | |
Straße gebrauchen. Dadurch wurde es Jack Kerouac möglich, etwas | |
auszudrücken. Dennoch: In „Big Sur“ beschreibt er, zu alt dafür zu sein, | |
als Tramper zu leben und immer noch auf dem Fußboden zu schlafen. An diesem | |
Punkt bekommt das Ganze einen traurigen Anstrich. Und jemandem | |
nachzueifern, der im Alter von Vierzig am Ende war, ist keine gute Idee. | |
Dank der Beatniks und der daraus hervorgegangenen Hippies haben die | |
Jugendlichen jetzt jede Freiheit. Sie brauchen nicht mehr rebellieren. | |
Viele fühlen sich aus diesem Grund ziellos. Verfallen sie nicht deshalb in | |
Wehmut? | |
Ja, aber das macht keinen Sinn. Diese Revolution ist vollständig | |
vollbracht. Zurückzugehen und eine Revolution in Anspruch zu nehmen, ist | |
sinnlos. | |
Welche Ziele schlagen Sie denn vor? | |
Ich kann das natürlich nur für mich beantworten: Für einen Schreiber oder | |
Denker unserer Zeit stellt sich die Frage, was sind die Probleme unserer | |
Zeit, in meinem Leben, was kann ich dafür tun, welche Herausforderungen | |
gibt es. Es ist keine Herausforderung, zurückzuschauen, einen schwarzen | |
Rollkragenpullover zu tragen und sich über das Schlafen auf dem Fußboden zu | |
unterhalten. Die wirkliche Welt zu erforschen, das ist interessant. Was | |
sind die Grenzen, was die Möglichkeiten? Was kannst du tun, um den Nerv der | |
Zeit zu treffen? Gute Künstler nutzen die Ressourcen unserer Zeit. | |
Meinen Sie, daß die Nostalgiker die Art und Weise der Beatniks lediglich | |
imitieren? | |
Ja. Aber wenn es etwas von den Beatniks zu imitieren gibt, dann ist es | |
nicht ihre Art, sondern die wunderbare Unzufriedenheit mit dem Leben. | |
Also sollen die Jugendlichen heute... | |
Ich sage nicht, was sie sollen. Wir sollten etwas tun. Aber wir müssen | |
selbst herausfinden, was es ist. Denkt über das nach, was mit euch | |
passieren wird, wenn ihr älter seid. Was die Grenzen eurer Erfahrungen | |
sind. Welche Regeln ihr euch setzt. Wie ihr eure Möglichkeiten entfalten | |
könnt. | |
18 Apr 1998 | |
## AUTOREN | |
A. Maximilian Stelzle | |
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