Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Dana, die Freiheitskämpferin
> Voriges Jahr im Mai wurde eine transsexuelle Sängerin aus Israel über
> Nacht zum glamourösen Star. Im eigenen Land avancierte Dana International
> zur Ikone gegen die Ultraorthodoxen. Inzwischen ist ihr Triumph etwas
> verblaßt. Trotzdem ist sie das Vorbild anderer KünstlerInnen Israels
> geblieben, die zur afrikanischen, arabischen oder russischen Minderheit
> gehören. Mit provokanten Auftritten suchen sie ihr gesellschaftliches
> Standing zu verbessern – gegen das jüdische Establishmen mittel- und
> westeuropäiscer Tradition  ■ Von Susanne Knaul
Eines hat Dana International schon immer gekonnt: Sie weiß, wie man eine
gute Show macht. Mindestens zweihundert TänzerInnen in bunten Kostümen vor
dem Hintergrund der Jerusalemer Altstadt schwärmen um Israels „Diva“ bei
den Aufnahmen für den Eurovisionsabend. Zum Auftakt der Sendung wird Dana
auftreten, wenn auch nicht live. Jetzt, bei den Dreharbeiten, erweist sie
sich ihrer Idee von einem Dasein als Star würdig: läßt die Journalisten
gnadenlos warten, kommt erst zwei Stunden nach dem geplanten Beginn der für
die Fernsehteams angesetzten Fragestunde, aus der zudem nur fünf Minuten
werden.
„Free“ ist der Titel, den sie singt, denn erstens, sagt sie, „bewundere i…
Stevie Wonder“, und zweitens „soll das die Message sein, die von Jerusalem
aus in die Welt geht“. Dana weiß, was von ihr erwartet wird. Letztes Jahr
in Birmingham, als sie den europäischen Popwettbewerb gewinnen konnte, war
sie die Exotin, eine politisch avancierte zudem: eine Frau, die mal ein
Mann war und daraus kein Geheimnis macht. Über Nacht wurde sie zur Ikone
nicht nur der Homobewegung der westlichen Welt, sondern auch der Liberalen
und Nichtreligiösen in Israel selbst. Dana International – das war die
Antwort auf die jüdischen Fundamentalisten, die die Sängerin für eine
Botschafterin des Gottlosen gehalten hatten.
Dana International findet, inzwischen sei Israel schon „viel freier“
geworden. Man müsse nur mal nach Tel Aviv gehen, wenn schon Jerusalem im
öffentlichen Bild weitgehend von Orthodoxen beherrscht werde. Die Sängerin
kämpft inzwischen nicht nur gegen die Spießer, sondern vor allem mit ihrer
schwindenden Prominenz. Tatsächlich ist es um den Star der letzten
Popsaison ruhig geworden. Nicht nur in den Tel Aviver Szenekneipen läuft,
wenn überhaupt, nur der eine große Titel von ihr: „Diva“. Neues hat sie
inzwischen kaum produziert – auch die Frommen in Jerusalem, die mit aller
Macht und „Gottes Hilfe“ den internationalen Liederwettbewerb verhindern
wollten, weil er von einer Transsexuellen nach Israel gebracht wurde,
halten sich momentan noch aus dem Trubel der Festvorbereitungen heraus. Man
habe hier und dort eine telefonische Drohung bekommen, meint Zedi Zerfati,
Regisseur der Show. „Deshalb stehen uns ständig hundert Sicherheitsleute
zur Verfügung.“
Vielleicht ist die Situation der „Freiheit“, wie Dana International es
nennt, in Israel während der vergangenen zwölf Monate nicht schlimmer
geworden – aber ob sie besser geworden ist? Yair Qedar, Chefredakteur der
Schwulenzeitung HaSman HaVarod (“Rosa Zeit“) sieht in dem Sieg von Dana
International „den Höhepunkt des Kampfes“ um mehr Toleranz in der
Bevölkerung.
Der Verband der Schwulen und Lesben lobt die Sängerin nicht ohne Grund. In
jüngster Zeit sind eine Reihe von Erfolgen erzielt worden. In Prozessen vor
dem Obersten Gerichtshof in Jerusalem erwirkte ein Stewart der israelischen
Fluglinie El-Al für seinen Lebensgefährten Privilegien, die sonst nur
Ehepartnerm zustehen. Der Lebensgefährte eines an Krebs verstorbenen
Armeegenerals wird inzwischen offiziell als Witwer anerkannt, und ein
lesbisches Paar hat es nach langwierigen Prozessen erreicht, gegenseitig
ihre Kinder zu adoptieren.
Trotz dieser Erfolge machte der Verband der Schwulen und Lesben Dana
International zum Symbol im Kampf für die eigene soziale Anerkennung und
gegen die religiöse Unterdrückung. „Die Gerichtsurteile sind wichtig, aber
sie haben keinen Einfluß auf das öffentliche Bewußtsein“, lenkt Qedar ein.
Die Richter seien mit ihren Urteilen der allgemeinen Haltung um Jahre
voraus. Und wenn der Erfolg der Sängerin auch nicht unmittelbar rechtliche
Vorteile bringe, so habe er doch zu einem verstärkten Selbstouting von
Homosexuellen geführt.
Letztlich sei „Israel ein Ort, wo es sich gut schwul sein läßt“, meint
Qedar, gerade nach dem Wahlsieg Ehud Baraks. Ob die Abwahl der
Konservativen schon als günstiges Zeichen gelesen werden kann, ist offen.
Der politische Einfluß der ultraorthodoxen Bevölkerung wird allein mit den
demographischen Veränderungen im Land zunehmen, wenn nicht bald ein
Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet wird. Für die Ultrareligiösen ist
Homosexualität eine Krankheit, die der Behandlung bedarf. Daran kann selbst
eine schöne Stimme nichts ändern. „Für die meisten Leute bleibt Dana nur
ein Gimmick“, sagt Joaw Kuttner, Musikredakteur beim Militärradio Galej
Zahal. Doch zumindest für das Selbstwertgefühl der Nichtheterosexuellen war
ihr Sieg eine großartige Sache: Eine Transsexuelle als nationale
Identifikationsfigur – wo gibt es das schon?
Vielleicht nur in Israel, wo im Grunde alle irgendeiner Minderheit
angehören, wenn auch einige von ihnen mächtiger sind als die anderen.
Gerade Popmusik war immer ein Bereich, in dem Männer und Frauen
nichteuropäischer Herkunft Karriere machen konnten. Ofra Haza
beispielsweise, Sängerin jemenitischer Herkunft, 1983 mit „Hi“ Israels
Vertreterin beim Eurovisionscontest und später als Pionierin des Ethnopops
(“Im Nin Alu“) wichtigster Popexport des Landes.
Ob die Musik wirklich immer Mittel sein kann, um sich einen Platz in der
respektierten Mitte der Gesellschaft zu erkämpfen? Einige Minderheiten in
Israel wären schon froh, wenn man ihre Musik überhaupt nur mal in den
Rundfunkstationen zu Gehör brächte. Die jungen Russen der Gruppe „Ausweis“
zum Beispiel. Mit Hardrock und wilden Texten provozieren sie jene, mit
denen sie nichts gemein zu haben scheinen: ihre in Israel geborenen
Altersgenossen. „Tod für Schlomo Arzi und Arik Einstein“, zwei Größen der
israelischen Popmusik, heißt es in deren einzigem hebräischem Titel. „Das
stößt die Hörer ab“, erklärt Redakteur Kuttner. „Wer auf die Quote acht…
kann so etwas nicht auflegen.“
Kuttner hat ein ähnliches Problem mit der arabisch-israelischen Sängerin
Amal Murkus, deren „außergewöhnliches Talent“ er zwar anerkennt, die er
aber höchstens im Nachtprogramm auflegt. „Amal singt nicht nur schwer ins
Ohr gehende Musik, sondern vor allem auf arabisch.“ Und: „Für die
israelischen Hörer ist der Text aber enorm wichtig. Arabisch können die
meisten nicht verstehen.“
Murkus will dieses Argument nicht gelten lassen, schließlich komme „halb
Israel aus arabischen Ländern“. Als ihre jahrelangen Versuche, einen
israelischen Verleger zu finden, erfolglos blieben, steckte Amal Murkus
zusammen mit ihrem Mann Nisar Sreik die gesamten Ersparnisse und mehr –
insgesamt über siebzigtausend Mark – in die Aufnahmen ihrer Lieder. „Andere
Leute kaufen sich eine Wohnung, wir brachten eine selbstverlegte CD
heraus“, sagt sie selbstbewußt. Für die Musikverleger lag es nicht an
Murkus' Stimme, daß sie mit ihr kaum etwas anfangen konnten: Ihre Mixtur
aus klassischer arabischer Musik und Rock ist kaum zu vermarkten.
Anderen waren ihre Lieder zu politisch, denn Murkus hatte Texte des
Dichters Machmud Darwisch vertont, in denen der im Exil lebende
Palästinenser unter anderem von der Liebe zu seinem Heimatland spricht. Auf
den Rat, sie solle sich einen ägyptischen Verleger suchen, reagierte Murkus
gekränkt. „Ich lebe hier. Dies ist ein jüdischer Staat? Okay. Aber wir sind
auch hier. Vielleicht lohnt es sich, endlich eine Verbindung herzustellen.“
Wenn man den Musikredakteuren der beiden großen Hörfunkstationen, des
Militärradios und der „Stimme Israels“, vertrauen kann, geht es nicht um
die Ächtung politischer Randgruppen oder Minderheiten, sondern schlicht um
die Einschaltquoten. Dana International war mit ihren Ohrwürmern schon
lange vor ihrem Eurovisionssieg populär. Auch der russische Immigrant
Arkadi Duchan gehört mit seiner Gruppe „Natanjas Freunde“ zu den
erfolgreichsten Interpreten im Land. Daß er noch immer einen leichten
russischen Akzent hat, stört seine Fans nicht, im Gegenteil. Sein Idiom
gilt als Ausweis seiner Authentizität.
Duchan trifft offenbar den Geschmack junger Israelis. Genauso hatte der
Komponist und Sänger Schlomo Gronich einen für ihn selbst überraschend
großen Erfolg mit einem äthiopischen Kinderchor. „Ich hatte keinerlei
politische Ambitionen, sondern war einfach neugierig darauf, mit diesen
Kindern aus einer völlig fremden Kultur zusammen Musik zu machen“, sagt
Gronich. Das Erfolgsgeheimnis seines Chors: Diese jüdischen Schwarzen
singen nicht die Lieder ihrer Eltern, sondern israelische Musik. Was die
skeptische bis rassistische Mentalität weißer Israelis den schwarzhäutigen
Juden gegenüber anbetrifft, macht sich Gronich keine Illusionen. „Wenn wir
bei den weißen Kindern in Israel eine bißchen Angst vertreiben können, dann
ist schon eine Menge erreicht.“
Überhaupt scheint sich das Hörverhalten der Israelis parallel zu den
Entwicklungen im Land zu verändern. „Vor zwanzig Jahren waren die meisten
Leute auf amerikanische Titel und Rock festgelegt“, sagt Kuttner.
„Inzwischen ist die Musik viel orientalischer geworden.“ Einer der
zentralen Trendsetter ist Kobi Oz, Sohn tunesischer Einwanderer, der mit
seiner Gruppe „Tipp-Ex“ seit zwei Jahren zu den meistgespielten Gruppen
Israels gehört. Seine Texte sind mal romantisch, gelegentlich melancholisch
oder selbstironisch: „Wenn du trampst, paß auf, daß kein Terrorist am
Steuer sitzt, und wenn du in den Krieg ziehst, nimm einen warmen Mantel und
die Psalmen mit.“
Was Oz macht, ist „israelisch“, sagt er selbst über seine Musik, weder
europäisch noch orientalisch und doch von beidem etwas. Insofern spiegelt
die Popmusik die Entwicklung der israelischen Gesellschaft präzise. Immer
mehr Juden orientalischer Herkunft drängen auf hohe Posten, die sonst Juden
europäischer Herkunft vorbehalten schienen.
Vor allem unter den jungen Leuten wird kaum noch danach gefragt, ob der
Großvater aus Krakau oder Bagdad nach Israel kam. Zieht die Musik die
gesellschaftlichen Veränderungen nach sich – oder ist es umgekehrt? „Keine
Ahnung“, gibt Kuttner zu. „Es ist ungefähr so, wie die Frage um die Henne
und das Ei.“
Susanne Knaul, 38, lebt seit Herbst 1989 in Israel. Von dort berichtet sie
für die taz, den Freitag und das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt.
22 May 1999
## AUTOREN
Susanne Knaul
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.