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# taz.de -- Verräter seiner Klasse
> Anfang 1959 begann eine sozialistische Erfolgsstory: Castro & Co.
> etablierten auf Kuba ein politisches System, das sich um das Wohlwollen
> der USA nicht scherte und dem Land einen gewissen Wohlstand brachte.
> Erläuterungen  ■ von Bert Hoffmann
Als die bärtigen Rebellen am 1. Januar 1959 in Havanna einzogen, herrschte
in den guten Stuben der kubanischen Mittel- und Oberschicht keineswegs
Panik. Fidel Castro war ja einer von ihnen. Sohn eines Großgrundbesitzers,
der seine Flitterwochen in New York verbracht hatte; ambitionierter Anwalt,
der auch bei Straßenprotesten in Anzug und Krawatte auftrat; mit 24 Jahren
auf bestem Wege, der jüngste Kongreßabgeordnete der kubanischen Geschichte
zu werden, Vater schickte Geld für den Wahlkampf. Eine glänzende Karriere –
die ihm der Staatsstreich des Sergeanten Fulgencio Batista im Jahre 1952
verdarb.
Die Wahlen wurden abgeblasen, Demokratie für verzichtbar erklärt. Während
andere sich arrangierten, griff Fidel zu den Waffen. Und zwar nicht im
Namen des Marxismus-Leninismus, sondern für die Wiedereinsetzung der
liberalen Verfassung von 1940, der Grundlage dessen, was er heute als
pluriporqueria – etwa: „Mehrschweinereiensystem“ – bezeichnet. Sicher,
Fidel hatte im Laufe des Guerillakrieges zuweilen sehr radikale Töne
angeschlagen. Aber das war normal in Lateinamerika, wenn ein
charismatischer Führer bewaffnete Truppen hinter sich scharte und die Gunst
des Volkes suchte.
Die Erfahrungen der Vergangenheit hatten Kubas bessere Kreise gelehrt, daß
es nicht viel Grund gab, solche Rhetorik allzu ernstzunehmen. Daß Castro
zum Klassenverräter werden würde, stand nicht zu erwarten. Und dieser
Verrat ist die Grundlage für den bis heute abgrundtiefen Haß der alten
Oberschicht, die inzwischen in Miami lebt. Daß sie Castro jemals tolerieren
werden – wie etwa die nicaraguanischen Eliten lernen mußten, sich mit den
Sandinistas abzufinden –, scheint in Kuba immer noch undenkbar.
Auch in Washington war man an jenem Neujahrstag kaum alarmiert. Das alte
Schema würde funktionieren: Ein Heißsporn schert aus dem Establishment aus,
setzt auf die bewaffnete Karte, und, wenn er siegt, reiht er sich, nun
oben, wieder in die herrschenden Klassen ein. Und wenn er das nicht von
selbst tat, verfügte man über Mittel, dies zu erzwingen. Schließlich war
die Insel neunzig Meilen vor Florida exportabhängig.
Vor allem ein Produkt wurde ausgeführt: Zucker. Dessen einziger Abnehmer:
die USA. Sin azúcar, no hay pais, hieß es: Ohne Zucker kein Kuba. Die
Zuckereinfuhrquote der USA war die Peitsche, die noch jede Regierung in
Havanna zu Wohlverhalten gebracht hatte.
Als die Revolution siegte, den Worten auch Taten folgen ließ, die Mieten
der Armen kappte und den Arbeitern die Löhne erhöhte, die Großgrundbesitzer
enteignete und die US-Banken verstaatlichte, Häuser und Wohnungen
konfiszierte, setzten die USA zur Vergeltung an. Die Zuckerquote wurde
gekürzt, am Ende ein generelles Wirtschaftsembargo verhängt.
Auch noch soviel revolutionärer Wille hätte dem auf Dauer kaum etwas
entgegensetzen können. Doch der Kalte Krieg brachte einen Deus ex machina
ins Spiel: Die Sowjetunion sprang ein, übernahm Kubas Zuckerexporte und
versorgte es mit allem, was eine von den USA unabhängige Ökonomie sichern
würde. Castro verkündete den sozialistischen Charakter der Revolution, die
UdSSR ihren Beistand. Die politischen Mechanismen, mit denen die USA ihren
karibischen Hinterhof zu verwalten pflegten, galten auf einmal nichts mehr.
Der alte Nord-Süd-Konflikt war in den Ost-West-Konflikt umgemünzt worden.
Es war Castros politisches Geschick, die Chancen, die die Konstellation des
Kalten Krieges boten, drei Jahrzehnte für sein Land genutzt zu haben.
Die Revolution war in Kuba, anders als in Osteuropa, selbst erkämpft. Und
so groß die Abhängigkeit von der Sowjetunion auch wurde, so erschien sie
doch immer als Gegenmittel zu den Anmaßungen der USA. Mit
Wirtschaftssanktionen und Blockaden, mit Geheimdienstoperation und Gesetzen
haben die USA der antiimperialistischen Legitimation Castros immer wieder
reichlich Nahrung gegeben.
Nichts schweißt die kubanische Elite mehr zusammen als die Angst vor dem
Danach, in dem die Revanche der Exilierten und der gedemütigten Weltmacht
droht. So hat die kubanische Revolution auch das Ende des Kalten Krieges
bald zehn Jahre überlebt. Wer solche Feinde hat, kommt auch ohne Freunde
aus.
Rudi Dutschke, 1968: „Die Leistung der kubanischen Revolution ist gerade
darin zu sehen, daß es ihr bisher gelang, die Differenz zwischen historisch
notwendiger Repression und zusätzlicher irrationaler Herrschaftsausübung
möglichst gering zu halten.“ Die Rede von „historisch notwendiger
Repression“ kam vielen Achtundsechzigern erschreckend leicht über die
Lippen.
Es war keine samtene Revolution, es gab „revolutionäre Justiz“, die mit
rechtsstaatlichen Verfahren nichts gemein hatte und innerhalb weniger
Monate in wohl mehr als fünfhundert Fällen auf schnelle Hinrichtung
entschied. Doch in der Tat wurde der große soziale Konflikt des Landes
weniger durch Blutvergießen gelöst als vielmehr durch die Emigration der
alten Elite in die USA. Die Bilder der alten Oberschicht, die um ihre
zurückbleibenden Besitztümer trauerte, gingen nicht sehr ans Herz. Viel
eher schon die aufrichtige Freude jener, die vor dem 1. Januar 1959 zu
ihren Clubs und Salons keinen Zutritt hatten und die nun jeden Schritt des
Umsturzes als Triumph feierten.
Die eine Sensation war der Sieg der Revolution. Die andere, daß sie die
Hoffnungen der unteren Volksschichten auf Besserstellung nicht enttäuschte.
Im Gegenteil. Die kubanische Revolution brachte der Mehrheit der
Bevölkerung einen beispiellosen sozialen Aufstieg. Parallel dazu wurde die
„historisch notwendige Repression“ im Einparteienstaat institutionalisiert
und verfeinert.
Und das eine wurde gegen das andere ausgespielt. Klagten die einen die
inhaftierung Oppositioneller an, konterten die anderen mit dem
Gesundheitssystem, das für alle kostenlos ist. Verwiesen die einen auf die
Zensur eines Schriftstellers, hielten die anderen die Alphabetisierung des
Volkes dagegen. Und dahinter immer die Letztbegründung für die „historische
Notwendigkeit“ der Repression: die Feindschaft der USA und der
Konterrevolution. Die einen wollen damit alles entschuldigen, die anderen
wollen es als reine Propaganda abtun.
Beides ist fatal. „Es stimmt schon, daß die kubanische Führung paranoid
ist“, hat ein ehemaliger britischer Botschafter dazu bemerkt, „aber es
stimmt auch, daß ihnen tatsächlich jemand an den Kragen will.“
Das Problem ist im Kern nicht neu, nicht spezifisch kubanisch und nicht
spezifisch kommunistisch. Alexander Hamilton, einer der Gründungsväter der
USA vor mehr als zweihundert Jahren, schrieb: „Der beständige Alarmzustand
einer fortgesetzten Bedrohungssituation wird auch die freiheitsliebendste
Nation dazu treiben, für Ruhe und Sicherheit auf Institutionen
zurückzugreifen, die ihre politischen und Bürgerrechte zerstören.“ Auch das
ist ein Teil der kubanischen Tragödie.
Stichwort „Neues Kuba“: Ein langjähriger Aktivist der Kubasolidarität wird
von Mercedes-Benz unter Vertrag genommen, als das Unternehmen vor ein paar
Jahren seine Niederlassung in Havanna plant und jemanden braucht, der ihnen
vor Ort die entscheidenden Klinken putzt und Türen öffnet. Auf der
internationalen Businessmesse von Havanna trifft man den Herausgeber der
deutschsprachigen Che- Guevara-Schriften, der jetzt ausländische Investoren
bei Kuba-Geschäften berät.
Das ist Solidarität der sehr realpolitischen Art und für viele aus der
traditionellen Soliszene gewöhnungsbedürftig. Aber zweifelsohne im Einklang
mit der aktuellen Linie, die den Comandante en Jefe ausländische
Fünfsternehotels einweihen und als Benettonwerbung herhalten läßt.
„Man muß die Revolution der Bürger und der Völker gegen den Dollar
organisieren!“, hatte Julio Antonio Mella, Gründer der KP Kubas, einst
geschrieben. Eine Parole, die man an keiner Häuserwand mehr sieht. Heute
organisiert die Revolution nicht den Kampf gegen, sondern um den Dollar.
Und die Bürger, jeder für sich, auch. Die US-Währung ist legalisiert und de
facto die Hartwährung des Landes.
Der durchschnittliche Monatslohn, rund zweihundert Pesos, beträgt
umgerechnet gerade einmal zehn Dollar. Einst hatte Fidel Castro „die
Gleichzeitigkeit des Aufbaus von Sozialismus und Kommunismus“ zum Programm
erhoben. Vierzig Jahre nach dem Triumph der Revolution erlebt man statt
dessen eine eigenwillige Gleichzeitigkeit von Sozialismus und Kapitalismus,
die die Gesellschaft aufs neue spaltet.
Doch allen Krisen zum Trotz gibt es in Kuba heute noch einen Bestand an
staatssozialistischer Wirtschaft und Verteilung, der vielfach unterschätzt
wird. Zum Beispiel die Lebensmittelkarten. Deren geschrumpfte Rationen
reichen niemandem mehr. Aber sie bilden doch einen fast kostenlosen
Grundstock an Reis, Bohnen, Zucker und anderen Grundnahrungsmitteln, der
gerade wegen der Krise für viele notwendiger denn je ist.
Auf dem Vormarsch allerdings sind die Dollarwelten. Während die Zuckerernte
auf Tiefstniveaus fällt, boomt der Tourismus. Übertroffen wird er nur von
den Geldüberweisungen der Kubaner in den USA an ihre Inselverwandten.
Spätestens hier, wo der sozialistische Staat sich durch seine Gegner
finanziert, wird das Marxsche Verhältnis von Basis und Überbau zum
einmaligen Balanceakt.
Doch der Sturz des Sozialismus à la Kuba ist so oft prophezeit worden wie
er ausgeblieben ist. Vielleicht ist es am wahrscheinlichsten, daß auf
absehbare Zeit alles so weitergeht wie bisher. Ob dies nun eine gute oder
eine schlechte Nachricht ist, das wird allein die kubanische Bevölkerung zu
entscheiden haben.
2 Jan 1999
## AUTOREN
Bert Hoffmann
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