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# taz.de -- Wo Kostedde den Berg kickte
> Wenn Fußball je ein proletarischer Sport war, bei den Offenbacher Kickers
> ist er es immer noch. Nun steht man vor dem Aufstieg in die zweite
> Bundesliga  ■ Aus Offenbach Klaus Teichmann
Über 20.000 Zuschauer waren auf dem Bieberer Berg, das Fernsehen hatte zur
Live-Übertragung aufgebaut – am Donnerstag hatten die Offenbacher Kickers
mal wieder ein Entscheidungsspiel. 3:1 wurde Borussia Fulda am letzten
Spieltag der Regionalliga bezwungen, der zweite Platz gesichert und die
Relegation um den letzten Platz in der 2. Bundesliga ergattert.
Die Analogie zum 1. FC Kaiserslautern drängt sich auf. Auch der OFC ist
abgestiegen, bis in die hessische Oberliga sogar, und dann wieder
aufgestiegen. Und wie der FCK ist man gleich im Aufstiegsjahr wieder
erfolgreich. Doch wie Lauterns Rathino sagen würde, ist dieser Vergleich
„Kokolores“. Die Kickers muß man nicht mit Größerem vergleichen. Der OFC
ist selbst. Und wie.
Immer im Angebot war und ist der Mythos. Bundesligist und Pokalsieger war
man, große Spieler kickten auf dem Berg, Skandale und Legenden ranken sich
um den OFC. Doch mittlerweile bietet das Team von Trainer Hans-Jürgen
Boysen auch auf dem Feld wieder etwas. Ohne große Stars holten die Keffels,
Grammingers und Roths in der Regionalliga Sieg um Sieg. Im Gegensatz zu
weitverbreiteten Liga-Gepflogenheiten hat der OFC keinen Altstar als
Integrationsfigur in seinen Reihen. Während in Ulm zu Beginn der Runde
Fritz Walter auf seinem Altenteil als Goalgetter und Zuschauermagnet
installiert wurde oder in Augsburg Ex-Nationalspieler Dieter Eckstein
wirbelt, wird hier der Fußball von den Spielern gearbeitet. Ein
Spielsystem, das zu Offenbach besser nicht passen könnte. „Fußball, den die
Leute hier sehen wollen“, sagt Paul Koutsoliakos, Libero, aber gerade
verletzt und darum auf den zweiten Teil seiner Doppelfunktion konzentriert
– Marketing-Manager.
Zum Mythos gehört auch Offenbach als Arbeiterstadt, hohe Arbeitslosenquote
inklusive. Der Schatten des benachbarten Frankfurt ist lang und nur selten
konnte er überwunden werden – 1959 hätte man es beinahe einmal geschafft.
Doch das Endspiel um die deutsche Meisterschaft ging mit 3:5 an die
Frankfurter Eintracht verloren. Die Bewohner der blitzenden Finanzmetropole
vereinnahmten Offenbach weiter als ein Vorort von Frankfurt. Mit viel
Anstrengung kommt bestenfalls die Assoziationsleistung „Statistisches
Wetteramt Offenbach“ zustande. Das unter Offenbach zusammengefaßte
Konglomerat aus grauer 50er-Jahre-Architektur und etwas Lederindustrie darf
als mäßig reizvoll bezeichnet werden.
Das Stadion am Bieberer Berg spiegelt davon einiges wieder – Fußball in der
Vormoderne. 24.000 Zuschauer passen in das baufällige Gebilde. Die
Anzeigetafel entdeckt man nur bei genauerem Hinsehen: Auf zwei Holzpfosten
ragt die mickrige Holztafel aus dem Gästeblock – manuelles Umstellen ist
angesagt. Die zwei mager funzelnden Flutlichtmasten wirken so verloren, daß
man glauben könnte, die anderen beiden seien gerade rücklings nach hinten
weggebrochen. Im durchgängig rustikalen Presseraum wähnt man sich hinter
verqualmten Uraltgardinen im miefigen Klubheim eines
Kaninchenzüchtervereins.
Doch inmitten dieser antiquierten Atmosphäre entsteht Einzigartiges: „Wir
gewinnen gerade den Uefa-Cup“, raunte ein OFC-Fan seinem Nachbarn während
des letzten Flutlichtspiels zu – 18.000 Zuschauer peitschen ihre Elf gegen
die Reserve des Karlsruher SC nach vorne. Inmitten eines orangefarbenen
Nebels und bei unglaublichem Lärmpegel steht das ganze Stadion. Auch auf
der Haupttribüne, sonst der Ort der Repräsentation und Distinktion, bleibt
niemand sitzen. Globalisierung hin oder her – bis nach Offenbach scheinen
einige Modernisierungsschübe nicht geschwappt zu sein. Wenn Fußball jemals
ein proletarischer Sport gewesen sein sollte, in Offenbach ist er es immer
noch.
Das wird auch erst einmal so bleiben. Lediglich die Flutlichtanlage will
der DFB im Falle des Aufstiegs überholt wissen. Der Rest steht auch in der
2. Liga, berichtet Marketing-Manager Koutsoliakos, der aus eigener
Erfahrung weiß, was ein reines Fußballstadion bei diesem Publikum wert ist.
Durchschnittlich 13.000 Fans kommen am „Eisernen Herman“ vorbei – einer
Bronzebüste, die das Gedenken an den Abwehrstrategen Herman Nuber wachhält,
der mit Erwin Kostedde und Rudi Völler zu den Berühmteren gehört, die das
Kickers-Hemd schon trugen. Auch in der hessischen Oberliga kamen im Schnitt
fast 5.000 Fans. Im letzten Jahr, bei den Aufstiegsspielen zur
Regionalliga, sucht auch Koutsoliakos nach dem Kristallisationspunkt für
die derzeitige OFC- Renaissance, denn „so was gab es noch nie“. Damals
traten zunächst im Spiel gegen den 1. FC Pforzheim 10 Kicker im
Elfmeterschießen an, um gerade einmal ein 2:1 zustande zu bringen. Und der
FC Memmingen führte 3:2 in der 86. Minute, aber dann fiel das Licht aus –
das Wiederholungsspiel gewannen die Kickers. „Vielleicht läßt sich so die
Euphorie erklären“, sucht Koutsoliakos nach Gründen.
Wo einst OFC-Präsident Canellas den Bundesliga-Skandal auslöste, drehen die
Kickers heute Rückstände gleich reihenweise um. Am Sonntag muß der OFC bei
den Sportfreunden aus Siegen antreten, bevor nächste Woche Hannover96 oder
Tennis Borussia Berlin auf dem Bieberer Berg aufkreuzen dürfen. Aber
OFC-Kapitän Oliver Roth weiß eines bereits jetzt: „Wir sind Kickers
Offenbach und geben niemals auf.“
23 May 1998
## AUTOREN
Klaus Teichmann
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