# taz.de -- Die Scham vor den Fotos der Leichen | |
> Frühmorgens brannte die Schule, Dutzende Studenten starben in den | |
> Flammen. Seitdem regiert das Mißtrauen: Eine Nachzeichnung der Genese von | |
> Bürgerkriegspsychose im Westen Ugandas ■ Aus Fort Portal Erhard Brunn | |
> und Nyakahuma Kamara | |
Es war der Tag vor dem „Heldentag“, dem 8. Juni, an dem in Uganda jedes | |
Jahr die seit 1986 regierende ehemalige Guerillabewegung „National | |
Resistance Movement“ ihren damaligen Sieg feiert. Für die Studenten des | |
Kichwamba National Technical Institute, angehende Techniker und Ingenieure | |
aus wohlhabenden Familien Ugandas, sollte es auch der Tag der | |
Abschlußprüfungen sein. | |
Es kam anders. Um 6 Uhr morgens umzingelte eine Gruppe von 40 Männern die | |
Hochschule, die am Fuße der Mondberge an der Grenze zwischen Uganda und der | |
Demokratischen Republik Kongo liegt. Die Männer waren Kämpfer der | |
Rebellengruppe ADF (Allied Democratic Forces). | |
„Die ADF-Guerillas zerschlugen die Fensterscheiben mit Gewehrkolben und | |
warfen Benzinbomben in die Schlafräume“, berichtet einer der wenigen | |
überlebenden Studenten, Joshua Kagoro. „Laken, Bettbezüge und Matratzen | |
brannten schnell. Wer noch versuchte, aus einem Schlafraum zu entkommen, | |
wurde erschossen.“ | |
32 Studenten, so die Regierung, verbrannten bei lebendigem Leib. Aber | |
selbst die Regierungszeitung New Vision spricht von 80 Toten. Unstrittig | |
ist, daß die kleine Armee-Einheit, die die Schule schützen sollte, sich in | |
kürzester Zeit kampflos davonmachte. Ugandas Präsident Yoweri Museveni | |
sollte sie später, als er den Ort des Geschehens besuchte, als „Verräter“ | |
und „Kollaborateure“ bezeichnen. | |
Schon am Vortag hatte es Gerüchte über einen Anmarsch von ADF-Rebellen | |
gegeben. Die Studenten verriegelten ihre Schlafräume und verbarrikadierten | |
sich, so wie es die Armee ihnen immer geraten hatte; manche suchten Schutz | |
unter ihren Matratzen. Es wurde ihnen zum Verhängnis. | |
ADF-Kommandant Henry Matuvo behauptete hinterher im US- Sender Voice of | |
America, die ADF sei ganz unschuldig, hätte gar keine Studenten verbrannt, | |
erschossen oder entführt. Dies sei alles erst geschehen, als sie längst | |
abgezogen waren. Und die, die dann mit ihnen gegangen seien, hätten dies | |
freiwillig getan. Dagegen spricht aber die Erinnerung des Bauleiters von | |
Kichwamba, Allan Kajoro, der weiß, daß die Rebellen Benzin mit sich | |
führten, als sie ihren Angriff begannen. | |
Der Westen Ugandas hat schon viele Morde an wehrlosen Zivilisten gesehen, | |
seit die ADF im Oktober 1996 aus den Bergen der Grenzregion herunterkam und | |
ihre Angriffe auf Dörfer startete. Fast immer entstammten die Opfer der | |
armen und anonymen Landbevölkerung. Die Nachrichten erreichten die Städte, | |
aber bewegten sie nicht. Kichwamba hingegen war anders. Das Massaker betraf | |
viele Familien, die es unter der Regierung Museveni zu etwas gebracht | |
haben. Das Kichwamba National Technical College ist führende technische | |
Hochschule Ugandas. Die Schüler kommen aus dem ganzen Land, auch aus der | |
Hauptstadt Kampala. | |
So wurde Kichwamba Ziel eines Tourismus des Grauens. Viele gute Bürger zog | |
es in den kleinen Ort 16 Kilometer außerhalb der Distrikthauptstadt Fort | |
Portal. Jeder wußte von verstorbenen Angehörigen, Freunden oder Bekannten. | |
Die sterblichen Überreste der Opfer wurden entsprechend langsam entfernt. | |
Der Distriktveterinär sagt: „Die Schädel waren so gründlich verbrannt, daß | |
sie mir in der Hand zerbröselten.“ Journalisten ließen ihre Kameras zu | |
Hause: „Ich konnte dort nicht fotografieren. Es waren doch meine Freunde | |
darunter.“ Amateure richteten ihre Linsen in die verrußten Schlafräume mit | |
den verbrannten Betten, zerrissenen Büchern und verkohlten Leichenteilen – | |
Filme, die sich mancher später scheut, vom Entwickeln abzuholen. | |
Father Ryan, seit 30 Jahren für die „Holy Cross“-Kirche in Uganda tätig, | |
konnte in seiner nächsten Predigt Gott nicht mehr finden: „An diesem Morgen | |
war Gott sicher nicht anwesend. Nicht in Kichwamba. Aber er war anwesend in | |
den vielen Zeichen der Anteilnahme in den Tagen danach.“ | |
Schnell konnten zum Beispiel die überlebenden Schüler aus Kichwamba in die | |
einzige andere renommierte technische Hochschule Westugandas übersiedeln – | |
das katholische St. Josephs College in Fort Portal, das weitgehend durch | |
deutsche Misereor-Gelder unterhalten wird. Dort konnten sie doch noch ihre | |
Semesterprüfungen ablegen, bevor sie in die Sommerferien entschwinden | |
durften. | |
Ugandas Vizepräsidentin Speziosa Kazibwe besuchte den Ort des Grauens noch | |
in der Woche der Tat. Vor laufenden Kameras verbarg die gelernte Ärztin | |
ihre Tränen nicht. Und doch, ihr Besuch hinterließ ein schales Gefühl: | |
Viele Menschen hatten den Präsidenten selbst erwartet. Museveni aber kam | |
erst zwei Wochen später, ging direkt zum Ort des Geschehens und dann gleich | |
wieder weg. Schon oft ist Museveni nach Massakern in die | |
Bürgerkriegsgebiete im Norden oder Westen Ugandas gereist und hat das | |
baldige Ende der „Rebellion“ verkündet. Diesmal verkündete er einfach den | |
Beschluß zum Wiederaufbau der Hochschule, die zum Polytechnischen Institut | |
aufgewertet werden soll. 800.000 Dollar gibt es dafür. | |
Die Soldaten, die in Kichwamba ihren Dienst versahen und vor dem | |
ADF-Angriff abzogen, sind inhaftiert und werden vor Gericht gestellt. Die | |
Armee steht unter Kritik: Viele Menschen in Kichwamba, darunter auch | |
Bauleiter Allan Kajoro, beschwören, daß sie den örtlichen Kommandeur am Tag | |
vor dem Massaker auf dem Schulgelände mit einer Frau zusammen gesehen | |
hätten, die sich am Folgetag als Wortführerin der Angreifer herausgestellt | |
habe. | |
Es gab auch Umbesetzungen in der Armeeführung. Brigadier James Kazini, | |
dessen Leistung im Kampf gegen andere „Rebellen“ im Nordwesten Ugandas von | |
Museveni als hervorragend beurteilt wird, übernahm das Kommando im Westen | |
des Landes und tat, was er seinem Vorgänger vorwarf, versäumt zu haben: Er | |
verlegte sein Hauptquartier erst in die Berge, so nahe wie möglich an die | |
Rebellen, dann über die Grenze hinweg in den Osten der Demokratischen | |
Republik Kongo. | |
Nach eigenen Angaben hat die ugandische Armee innerhalb des Kongo | |
inzwischen zehn ADF-Lager zerstört, darunter die Kommandozentrale. Bei | |
einem Treffen ugandischer und kongolesischer Armeeführer wurde am 18. Juli | |
eine Ausweitung der grenzüberschreitenden Operationen beschlossen. Das | |
allerdings dürfte schwierig werden, nachdem Kongos Staatschef Laurent | |
Kabila gestern offiziell Ugandas Regierung beschuldigte, sich mit | |
Panzereinheiten auf die Seite der Rebellion im Kongo geschlagen zu haben. | |
Teile des Parlaments, der Kirchen und der Medien in Uganda fordern ohnehin, | |
der Präsident solle endlich einsehen, daß diese Konflikte nicht mit Gewalt | |
zu lösen sind, sondern nur politisch – nicht zuletzt, weil die Armee | |
offensichtlich nicht einmal die Zivilbevölkerung richtig schützen kann. Die | |
Frage wird gestellt: Ist es nicht zuletzt der wieder stark gestiegene | |
Militärhaushalt, der Investitionen in für die Bevölkerung wichtige soziale | |
Bereiche unmöglich macht und der Guerilla weitere Hoffnungslose zutreibt? | |
Aus Regierungssicht besteht der Kern der ADF aus jungen radikalen Muslimen, | |
die unter anderem vom Sudan unterstützt werden. Diese Annahme wurde zuletzt | |
auch durch die Beobachtungen mehrerer Entführter bestätigt, die von der ADF | |
verschleppt worden waren und dann aus den Berglagern wieder fliehen | |
konnten. Vor dem Massaker in Kichwamba hatte die Geheimpolizei in der | |
Hauptstadt Kampala Dutzende von Muslimen unter der Beschuldigung der | |
Komplizenschaft mit den Rebellen verhaftet. | |
Doch stellen radikale Muslime auch die Mehrheit der ADF-Kämpfer? Wohl | |
nicht. Dafür steht ihnen das große Reservoir perspektivloser junger Männer | |
zur Verfügung, an denen der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung in Uganda | |
vorübergeht. Immer wieder kommt es vor, daß die Lokalbehörden in der Gegend | |
um Fort Portal tote Rebellen als „Jungs von nebenan“ identifizieren. | |
Geschickt stellt die ADF, von der kaum programmatische Äußerungen bekannt | |
sind, Kritik an den Schwächen der Regierung in den Mittelpunkt ihrer | |
Selbstdarstellung, porträtiert sich als Kämpfer gegen Korruption und | |
Vetternwirtschaft und für politischen Pluralismus. Propagandistisch | |
schlachtet sie alte Ressentiments zwischen verschiedenen Ethnien | |
Westugandas aus und bezeichnet Präsident Museveni zudem als „Ausländer“. | |
Musevenis Familie kommt zwar aus dem Westen Ugandas, doch in seiner Armee | |
kämpften lange Zeit ruandische Tutsi-Exilanten mit, die heute in Ruanda | |
regieren. Die ADF ihrerseits soll mit ruandischen Hutu-Milizen und | |
Restbeständen der geschlagenen Mobutu-Armee verbandelt sein. | |
Doch das Massaker von Kichwamba belegt, daß die ADF inzwischen weiter | |
ausholt: Sie wirbt Mitglieder unter dem zentralugandischen Buganda-Volk im | |
Zentrum Ugandas, dessen mächtige traditionelle Führer derzeit vor allem | |
wegen der jüngsten Landreform der Regierung mit Präsident Museveni im | |
Clinch liegen. | |
Bei ihrem Angriff versuchten die Rebellen, so berichten die Überlebenden, | |
Buganda-Studenten zu rekrutieren. Sie griffen bevorzugt die | |
Buganda-Schlafsäle an und forderten deren Sprecher auf, herauszukommen. | |
Daß, soweit bekannt, kein Buganda-Student ihnen folgen wollte, mag dann | |
dazu geführt haben, daß die Situation gekippt ist. | |
Für die Armee ist aufgrund dieser Aussagen unstrittig, daß die ADF | |
Kontaktpersonen in der Hochschule von Kichwamba gehabt haben muß. Woher | |
sonst konnten die Rebellen wissen, welche Schlafsäle welche Studenten | |
beherbergten, und woher hatten sie eine Liste mit den Namen der Sprecher | |
der einzelnen Schlafräume? „Könnte es nicht sein, daß die Situation der ADF | |
aus der Hand geriet?“ überlegt ein Augenzeuge. „Die Studenten zogen nicht | |
mit. Die Gefahr bestand, daß die Armee bald anrückt. Zwei gepanzerte | |
Armeefahrzeuge standen unweit des Geschehens.“ | |
Bis heute wird das Massaker von Kichwamba heftig diskutiert. Selbst Leute, | |
die sich sonst sehr zurückhalten, streuen inzwischen in der als sicher | |
geltenden Distrikthauptstadt Fort Portal Gerüchte über die Anwesenheit | |
Dutzender ADF-Sympathisanten. Das gesellschaftliche Vertrauen schwindet. | |
Und das ist wohl die nachhaltigste und zugleich die tückischste Auswirkung | |
dieses Massakers. | |
11 Aug 1998 | |
## AUTOREN | |
E.Brunn / N.Kamara | |
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