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# taz.de -- Otto Franks zwei bis drei Annes
> ■ Ein Gespräch mit Buddy Elias, dem Cousin Anne Franks und
> Ex-Schauspieler am Bremer Theater: Wie aus einem Tagebuch der Bestseller
> schlechthin wird und sich Mädchen aus Griechenland für Anne Frank halten
Er ist ein elegant gekleideter älterer Herr, und schon beim Guten-Tag-Sagen
merkt man, daß er Schauspieler ist: Auf Einladung des Schnürschuh-Theaters
kam jetzt der in Basel lebende Buddy Elias nach Bremen. Elias ist ein
Cousin Anne Franks, die mit ihrer Familie ab 1942 über zwei Jahre in einem
Amsterdamer Hinterhaus untertauchen mußte und nach einem Verrat in die
Konzentrationslager Westerbork, Auschwitz und Bergen-Belsen verschleppt
wurde, wo sie im Frühjahr 1945 starb. Als Präsident des Anne-Frank-Fonds
entscheidet Elias darüber mit, was mit den Verkaufserlösen des Tagebuchs
geschieht. Der taz schilderte Elias, warum sich Annes Vater, der
Auschwitz-Überlebende Otto Frank, entschloß, dieses Buch zu
veröffentlichen.
taz: Wann waren Sie zuletzt in Bremen?
Buddy Elias: Irgendwann einmal zwischendurch. Aber ich war hier am Theater
von 1969 bis 1972 Schauspieler.
Das fällt in die legendären Jahre des Bremer Theaters.
Die Kurt-Hübner-Jahre!
Wie war die Atmosphäre damals am Theater?
Glänzend. Wir waren so was von aktiv. Wir haben vom Schwank über Klassik
bis zum Experimentellen alles gemacht. Ich kann mich nicht erinnern, jemals
vor einem leeren Haus gespielt zu haben. Die Leute freuten und amüsierten
sich. Bremen war für uns einfach ein wunderbarer Ort.
Sie leben heute in der Schweiz. Ihre Familie ist in den 30er Jahren dorthin
emigriert?
Nein, nicht emigriert. Wir haben Deutschland noch vor Hitler verlassen,
ganz legal. Mein Vater bekam die Vertretung einer deutschen Firma in der
Schweiz.
Haben Sie Anne Frank persönlich gekannt?
Ja natürlich, wir haben noch als Kinder zusammen gespielt. Wir hatten ein
sehr enges Familienverhältnis. Die Verwandten kamen oft zu uns in die
Schweiz und machten Urlaub bei uns. Im Tagebuch komme ich auch vor. Sie
nannte mich Bernd. Mein eigentlicher Vorname ist Bernhard.
War das damals, als Sie in Bremen Schauspieler waren, bekannt, daß Sie ein
Cousin von Anne Frank sind?
Es gab Leute, die es wußten, aber bekannt in dem Sinne war es nicht.
Es hat Ihnen kein neugieriger Journalist Fragen darüber gestellt?
Damals, nein, das weiß ich nicht. Doch später viel. Ich habe in meinem
Leben viele Interviews gegeben. Ich werde jetzt noch aus Australien,
Amerika und von überall her angerufen.
Und es sind immer die gleichen Fragen?
Mehr oder weniger. Ob ich Anne Frank gekannt habe, was sie für ein Mädchen
war, ob man damals schon gewußt hat, was daraus wird. Aber das macht
nichts, fragen Sie ruhig.
Welche Erinnerungen haben Sie an Anne?
Daß sie ein sehr lebendiges, lustiges, phantasievolles, vergnügtes Mädchen
war. Aber als ich als Junge noch mit ihr spielte, hat man natürlich noch
nichts von dem Talent gemerkt, das herauskam. Als der Krieg ausbrach, haben
wir noch korrespondiert, aber das waren Kinderbriefe. Ihr Talent hat sich
erst im Versteck im Hinterhaus entwickelt.
Haben Sie ein Gefühl, was aus ihr geworden wäre?
Schriftstellerin. Bestimmt. Das war auch ihr Ziel: Journalistin oder
Schriftstellerin.
Wie haben Sie in der Schweiz das ganze miterlebt?
Wir wußten von den Greueln, wir wußten von den Konzentrationslagern. Wir
wußten aber nicht, daß die Familie dort ist. Am Tag vor dem Untertauchen
hat Otto uns eine Karte geschrieben, daß wir uns nicht beunruhigen sollten.
Doch wir haben erst nach Ottos Befreiung das ganze Schicksal erfahren.
Wann hat er sich entschlossen, Annes Tagebuch zu veröffentlichen?
Erst wollte er es gar nicht. Er hat gesagt: „Das ist ein intimes Tagebuch
meines Kindes und geht niemanden etwas an.“ Aber dann hat er es ein paar
Leuten gezeigt, und die haben ihm gesagt, das müsse veröffentlicht werden.
Dann hat er sich erinnert: „Es war Annes Traum, daß etwas gedruckt würde.“
Aber erst, als ein holländischer Historiker einen kleinen Artikel schrieb,
hat sich ein Verleger gemeldet. Und dann wurde das Buch in 1.500 Exemplaren
gedruckt. Es war kein großer Erfolg am Anfang. Doch als es in Deutschland
herauskam, explodierte die Auflage. Heute ist es das meistgelesene Buch
nach der Bibel. Es geht jetzt an die 26 Millionen und ist in ca. 60
Sprachen übersetzt.
Wie hat Otto Frank auf diese Erfolgsgeschichte reagiert?
Er hat immer gesagt: „Ich habe zwei Annes – eine, die mir gehört, und eine,
die der Welt gehört.“ Das Technische und Verlegerische konnte er ganz gut
wegstecken. Aber es kamen ja tausende von persönlichen Briefen – meistens
von Mädchen, die sich mit Anne identifizierten. Und das hat Otto nervlich
sehr schwer verkraftet. Er hat sehr viel geweint. Es gab die
unglaublichsten Sachen. Otto und ich waren zu Hause, und ein Mädchen aus
Griechenland stand an der Tür und sagte: „Otto, Sie sind mein Vater, ich
komme zu Ihnen.“ Es gibt auch ein Buch von einer Amerikanerin, das unter
dem Titel „Alles Liebe, Otto“ auch auf Deutsch erschienen ist. Das ist eine
Amerikanerin, die Otto geschrieben hat. Otto hat ihr auch geantwortet, sie
müsse verstehen, daß er nicht mir ihr korrespondieren könne. Aber hat dann
doch über Jahre mit ihr korrespondiert.
Sie sind Präsident des Anne-Frank-Fonds?
Ich bin seit 1963 im Fonds, aber erst seit 1996 Präsident. Wir besitzen das
Autorenrecht. Wir bekommen das ganze Geld aus dem Buchverkauf und dem
Theater, und dieses Geld wird im Sinne Anne Franks wohltätig gespendet. Das
sind friedensfördernde und völkerverbindende Projekte und Kinderhilfe.
Zum Beispiel?
Eine unserer Hauptaufgaben ist der medizinische Fond für die Gerechten: Das
sind nichtjüdische Menschen im Osten Europas, die während des Holocaust
Juden geholfen haben. Die sind jetzt alt, viele sind krank und kriegen im
Osten nicht die Medikamente, die sie brauchen. Wir unterstützen Projekte,
in denen Palästinenser und Israelis zusammenarbeiten.
Haben Sie das Stück schon mal gesehen?
Ja oft.
Und Ihr Gefühl dabei?
Es kommt auf die Aufführung an. Es packt mich nur noch, wenn es gut gemacht
ist. Zuletzt habe ich es in New York gesehen. Aber da war eine sehr
merkwürdige Sache: Da spielte eine Schauspielerin, die war so blendend gut
und in den Pointen so komisch, daß die Leute geschrien haben vor Lachen. Es
kippte manchmal fast in die Komödie.
Was würden Sie Schülern in Deutschland, die sich mit der Shoah beschäftigen
wollen, außer dem Tagebuch empfehlen?
Sie brauchen keine Schuldgefühle zu haben. Aber sie haben eine
Verantwortung. Die Verantwortung dafür, daß so etwas nie wieder passieren
kann. Obwohl es immer wieder passiert. Fragen: ck
1 Dec 1998
## AUTOREN
ck
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