# taz.de -- Die Woche mit Guildo | |
> Der „Meister“ macht Platz sieben – und gratuliert der Israelin Dana | |
> International mit einer Verbeugung. Die Fans in Birmingham sind glücklich | |
> über ihr „so ganz normales“ Idol ■ Aus Birmingham Jan Feddersen | |
Guildo Horn hatte schon vor dem Abend beteuert, allen den Sieg zu gönnen, | |
„mir auch“. Als schließlich alles vorbei ist, kurz vor elf Uhr Ortszeit in | |
Birmingham, als in der National Indoor Arena die fünftausend Zuschauer und | |
im Radio die BBC den knappen Sieg der Israelin Dana International feiern, | |
beweist der deutsche Sänger, worin er sich schon während der gesamten Woche | |
geübt hatte: Ruhe. Gerührt sitzt er im Green Room, als Mazedonien, das | |
letzte der punktevergebenden Länder, der israelischen Sängerin den Sieg | |
bringt. Der erste Eurovisionssieg einer Frau, die früher ein Mann war und | |
ihren Triumph „meinem Land“ und „all the gay communities in the world“ | |
widmet. Die Angesprochenen jubeln. | |
Guildo Horn hat derweil noch Pflichten zu erfüllen: Er muß zum Vorplatz der | |
fünfzig Schritte entfernten Kneipe „The Malt House“. Da führt im wahrsten | |
Sinne des Wortes kein Weg dran vorbei. Ohne ein Bad in der Menge... | |
Unverzeihlich. Von dort hat der NDR seine Sendung übertragen, hier stehen | |
etwa tausend Fans. Sie schreien „Deutschland, Deutschland!“, scheinen nicht | |
im mindesten enttäuscht über den – zu diesem Zeitpunkt noch – achten Platz | |
unter 25 Beiträgen, rufen und schreien „Israel, Israel!“, schwenken die | |
Flagge mit dem Davidstern und fordern nach der Melodie des Schlagers | |
„Amarillo“: „Schalala- lala-lala-la – Guildo singt in Birmingham.“ Da… | |
er. | |
Auch jetzt wirkt es, als wäre der Mann, der früher sein Brot als | |
Sozialarbeiter für Behinderte verdiente, mehr besorgt um die, die sich | |
seinem „Kreuzzug der Liebe“ angeschlossen haben, als um sich selbst. Dabei | |
verhindert nur die kräftige Hand seines Managers Johannes Kram, daß Guildo | |
Horn auf dem Weg zum „Malt House“ in den Worcester & Birmingham Canal | |
fällt: Guildo hilflos, Guildo mehr schwebend als sicher auf seinen | |
Plateauschuhen. Er tut der Gemeinde nicht den Gefallen, sein Lied „Guildo | |
hat euch lieb“ nochmals anzustimmen: „Bitte, aber meine Stimme...“ | |
Statt dessen klettert er auf den Übertragungswagen des NDR, um von dort | |
oben kaum vernehmlich zu sagen: „Danke.“ Dann wird ihm von unten ein | |
Sweatshirt gereicht. „Grand Prix 1998 Birmingham“, versehen mit dem Bild | |
des „Meisters“. Der segnet das gute Stück und küßt es. Er weiß, was sich | |
gehört: Ein Kuß trennt ein schnödes Textil von einer künftigen Reliquie. | |
Das Shirt wird wieder nach unten gereicht. Dort nimmt es Stefan Howaldt aus | |
Lübeck entgegen. Und lacht: „Ein abgeknutschtes Sweatshirt, das bringt | |
achttausend Mark für 'n guten Zweck.“ Erst Stunden zuvor waren der | |
44jährige und drei Freunde vom „Vereinsgastronomie Party Service Lübeck | |
1876“ angereist, „midder Bahn nach Düsseldorf, dann mit 'n Fluchzeuch den | |
Rest“. | |
## „Der macht sein Ding, hat Spaß und wir auch“ | |
War doch klar: Guildo Horn mußte unterstützt werden, sagt sein Kumpel Frank | |
Kielreiter. „Guildo ist echt 'n Typ.“ Glaubt er auch, daß der Angebetete | |
alle liebt? „Ach, das 's doch nur Spaß“, sagt der Gastronom, der es sonst | |
mehr mit „Rock, so U2“ hält, früher mit seiner Oma Schlager gehört hat, | |
sich gerne an Nicoles Sieg beim Grand Prix erinnert: „Das war was, damals, | |
Falkland, so Frieden, das war doch wichtig.“ Aber danach hat er aufgehört, | |
an eine eigene Sprache des Popbusiness zu glauben, Schlager zu hören war | |
scheiße, „bis auf die alten Dinger, so Oldies“. Da mußte erst einer kommen | |
wie Guildo Horn, einer, sagt der Mann aus Lübeck, „den kannste nich' an die | |
Karre pissen“. Das könnte als vulgär mißverstanden werden – gesagt wird … | |
in einem Ton, der eher in Gasthäusern geläufig ist, roh und nett, | |
kumpelhaft, jedenfalls nicht aggressiv. | |
Frank Kielreiter meint vielleicht auch: Guildo Horn ist einer von uns, | |
einer, der sich nicht zur deodorierten Sangesschranze stylen läßt und „ganz | |
normal is'“. Das Idol bekommt von ihm höchstes Lob: „Der macht sein Ding, | |
hat Spaß und wir auch.“ Warum er und all die anderen auf Guildo abfahren, | |
weiß er nicht: „Is' geil.“ Niemand will diese Frage beantworten – Guildo | |
selbst hat darauf während der Probenwoche gesagt: „I don't think – I move.… | |
Der Meister denkt nicht – er geht einfach weiter. | |
Die Briten, die sich zu der Versammlung unter frühsommerlichem Himmel in | |
dieser Nacht gesellen, stimmen in die Chöre am „Malt House“ mit ein: | |
„Meista, Meista.“ Ihre Presse hatte noch vorige Woche über Horns Lied | |
geschrieben: „The most awful Euro- Song ever“, so der Sunday Express. | |
Jetzt, nach einer Woche, sind die Gehirne der einheimischen Medienleute | |
kräftig gewaschen: „Heißt Alle Guildo Herzlich Willkommen“, titelt die | |
Evening Post. Eine englische Zuschauerin meint: „Merkwürdige Deutsche, aber | |
wirklich ganz reizend und voller Witz.“ Eine ältere Frau attestiert dem | |
Mann, „ein Bühnentier“ zu sein: „He is great.“ Sie mag normalerweise M… | |
von Petula Clark, den Herman Hermit's oder Tom Jones. Guildo Horns Sottisen | |
(„I am a man of emotions“) versteht sie nicht, aber auch sie hat sich | |
infiziert: „Er hat mit mir geflirtet, eben gerade.“ | |
Nur einer trägt in dieser Menge ein Gesicht zur Schau, als gäbe es viele | |
Gründe, ihm zu kondolieren. Johannes Kram, der Mann, der Guildo Horn zwar | |
nicht entdeckte, aber seit sieben Jahren den Job eines Horn-Managers | |
innehat. Beide haben sich Anfang der neunziger Jahre in Trier | |
kennengelernt. Guildo Horn war da schon ein Geheimtip in der pfälzischen | |
Klubszene, eine sichere Bank für jedes Weinfest: deutscher Schlager im | |
Rocksound, Deutschmucke als Spaßmacher und mit gefühligem Ernst zugleich. | |
Auch in einer von den vier Kneipen Krams trat Horn auf – und der frühere | |
Jugendfunktionär der Schülerunion muß geahnt haben, daß da einer ist, der | |
Erfolg haben würde. Was Guildos Geheimnis ist, läßt Kram keine Sekunde | |
offen: „Er ist nicht künstlich. Er ist so, wie er ist.“ | |
Auch Kram kann nicht aus seiner Haut. Guildo Horn ist inzwischen der größte | |
Star im deutschen Popgeschäft. Trotzdem tut der studierte | |
Politikwissenschaftler immer noch so, als würden Horn und die | |
„Orthopädischen Strümpfe“ von den Medien unterdrückt. Immer trägt er ei… | |
saure Miene zur Schau: „Ich kann nicht abschalten“, gibt er zu, auch jetzt | |
nicht, als alle elektronischen Medien der Republik um den besten | |
Kameraplatz am „Malt House“ kämpfen. „Ich tanze auf einem ganz hohen Sei… | |
sagt der Mann, der für Guildo Horn offensichtlich gerne den Terrier gibt, | |
die gleiche Rolle, die in den siebziger Jahren im Fußball Katsche | |
Schwarzenbeck für Franz Beckenbauer ausfüllt: alle Angreifer abschütteln, | |
zur Not in die Waden beißend. Und doch meckert er: „Der NDR...“ Jeder | |
zweite Satz klingt wie ein Vorwurf – vor allem an die Adresse jener | |
deutschen TV-Station, die Horn zugleich emphatisch und seriös begleitete. | |
Beim NDR wußte man lange, daß man mit Horn in Birmingham auf der sicheren | |
Quotenseite stehen würde, und hat den gebürtigen Horst Köhler zum Muß auch | |
für die Kreise stilisiert, die gewöhnlich nicht in Weinzelte gehen. | |
Johannes Kram reicht das nicht: „Uns fehlen noch Karten für die Party | |
danach...“ Ja, das hohe Seil, auf dem zu tanzen nach dem Grand Prix | |
d'Eurovision schwerer wird: Was wird Horn in zehn Jahren machen? Wird sein | |
Stil zur Masche, mit der Geld gemacht werden kann und nur noch Geld? | |
Vorsorglich hat Kram seine Entourage aus dem Grand Hotel schon am Sonnabend | |
nachmittag auschecken lassen. Bloß kein von deutschen Fans belagertes | |
Hotel, keine Groupies im Foyer, kein „Nerv nach all dem Streß“. Nur Guildo | |
Horn scheint die Woche in Birmingham auf seine Art genossen zu haben. Ging | |
joggen, und niemand erkannte ihn. Kaufte ein, flog mal eben kurz zur | |
„Johannes B. Kerner“-Show nach Hamburg. Merkte am Freitag an, daß er nun | |
schon seit zwei Tagen kein Konzert mehr gegeben habe, „da hat man | |
Phantomschmerzen“. Freut sich über „den türkischen Sänger, der echt nett | |
ist“, beim Empfang der schwarzen Bürgermeisterin von Birmingham, Sibyll | |
Smith. Mit beiden plauderte er, als wären es Nachbarn, mit denen man gut | |
und gerne auskommen will. Ein Lehrstück in Unbefangenheit. Ärgerte sich ein | |
bißchen über die umständlichen Sicherheitsmaßnahmen beim Grand Prix. | |
Hoffte, „bald wieder zu Hause zu sein“. | |
## Merkwürdige Deutsche, aber ganz reizend“ | |
Immer ist er auf seltsame Weise der WG-Genosse von der Sorte, mit dem | |
selbst die Abrechnung der Telefoneinheiten kein Problem machen würde. Die | |
Boulevardmedien, „Blitz“ von Sat.1 beispielsweise, fühlen sich wie Johannes | |
Kram vom NDR mißhandelt. „Von Guildo 'n Schuß zu kriegen ist ja schwerer, | |
als nah an Kohl ranzukommen.“ Doch Manager Johannes Kram ist unerbittlich. | |
Nur die Bild-Zeitung bekommt exklusivere Nachrichtenbröckchen vom Hofe | |
Horns, der Rest muß sich mit Krümeln begnügen: „Guildo war heute im | |
Motorradmuseum und war ganz begeistert.“ | |
Der Mann, der eine volkstümliche Antwort ist auf alle Versuche, aus | |
deutschem Pop doitschen Pop zu machen, der wie ein Kind der | |
Willy-Brandt-Generation daherkommt, ficht der Trubel nur von ferne an. Er | |
mag seine Fans, er ist ihnen gerne nah, beim Konzert, überall – „aber ich | |
bin auch nur ein Mensch“. Vielleicht macht das seinen Erfolg aus: daß er | |
nichts spielt, sondern nur zeigt, was er ist. Und daß er keine Scheu vor | |
Gefühlen hat, vor Schweiß und der Leichtigkeit des Seins: „Schlager is | |
easy. It's not rock, not soul, not Blasmusi. It is all, what makes you all | |
together happy.“ | |
Kurz vor der Abfahrt zum Hotel guckt er einmal zur Seite, als die Meute | |
zehn Sekunden lang nichts von ihm will. Da schaut er wie ein Kind, das sich | |
schöne Weihnachten gewünscht hat und nun gar nicht glauben kann, daß es | |
noch besser wurde als erhofft. Seine Miene: gelöst. Am „Malt House“ wird | |
bis nachts um vier gefeiert. Die Lübecker werden in einem Hotel übernachten | |
und dann wieder nach Hause fahren. Mitnehmen werden sie den Hauptgewinn | |
einer Tombola und die Gewißheit, daß es sich gelohnt hat: „Das hat Spaß | |
gemacht.“ | |
Wann und wohin der Meister selbst in die Heimat zurückfliegt, ist ungewiß. | |
Guildo Horn will am Muttertag seine Mama besuchen, „mein Gang nach | |
Canossa“. Aber ganz privat. Wie immer: keine Homestories. So hat er es | |
gewünscht. Mittwoch hat er das nächste Konzert. Wo? Johannes Kram weiß es | |
nicht: „Irgendwo, ja, irgendwo.“ | |
11 May 1998 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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