# taz.de -- Fies, inkonsequent und unterhaltsam | |
> ■ Der einflußreiche Alt-Fluxus-Ego-Künstler Ben Vautier in der Weserburg | |
> und der Galerie Beim Steinernen Kreuz | |
„Die Hauptsache ist, daß ich kommuniziere.“Das ist einer von etwa 523 | |
selbstreferenziellen Sätzen Ben Vautiers, die zur Zeit in Guy Schraenens | |
kleiner, feiner Buchabteilung der Weserburg in liebenswerter Kinderschrift | |
notiert sind. Im abendlichen „Künstlergespräch“frönt Vautier eine volle | |
Stunde dieser „Hauptsache“mit wildem Armgewedele auf der Flipchart | |
(mindestens zehn Blatt Kunst umsonst für die Weserburg!) und einer | |
Stimmelodie, die gerne Achterbahn fährt. Als erstes kombiniert er gleich | |
mal raffiniert entwaffnende Ehrlichkeit mit dementierender | |
Hab's-nicht-so-gemeint-Ironie – bis zur dadaistischen Selbstnihilierung. In | |
seinem lustigen englisch-deutschem „Multisprech“klingt das so: „Meine | |
general idea: Ich wollte berühmt werden.“ | |
Überhaupt: Hinter jeder Kunst, von Giotto über Rembrandt bis zum | |
heißgeliebten John Cage, diagnosiziert er eine einzige große Triebfeder: | |
Der Wunsch aufzufallen. Darwinistisch gesprochen: Kunst als Waffe im Kampf | |
ums Überleben. „Ego is behind all art.“Das künstlerische Erfindung | |
entspricht dem rote Kamm beim Hahn: Ein Mittel um die Hennen dieser Welt zu | |
erobern. Eine Theorie, die man leicht als kunst- und menschenverachtend | |
mißverstehen könnte, wären da nicht Vautiers Beteuerungen, alle Menschen – | |
wie komisch auch immer – zu lieben, wäre da nicht seine tiefe Bewunderung | |
für Duchamp, Picabia, Cage, George Brecht – und einen gewissen Irgendwas | |
Flint, der die Vernichtung der Menschheit durch gezieltes Anlocken | |
feindlicher Marsmenschen betreibt. | |
Trotz solch eigenwilliger Menschenliebe ist Vautiers Herleitung des Wandels | |
aus Biologie und Psychologie falsch. Änderungen in der Kunst, den | |
Wissenschaften etc. werden wohl meistens durch Änderungene der objektiven | |
Verhältnisse erzwungen. Selbstbestätigungsbedürftige Egos sind vermutlich | |
eher Mittel oder Medium des vorwärtsdrängenden Weltgeistes als dessen | |
Macher. Und es soll sogar auch Egos geben, die aus Überzeugung handeln. | |
Nicht absprechen kann man Vautier aber jede Menge wunderbarer Apercus am | |
Rande: „Auch das Verweigern von Neuem ist eine Neuerung.“Oder: „Yves Klein | |
und Kandinsky waren radikal in ihren Anfängen. Was dann kam war | |
Verwässerung.“ | |
Heikel wird es allerdings, wenn Vautier sein geliebtes „Neues“definiert. Er | |
nennt es „multiethnische Vision“. Alle Ethnien sollen ihren Beitrag zu | |
einem „Museum der Humanität“liefern, Aborigenes genauso wie Basken und | |
Plattdeutsche. Schließlich sind wir alle gleich weit entfernt von der | |
„Höhle von Lascaux“, jeder eben auf unterschiedliche Art und Weise. | |
Komisch, daß es ausgerechnet immer Bewohner des global village sind, die | |
sich für Minderheiten stark machen. Sie selbst sind längst nicht mehr | |
Gefangene einer Stammesmoral und -ästhetik. Doch die anderen sollen ruhig | |
in ihrer engen Begrenztheit weiterwurschteln; als hätte da jemand Angst, | |
auf die Wahl zwischen Pizza und Sushi verzichten zu müssen. Die Folge: Der | |
Norddeutsche müßte Tag und Nacht Kohl und Pinkel essen, statt | |
amerikanisch-monochrom zu malen. „You must fight to come back to be | |
plattdeutsch!“Unter dieser Ironie lauert Ernst. | |
Jedenfalls fordert Vautier das Recht jeder Sprachgemeinschaft auf | |
politische Autonomie; er findet Singvogeljagd und Stierkampf in | |
Südfrankreich gut, aber Witwenverbrennung in Indien schlecht, weil | |
Brauchtum seine Grenzen hat - im Lebensrecht anderer Menschen; dabei | |
erlaubt sich der Nizzabewohner mit irischer Mutter, ägyptischer Kindheit | |
und Schweizer Paß selbst, im ethnienfreien, abendländischen Kunstraum | |
zwischen Duchamp und Cage metazureflektieren und zu flanieren. Das ist fies | |
und inkonsequent – und äußerst unterhaltsam. | |
Etwa ein Drittel des Vortrags-Publikums ist fest entschlossen, Vauties | |
Mixtur aus Botschaft und Joke als unverbindliche Pausenclownerie | |
aufzufassen. Man schmunzelt amüsiert; auch dann noch, als Vautier längst | |
über das Selbstbestimmungsrecht von Jugoslawen, Nordiren und Basken | |
spekuliert. Sind sie nicht putzig diese Fluxuskünstler? Und sind wir nicht | |
liberal und locker drauf, daß wir so ungezwungen lachen können über den | |
ego-istische Kunstbetrieb und überhaupt? Die dadaistische | |
Verwirrungsstifterei ist längst vom Betrieb aufgesogen – als Ulk. Vautier | |
signiert ein Plakat nach dem anderen für raffgierige Besucher – könnte ja | |
später mal viel Wert sein. Niemand kann mehr genau sagen, wer hier wen | |
veräppelt. | |
Genau zu sagen ist hingegen, daß Vautier gerne die Unwichtigkeit seiner | |
Hauptsache Kommunikation kommuniziert. „Viel Papier“, „zuviel Kunst“oder | |
„The game is easy“wirft er mit lustvollem Defätismus ein. | |
Einer, für den die Kunst ein Spiel ist, steht natürlich auf Spielsachen, – | |
auch solchen aus rosa und hellblauem Plastik. In Brigitte Seinsoths | |
„Galerie Beim Steinernen Kreuz“ist eine ganze Sammlung reisefertig in einem | |
Koffer verstaut. Und alles pieps, robbt und klingelt auf Knopfdruck. Und | |
zwar zu Ehren von Buren, Spoerri, Cage, Vostell und anderen | |
Fluxus-Genossen. „Something is always happening.“Klar, wenn man es | |
versteht, das Knacken eines Lichtschalters zu genießen. Mit | |
Plastilinklumpen oder Überkopfhängungen paraphrasiert Vautier unsere Heroen | |
Cezanne, Picasso, Bacon, van Gogh - so lange, bis sie ohne hierarchische | |
Unterschiede neben Kaleidoskop, Kreisel und Wasserkocher im Sonderangebot | |
für 9,99 Mark existieren. Alles ist gleichwertig. | |
Das leidenschaftliche Sammeln von Alltagsgeflunkere des Abendlands könnte | |
man tatsächlich als Ethnologie betrachten. Toleranz, Ironie und Hang zum | |
Selbstspott auch. Eigentlich aber wäre es schön, wenn solche Haltungen | |
universelle Gültigkeit hätten. bk | |
Galerie B.S.K., Beim Steinernen Kreuz 1, bis 20.6. | |
27 Apr 1998 | |
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