Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wir lassen lesen: Weltmeister ohne Ruhm
> ■ Die Geschichte des von den Nazis verfemten Berufsradfahrers Albert
> Richter
„Sein Name ist für alle Zeit in unseren Reihen gelöscht.“ Mit diesem Satz
gab 1940 die Zeitschrift Der Deutsche Radfahrer den Tod eines populären
deutschen Rennfahrers bekannt: Albert Richter. Wie konnte es dazu kommen,
daß das damalige Organ des gleichgeschalteten Deutschen Radfahrer-Verbandes
diesem Weltklassesportler mit soviel kalter Verachtung begegnete? Wie starb
Richter, um dessen Tod sich viele Gerüchte ranken, wirklich? Und weshalb
geriet der Mensch und Sportler Richter nach seinem Tode tatsächlich für
etliche Jahre in Vergessenheit? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Renate
Franz in dem Buch „Der vergessene Weltmeister“.
Die Autorin zeichnet das Leben des 1912 in Köln geborenen Sportlers nach.
Seinen größten Triumph feierte Richter 1932 in Rom: Völlig überraschend
gewann er bei den Sprintweltmeisterschaften den Titel. Dies gelang ihm zu
einer Zeit, in der Radrennen die Sportfans begeisterten wie sonst kaum eine
Disziplin. Anschließend wechselte Richter ins Profilager. Als Sprinter
wurde er siebenmal Deutscher Meister, belegte bei Weltmeisterschaften
zweimal den zweiten und fünfmal den dritten Platz. Betreut wurde er in
dieser Zeit von seinem Manager Ernst Berliner. Richter sah in dem klugen
jüdischen Geschäftsmann eine Vaterfigur – die jedoch im Gegensatz zum
leiblichen Vater seine sportlichen Ambitionen von Beginn an unterstützte.
Richter hätte den Nationalsozialisten eigentlich gut ins Konzept passen
können. Dies legt zumindest ein Zitat des damaligen britischen Botschafters
Sir Nevill Henderson aus dem Jahr 1938 nahe: „Die Nazis streben nach
Siegen, um Reklame für ihr Regime zu machen. Das ist ihr Weg, sich als
Superrasse auszuweisen.“ Doch das Gegenteil war der Fall: Der
charakterstarke Richter bekam große Schwierigkeiten. Weil er bei der WM
1934 den Hitlergruß verweigerte. Weil er nicht bereit war, für die Gestapo
Konkurrenten und Freunde auszuspionieren. Und weil er weiter mit Berliner
arbeitete – auch nach dem Ausschluß der Juden aus dem „arischen“
Sportbetrieb. Außerdem hatten die Nazis große Schwierigkeiten mit
Berufssportlern. „Gesunde, deutschwesensgemäße Leibesübungen“ sollten dem
Wohlergehen des gesamten Volkes dienen – und nicht dem einzelnen Ruhm und
Geld verschaffen.
Am 31. Dezember 1939 wurde Richter auf dem Weg in die Schweiz verhaftet. Er
wollte für einen geflüchteten Kölner Juden Geld ins Ausland schmuggeln und
wurde deshalb wegen „Devisenvergehens“ ins Lörracher Gerichtsgefängnis
gebracht. Kurz darauf war er tot. Nach offizieller Lesart hatte er
Selbstmord begangen. So ist auch beim Experten Jürgen Emig in einem
kürzlich erschienen Text über die Geschichte des Radsports nachzulesen,
Richter habe sich, „vor die Alternative gestellt, einem Verfahren als
Deserteur vor einem Kriegsgericht entgegenzusehen oder den Freitod zu
suchen“, erschossen. Renate Franz stellt diese These jedoch in Frage.
Aufgrund ihrer ausführlichen Recherchen überlegt sie, ob „Richter im
Gefängnis oder bei der Gestapo in Lörrach Opfer der üblichen brutalen
Sonderbehandlung für Flüchtlinge und deren Helfer“ wurde. Und ob es sich
dabei um einen „kalkulierten Mord der Nationalsozialisten an einem
gefeierten Sportler“ handelt. Eine eindeutige Antwort gibt sie auf diese
Fragen nicht.
Doch darin liegen auch die Stärken ihres Buches. Renate Franz wertet ihre
zahlreichen Quellen nüchtern aus, verzichtet auf effektheischende
Interpretationen. Sie läßt die Zeitzeugen sprechen, um den Sportler zu
charakterisieren – und bleibt so mit ihrer schmucklosen Sprache uneitel im
Hintergrund. Die Autorin unterschlägt auch keine Quellen, die das
Gesamtbild stören könnten. Einmal ist Richter auf einem Foto sogar beim für
ihn so untypischen „Hitlergruß“ zu sehen. Auch durch solche Brüche entste…
die facettenreiche Biographie eines mutigen Sportlers. Markus Geling
19 Feb 1999
## AUTOREN
Markus Geling
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.