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# taz.de -- Geheimziffer 23, Quersumme 5
> Die Kinder von Kohl und Commodore: Karl Koch, der Hacker, der für einen
> der mittleren Spionagefälle der Bundesrepublik mitverantwortlich
> zeichnete, gehörte zu ihnen. Hans-Christian Schmid zeigt jetzt in „23“
> die Achtziger im Chaos der Weltverschwörungen  ■ Von Philipp Bühler
Verschwörungstheorien sind was Tolles. Jeder sollte eine haben. Wer die
Welt nicht mehr versteht, bastelt sich damit seine eigene Welterklärung, im
Vertrauen darauf, daß die offizielle Geschichtsschreibung der Wahrheit kein
Stück näher kommt. Denn: „Nichts ist wahr, alles ist erlaubt“, sagt Karl.
Er glaubt an die Weltverschwörung des Illuminatenordens, an dessen
Geheimziffer 23 und ihre grauenhafte Quersumme 5. Ob Attentate,
Entführungen oder Bombentests, die Spur führt zu den irren Freimaurern. Und
wer Hans-Christian Schmids klugen und spannenden Thriller „23“ gesehen hat,
den wird es nicht kalt lassen, wenn demnächst wie alle fünf Jahre am 23. 5.
unter der 23 Meter hohen Reichstagskuppel der neue Bundespräsident gewählt
wird. Sie sind unter uns.
„23 – Nichts ist so, wie es scheint“ erzählt die wahre Geschichte Karl
Kochs, des Hackers, der für einen der mittleren Spionagefälle der
Bundesrepublik verantwortlich zeichnete und vor wenigen Jahren im Alter von
23, wie alle bedeutenden Anarchisten an einem 23. des Monats, unter
ungeklärten Umständen ums Leben kam. Mit gehörigem Tempo schickt Schmid
seinen glänzenden Hauptdarsteller August Diehl auf eine kabbalistische
Spurensuche, in einen unentrinnbaren Dschungel der Bedeutungen, in dem
Verschwörungstheorien nie widerlegt, sondern nur bestätigt werden können.
Bald verliert Karl die Bodenhaftung. Wer „Ernte 23“ raucht, macht sich der
Geheimbündelei verdächtig. Das Illuminatensymbol der Pyramide, ein Fünfeck,
findet sich auch auf der Dollarnote, das Böse ist überall.
Die Achtziger, in und von denen „23“ handelt, waren die große Zeit der
Verschwörungstheorien. Nicht wie heute auf dem freien Markt erhältlich,
versprachen sie dem Eingeweihten den ersehnten Wissensvorsprung. Aids kam
aus dem größten Fünfeck aller Zeiten, dem Pentagon, die Marlboroschachtel
war ein verkapptes Ku-Klux-Klan- Symbol. Schmid, der wie schon in seinem
Achtungserfolg „Nach fünf im Urwald“ auch das Drehbuch geschrieben hat,
verfängt sich jedoch nicht in schrulligen Details. Im unsanften Übergang
von spielerischer Schnitzeljagd zu tödlichem Ernst reflektiert er die vagen
Ahnungen, Halbwahrheiten und Mystizismen als Projektionsfläche für
elementare Ängste vor der ganz realen Verschwörung gegen das Leben, die
damals über unseren Köpfen dräute: der Masterplan zweier Weltmächte, die
Menschheit atomar zu vernichten. Das Wissen von 1986 offenbart der Film dem
Zuschauer in aller Krisenhaftigkeit durch Nachrichtenbilder und die
Schlagzeilenbricolage auf Karls Schlafzimmertapete: Brokdorf, die
Pershings, La Belle, die Libyenkrise, SDI, Reagan, Gaddafi, Kohl. Damit
liefert Schmid den bitter nötigen Gegenentwurf zum pinkfarbenen Yuppieland,
als das die Achtziger gerade abgefeiert werden.
Vor diesem Hintergrund ist Karl Koch in seinem Weltschmerz alles andere als
ein Spinner, die Welt spielt verrückt. Als Olof Palme, der Gute, um 23 Uhr
23 in Stockholm erschossen wird, bricht er aus und nimmt den Kampf auf.
Karl ist Hacker und – für die, die sich nicht mehr erinnern, was das ist –
als solcher fähig, sich per Computer in die geheimsten Datennetze
einzuschleichen. Bei seiner Atari Riot bleibt er nicht allein. Der
seelenverwandte David (Fabian Busch) sorgt fürs intellektuelle
Gleichgewicht, zwei zwielichtige Gestalten für die einschlägigen Kontakte
und die Probleme.
Für den KGB und im Glauben, die Systeme gegeneinander ausspielen zu können,
hacken sich Karl und David in Verteidigungssysteme und Kernkraftwerke,
verzweifeln an ihrer notorisch überlasteten Hardware und knacken doch immer
schwierigere Passwörter. Dabei erspart uns Schmid den öden, aus „War Games�…
bekannten Anblick grünschimmernder Bildschirmoberflächen und
Zahlenkolonnen. Der Film konzentriert sich auf die reizvolle Interaktion
seiner Figuren. So bleibt der Film nicht nur spannend, er wird dazu noch
richtig lustig. Der Koksdealer Pepe (Dieter Landuris), eine fiese Mischung
aus Al Pacino und Ilja Richter, macht einem schlagartig bewußt, daß mit den
Achtzigern die Siebziger ja nicht ohne weiteres überstanden waren. Sein so
plumper wie erfolgreicher Anwerbeversuch beim KGB in Ost-Berlin gehört zum
Komischsten, was das Kino hierzulande in den letzten Jahren zustande
gebracht hat. Tragischerweise fußt die Komik auf eben der profunden
Lächerlichkeit des Spionagewesens, die Karl zum Verhängnis wird. Ungeheuer
einfühlsam, intelligent und punktgenau inszenieren Schmid und seine
Darsteller die Höhen und Tiefen einer subversiven Existenz. Immer bleibt
klar, wo das Individuum in Eigenverantwortung versagt und wo finstere
Mächte, seien es KGB, BKA oder vielleicht auch die Illuminaten, ihr böses
Spiel treiben.
Warum hackt Karl, und noch dazu für den KGB? Als Anarchist weiß er genau,
daß die andere Seite keinen Deut besser ist, aber hier hat er, ganz
Kommunikationsguerilla, seine eigene Theorie, und die weist in die
neunziger Jahre. Seine „Hacker- Ethik“, nach der versteckte Informationen
allen gehören müssen, damit sie keinem mehr nutzen, treibt die
Internetgemeinde bis heute. „23“ ehrt die Commodore-Generation, die den
neuen Maschinen mit subversivem Vertrauen und Pioniergeist entgegentrat,
ohne Wissen von der unheimlichen Weltverschwörung des Bill Gates. Kein Film
für Computernerds also, vielmehr ein mutiger, politischer und gefühlvoller
Film, der einem hoffentlich breiten Publikum endlich das bietet, was es
sich vom Kino schon lange nicht mehr erhofft.
„23“, Buch und Regie: Hans-Christian Schmid, mit August Diehl, Fabian Busch
u.a., D 1998, 99 Min.
14 Jan 1999
## AUTOREN
Philipp Bühler
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