| # taz.de -- Und ständig auf Sendung | |
| > Denn das Leben ist eine Seifenoper: „The Truman Show“. Andrew Niccol | |
| > schrieb das Buch, das Peter Weir mit Jim Carrey in der Hauptrolle in | |
| > Szene setzte ■ Von Hans W. Korfmann | |
| Dieser Film ist ein Erlebnis, ein Abtauchen in die Welt der Bilder. Kino. | |
| Darüber hinaus aber erzählt er eine Geschichte. Trumans Geschichte. Die | |
| Geschichte des wahren Mannes in einer Scheinwelt. Und er erzählt gut. Denn | |
| obwohl die Geschichte dieses Films stets unterbrochen wird durch die | |
| Einblendungen des Publikums, des Regisseurs und durch das Durchscheinen der | |
| simplen Filmkulisse, obwohl unablässig deutlich gemacht wird, daß alles nur | |
| ein Spiel ist, folgen wir dieser Geschichte des Truman ebenso fasziniert | |
| wie das eingeblendete, ins Fernsehen starrende Publikum. Und sitzen da im | |
| Kinosessel plötzlich auch noch uns selbst gegenüber. | |
| Die sogenannte Truman Show in Peter Weirs gleichnamigem Film ist ein | |
| Nachfahr von „Dynasty“, ein Urenkel „Bonanzas“ und die Verlängerung der | |
| erfolgreichen „Seinfield“-Show, die über ein Jahrzehnt das amerikanische | |
| Publikum in die Fernsehsessel fesselte. Weir beleuchtet die Serienmanie | |
| eines Fernsehpublikums, die Sucht nach Fortsetzung und unendlicher | |
| Geschichte. Doch die Show ist im Film nicht nur unendlich, sie ist auch die | |
| absolute Lifeshow. Sie verfolgt das Objekt der Begierde 24 Stunden täglich | |
| und 30 Jahre lang. | |
| Sie zeigt dem von Hollywoods Traumfabrik übersättigten Publikum gerade | |
| nicht nur die spektakulären Ausschnitte aus dem wahren Leben, nicht die | |
| Life-Aufnahmen von der Flucht eines Doppelmörders auf dem Highway, | |
| Übertragungen von Gerichtsverhandlungen oder Exekutionen in die Wohnzimmer | |
| der Überlebenden. In der Truman-Show verfolgt die Kamera das wahre, | |
| alltägliche Alltagsleben auf Schritt und Tritt, keine Träne, kein Wort, das | |
| nicht der Öffentlichkeit preisgegeben würde. Wäre dieser Film nicht vor der | |
| Lewinsky-Affäre entstanden, könnte er als Plädoyer für den Präsidenten | |
| verstanden werden. So erscheint er als eine Vision mit einem hauchdünnen | |
| Vorsprung vor der Realität. | |
| Was Weirs Film neben diesen vordergründigen Ambitionen vom üblichen | |
| Hollywood-Geflimmer unterscheidet, ist das Gefühl für seine | |
| anachronistische Hauptfigur; diesen komischen Truman Burbank, den einzig | |
| Wirklichen, der einsam durch die Kulissen einer irrealen Welt irrt; in der | |
| die Nachbarn morgens gutgelaunt grüßen, die Arbeitskollegen ihm freundlich | |
| auf die Schulter klopfen, in der sogar der beste Freund und die Ehefrau | |
| nicht frei und wirklich sind. Alle versuchen ihrer Rolle lächelnd gerecht | |
| zu werden. Nach gesellschaftlichen Regeln, die der Protagonist sowenig | |
| versteht wie Dostojewskis unschuldiger „Idiot“ oder jene tragikomischen | |
| Helden der Weltliteratur, die in der längst geschlossenen Schublade | |
| sozialkritischer Romanzen verstauben und nicht mehr gesellschaftsfähig | |
| scheinen in einer Zeit, in der Witz und Kurzweil triumphieren. | |
| Doch, unterhaltsam sind diese 90 Minuten, voller Witz und Ironie, auch wenn | |
| das Lachen nur von kurzer Dauer ist und einem gerne im Hals stecken bleibt. | |
| Allein die Mimik des vermeintlichen Narren, überzeugend dargestellt von Jim | |
| Carrey, ist grandios. Das verzerrte Spiegelbild seines morgendlichen | |
| Begrüßungslächelns auf die ewig lächelnde Umwelt Amerikas ist urkomisch. | |
| Die kurzen Einblendungen der Fernsehzuschauer, die in der Badewanne, im | |
| Lokal, im heimischen Wohnzimmer die phantastische Geschichte von Truman | |
| Burbank verfolgen, sind so kraß überzeichnet, daß man sich jederzeit | |
| zurücklehnen und dem Lachen überlassen könnte – wäre die Geschichte nicht | |
| so fesselnd und fieberte man nicht längst mit diesem einsam kämpfenden | |
| Antihelden. | |
| Oder jene köstliche Szene, wenn der Regenmacher im Studio nicht richtig | |
| funktioniert und es nur auf diesen Hauptdarsteller regnet, während ringsum | |
| alles trocken bleibt. Das ist, als würde ein Scheinwerfer auf ihn | |
| gerichtet, als schicke Gott den Strahl der Erleuchtung in Form eines | |
| Regenschauers. Und in der Tat ist dies einer jener Momente, in denen es | |
| Truman dämmert, daß etwas faul ist im Staate Amerika. Doch ist dies nicht | |
| tragisch wie zu Shakespeares Zeiten, sondern nur noch komisch. Ebenso wie | |
| dieser Satz des gottähnlichen Regisseurs, bezeichnenderweise Christof, der | |
| sich am Ende erstmals über das Mikrofon an seinen Hauptdarsteller wendet. | |
| „I am the creator“ – verkündet die Stimme aus dem Himmel des gewaltigen | |
| Fernsehstudios und pausiert einen Moment, „of a television show!“ Oder wenn | |
| Trumans Schiff, mit dem er endlich die Flucht aus dem fiktiven Land | |
| Trumanomania antritt, plötzlich auf die Leinwand des Studios trifft, ein | |
| komisch-surrealer Moment, wie ihn nur das Kino produzieren kann. | |
| Obwohl Weir in die übervolle Trickkiste greift und gern auch mal ins | |
| Surreale der Filmwelt absticht, bleibt er dabei nüchtern. Im Sturm, als der | |
| allmächtige Christof Blitze in den Mast des kleinen Segelschiffchens, mit | |
| dem Truman flüchtet, einschlagen und turmhohe Wellen über ihm | |
| zusammenbrechen läßt, parodiert er den Untergang der „Titanic“. Die See | |
| verschlingt den Helden, die Hand ragt noch einmal aus dem Wasser und | |
| versinkt. Doch anders als im Kassenfüller überlebt der Narr an Bord. Und | |
| anders als in der sentimentalen Reinkarnation der „Titanic“, die | |
| stundenlang von einer Liebesgeschichte zehrt, braucht Weir bescheidene fünf | |
| Minuten, um zwischendurch noch kurz eine Romanze zu skizzieren, dramatisch | |
| und wunderbar, wie Liebesgeschichten im Märchenland eben sind. | |
| Im Märchenland glaubten sich sicher auch einmal die Bewohner des Städtchens | |
| Seahaven. Nun dürften sie Weirs „Truman Show“ mit gemischten Gefühlen | |
| betrachten. Denn die sterile, fiktive Stadt des Films, die Kulisse der | |
| Show, die wir anfangs einmal aus der Vogelperspektive sehen, ist | |
| paradoxerweise eine real existierende amerikanische Kleinstadt und kein | |
| Werk von Bühnenarchitekten. Während Hollywood Filmkulissen baut, um die | |
| Wirklchkeit darzustellen, nahm Peter Weir die Wirklichkeit, um eine | |
| Filmkulisse darzustellen. Und noch einmal verweist Weir auf dieses | |
| Zusammenwachsen von Schein und Sein in der Welt der Medien als zentrales | |
| Thema seines Filmes: Als Christof seinem Truman sagt: „Dort draußen, in der | |
| wirklichen Welt, wirst du nichts anderes finden als hier auch!“ | |
| „The Truman Show“. Regie: Peter Weir. Mit Jim Carrey, Laura Linney, Noah | |
| Emmerich, Natascha McElhone, USA 1998, 103 Min. | |
| 12 Nov 1998 | |
| ## AUTOREN | |
| Hans W. Korfmann | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |