# taz.de -- Mythos Jackie | |
> Akrobatik statt Dollars: Jackie Chan, ab morgen im 3001, ist der | |
> kostengünstige Superstar am Ende des Jahrtausends ■ Von Tobias Nagl | |
When Bruce Lee kicks high, I kick low. When Bruce Lee acts like a hero, I | |
act like an underdog“, versuchte Jackie Chan einmal seine Arbeitsweise zu | |
beschreiben, die ihn am Ende des 20. Jahrhunderts zum einzig legitimen | |
Nachfolger in der Martial-Arts-Tradition Bruce Lees und zum vielleicht | |
erfolgreichsten Kino-Star überhaupt gemacht hat. In Hongkong starten seine | |
Filme meist am chinesischen Neujahrsfest. Allein das erhebt sie zu | |
Ereignissen von nationaler Bedeutung. In Japan haben sich bereits weibliche | |
Fans aus unerwiderter Liebe das Leben genommen; das passiert sonst nur | |
Pop-Stars. Von Jackie Chan zu sprechen, heißt deshalb von einem Phänomen zu | |
sprechen. Wie jeder echte Star ist er mehr als die Summe seiner Filme. Er | |
allein aber ist zugleich sein eigenes Genre. Ein Jackie-Chan-Film ist eben | |
ein Film von, mit und über Jackie Chan. Den Mythos. Den Komiker. Den | |
Stuntman. | |
Jackie Chans Filme mögen natürlich einen bestimmten Bauplan haben, eine | |
Kunst-Persona entwerfen, Martial-Arts und Comedy in virtuosen Slapstick | |
überführen. Aber am Ende des Tages zählen weder Plot noch Budget, sondern | |
die akrobatischen Leistungen ihres Stars, die sich nicht in Dollars, | |
sondern allein in den Knochenbrüchen am Set messen lassen. Längst sind sie | |
Teil der medialen Inszenierung des Chan-Mythos', wenn er im Bruch mit dem | |
Illusionismus des Kinos zu den Schlußcredits die legendären Outtakes | |
ablaufen läßt, in denen all jene Stunts zu sehen sind, die schiefgegangen | |
sind. Oft haben sie lebensgefährliche Qualitäten, und für ihre | |
perfektionistische Ausführung macht Chan keine Kompromisse. Während der | |
Dreharbeiten zu Der rechte Arm der Götter, der kantonesischen Antwort auf | |
Indiana Jones, mußte er sich nach einem Unfall eine Stahlplatte in den | |
Schädel implantieren lassen, den Fußtritt nach einem Federball in Dragon | |
Lord filmte er 1600 mal. Den Unterschied zwischen Rolle und realer Person | |
derart zum Verschwinden gebracht zu haben, ist nicht einmal den | |
Bond-Darstellern gelungen. 007 hat sie alle überlebt, aber niemand kann | |
Jackie Chan sein – außer Chan selbst. | |
Am ehesten läßt sich Jackie Chan mit dem von ihm bewunderten Buster Keaton | |
vergleichen. Mit den Komikern der Stummfilm-Ära teilt er nicht nur Humor, | |
sondern auch den Appell an den reinen Schauwert des Spektakels. Auf ihre | |
Art sind seine Filme Musicals ohne Musik: Keine Möglichkeit wird | |
ausgelassen, die Statik des menschlichen Körpers in Bewegung aufzulösen, | |
den bewegten Körper mit statischen Objekten zu konfrontieren – seien es | |
Leitern, Stühle oder selbst Fahrräder, die am Ende alle in ausgeklügelten | |
Choreographien zweckentfremdet werden. Am Schluß von Projekt B, einem | |
seiner schönsten Filme, kippt eine Mauer auf Jackie Chan herunter. Er wird | |
nur deshalb nicht erschlagen, weil ihn – genau wie Keaton in Steamboot Bill | |
Jr. – die Fensteröffnung trifft. In Projekt B zollt er auch Harold Lloyd | |
Respekt, indem er nach einer Keilerei am Minutenzeiger einer Turmuhr | |
hängenbleibt. Wenn Jackie Chan der größte Filmstar am Ende dieses | |
Jahrhunderts ist, dann vielleicht auch deshalb, weil sich mit ihm der Kreis | |
zwischen der Schaulust des ganz frühen Kinos mit der des post-klassischen | |
schließt. Wenn in Police Story eine Verfolgungsjagd zwischen Motorrad, Zug | |
und Helikopter damit endet, daß sowohl das Motorrad als auch der | |
Hubschrauber auf dem Zug landen und Chan darauf noch seine | |
Kung-Fu-Kunststückchen wieder zur Geltung bringt, bleibt nur das | |
naiv-kindliche Zirkus-Staunen. | |
Nicht alle von den rund hundert Filmprojekten Chans muß man gesehen haben – | |
die im 3001 gezeigten schon. Der rechte Arm der Götter ist der lustigste | |
Spielberg-Ripp-Off aller Zeiten, Projekt B hingegen einer der herrlichsten | |
Kostümschinken im Peking Opera Blues-Format. Etwas konventioneller nehmen | |
sich Die Schlange im Schatten des Adlers und Drunken Master aus, mit denen | |
sich Chan in den Siebzigern zum ersten Mal einen Namen als Kung-Fu-Komiker | |
machte. Vom historischen Wert einmal abgesehen, ist die in Drunken Master | |
entwickelte „Drunken-Boxing“-Technik auf jeden Fall eine faszinierende | |
Fußnote zum stilistischen Klassifikationswahn des Genres. Aber auch uns | |
Freizeitalkoholikern und Kneipenrandalierern dürfte sie voll aus der Seele | |
sprechen. | |
Die Schlange im Schatten des Adlers: morgen, 22.30 Uhr. Sie nannten ihn | |
Knochenbrecher: Fr, 16. und Sa, 17. April, 22.30 Uhr. Der rechte Arm der | |
Götter: So, 18. und Mo, 19. April, 22.30 Uhr. Projekt B: Di, 20. und Mi, | |
21. April, 22.30 Uhr, 3001 | |
14 Apr 1999 | |
## AUTOREN | |
Tobias Nagel | |
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