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# taz.de -- Priester des Relativismus
> Ludger Volmer war, als die Bündnisgrünen noch in der Opposition saßen,
> ein überzeugter Pazifist, galt als Wortführer der Linken. Als
> Staatsminister für Auswärtiges predigt er nun den humanitären
> Kriegseinsatz. Über einen, der sich selbst gern verzeiht. Ein Porträt  �…
>  von Heike Haarhoff
Es fehlt ihm an Sprungkraft. Ist eben zu schwammig. Vor allem um die Hüften
rum. Mangelndes Training. Aber wen wundert's. Seit er Staatsminister ist,
hat er ja nicht mal mehr Zeit, einkaufen zu gehen. Soll jedenfalls einer
aus seinem Freundeskreis kürzlich erzählt haben. Und dann seine schlechten
Augen. Wie kann man einen Brillenträger ins Tor stellen?
Das Getuschel der gegnerischen Mannschaften, die auf den Holzbänken
seitlich des kleinen Kunstrasenplatzes bei Bonn lungern und ein letztes
Wasser vor dem Anpfiff trinken, ist ungewöhnlich abfällig für Fußballer.
Aber der Mann in Jogginghose und Trikot, gegen den die Geringschätzung sich
richtet, kriegt ohnehin nichts mit: Ludger Volmer hat sich ein ruhiges
Plätzchen im Abseits gesucht. Ungelenk, aber ausdauernd macht er seine
Kniebeugen. Dehnt einsam die Achillessehnen. Hüpft vom einen Bein aufs
andere. Signalisiert durch abweisende Blicke, daß er jetzt nicht gestört
werden möchte. Um später alles geben zu können.
Es wird sein letztes Spiel sein. Das letzte vor dem Umzug des Bundestags
nach Berlin jedenfalls. Und damit auch das letzte alternative
Fußballturnier, das die „Grüne Tulpe“, die Mannschaft der Grünenfraktion
und ihrer Mitarbeiter, die der damalige Abgeordnete Volmer vor mehr als 15
Jahren nach dem Einzug der Grünen ins Bonner Parlament mit gründete, auf
heimischem rheinländischen Boden ausrichtet.
Trotz immer vollerer Terminkalender bemüht sich der im vorigen Oktober zum
Staatsminister im Auswärtigen Amt avancierte 47jährige Volmer um
regelmäßige Teilnahme. Aber so recht mag sich an diesem sonnigen Junitag
keiner über die Präsenz des Promis freuen. „Volmer hat sich verändert.“ …
sagen viele der befreundeten alternativen Kicker, die einst sich ihm
politisch nahe glaubten, dem Linken, dem Nato-Hasser, dem „politischen
Pazifisten“, wie er sich selbst nennt, dem Ludger Volmer, der seit der
Gründung der Grünen 1979 die Bundeswehr auflösen wollte, dann aber in den
fünf kurzen Monaten zwischen Oktober 1998 und März 1999 den Wandel zum
kriegsbefürwortenden Staatsminister und Liniengetreuen seines früheren
Erzrivalen Joschka Fischer schaffte. Der Gastgeber spürt die kühle Distanz,
mit der ihm begegnet wird: „Heute hat jeder die Chance, Rache an der
Bundesregierung zu nehmen.“ Keiner lacht. Sein Gespür für Stimmungen hat
Volmer nicht gerade zum begnadeten Entertainer geschlagen. Kurz darauf
fällt das grüne Eigentor. Volmer, der Torwart, ist nicht mal ärgerlich.
„Ist das nicht immer so in der eigenen Partei?“
Wenige Tage nach dem Fußballspiel, Platz zwei ging an die Grüne Tulpe, ist
der Krieg vorbei. Ludger Volmer hat sich umgezogen. Gelöst bittet der
Staatsminister im feinen grauen Beinkleid auf seine Bürocouch. Volmer, der
ewig Mißtrauische. Der sich Textproben schicken läßt, bevor er sich mit
Journalisten trifft. Der die Presse gern abwimmelt mit der Aussage, es gebe
„am Eingang zum Ministerium schon so viele Terroristen, die alle behaupten,
sie hätten einen Termin mit mir“.
Geht es ihm besser? Er versteht die Frage nicht ganz. Na ja, verspürt er
Erleichterung, jetzt, da die Bomben nicht länger mit seiner politischen
Billigung und ohne UNO-Mandat auf Jugoslawien hageln? Immerhin ließ seine
Wende um 180 Grad in Sachen Nato-Krieg die empörte Parteibasis so sehr
aufheulen, daß selbst einer wie Ex-CDU-Verteidigungsminister Rühe sich zu
Mitleidsbekundungen wie „Ich möchte nicht in Volmers Haut stecken“
hingerissen fühlte. Doch Volmer, der leise Kritik aus dem politischen
Freundeskreis bisweilen mit mehrseitigen Schmähfaxen pariert, mimt den
Unverwundbaren. „In linken Kreisen gelte ich seit 15 Jahren als Verräter“,
er lächelt, „man gewöhnt sich an die Rolle.“
„Selbst bei der schwersten aller denkbaren Menschenrechtsverletzungen,
einem Völkermord, wäre auch nach der herrschenden rechtlichen Auffassung
[...] keine Abweichung von der Notwendigkeit einer autorisierenden
Resolution des Sicherheitsrates möglich.“ Entschließungsantrag Grüner
Abgeordneter, u. a. Ludger Volmers, an den Deutschen Bundestag, 19. Juni
1998
Denn nicht er hat sich ja verändert, nicht er hat an Glaubwürdigkeit
verloren, sondern die anderen haben jahrelang „Dinge, die sie gern sehen
wollten, in mich hineinprojiziert“. Warum? „Die haben immer nur in den
Kategorien Fischer – Anti-Fischer gedacht, aber nie Volmer – Anti-Volmer“,
sagt er, und der über Jahre gehegte Mißmut darüber schwingt mit, daß
Joschka Fischer immer der Star blieb, während ihm, Volmer, trotz der Jobs
als Bundesvorstands- und später Fraktionssprecher das Los des spröden
Parteifunktionärs beschieden war. Und so sei vielen entgangen, daß er
selbst sich alles andere als „zum Lager der Radikalpazifisten“ zählt. Als
„politischer Pazifist“ dagegen muß man, folgt man der Volmerschen Logik,
„seinen Pazifismus überdenken, wenn Völkermörder unseren Pazifisimus
einkalkulieren, um Völker zu ermorden“. Und genau das sei im Kosovo der
Fall gewesen, „der Völkermord“, er muß sich dies in den vergangenen Wochen
so oft selbst erzählt haben, daß er es nunmehr für die Wahrheit hält, „ist
just in dem Moment eingetreten, als wir an die Regierung kamen“.
Er schlägt die Beine übereinander, daß das graue Tuch Falten zu schlagen
droht, fläzt sich in seinem Staatsministersessel als sei's die
zerschlissene Couch des Bochumer Asta von vor 25 Jahren und er der um die
boshaftigen Machtgefüge dieser Welt wissende Student der
Sozialwissenschaften, und mit jedem Räkeln schwindet die einstudierte
staatsmännische Pose: „Es war doch absehbar, daß wir als Regierung anders
handeln mußten als in der Opposition, das habe ich auch in meinen Reden
prognostiziert, man kann ja keinen grünen Einzelweg gehen; und auf
konfliktpräventive Strukturen, die wir weiterhin fordern, konnten wir nicht
zurückgreifen.“
Das Eingeständnis, dem Konflikt auch nicht besser gewachsen zu sein als die
alte Regierung, wäre einem wie Ludger Volmer noch vor wenigen Monaten nicht
über die Lippen gekommen. „Das war doch nicht unsere Aufgabe in der
Opposition.“ Und mit der gleichen Selbstverständlichkeit ist er später in
die Rolle des Regierenden geschlüpft, der nun halt das Gegenteil erklären,
auf die „Zwänge“ verweisen muß. Überzeugungen? Werte? Politische Tabus?
Alles relativ. Selbst schuld, wer anderes glaubte von den Grünen und ihrem
Anspruch auf Transparenz. Wenn man mit Ludger Volmer sich darüber
unterhält, was Rückgrat bedeutet, dann spricht er gern von seinem Sohn, den
er „so erzogen“ hat, daß dieser „stolz die Schalke-Fahne trägt“, obwo…
in Bonn „inmitten von Bayern- und BVB-Fans aufgewachsen ist“.
„Überall für die Menschenrechte einzutreten ist sicher ein großes Ziel.
Aber Menschenrechte und Demokratie wurden angeblich auch im Vietnamkrieg
und bei der US-Invasion in Grenada verteidigt.“ Spiegel-Streitgespräch mit
dem Grünen-Realo Hubert Kleinert, November 1995
„Politische Positionen sind Instrumente. Sie müssen investiert, nicht
zelebriert werden“, doziert der Staatsminister aus dem Sessel. Der Satz hat
ihn offenbar so beeindruckt, daß er ihn fünf Minuten später gleich noch
einmal vorträgt. Volmer fällt es leichter zu sagen, was er denkt, wenn er
an seinem Gegenüber vorbeischaut: „Wenn man mir in der Opposition statt
fünf Minuten Redezeit vielleicht zehn gegeben hätte, hätte ich es
differenzierter ausdrücken können.“ Aber was soll's, letztlich waren es
doch die Bombardements, die den Westen zum Erfolg führten: „Nur verhandeln
hätte nichts gebracht“, sagt Volmer.
„Wer Bomben und Bomber will, kann nicht mehr den neuen Eurofighter, die
zugehörige Logistik und Rüstungsproduktion ablehnen ... Damit aber
verlieren die Grünen mehr als ihre Unschuld – nämlich die Reformfähigkeit
überhaupt.“ Debattenbeitrag im „Freitag“, September 1995
Volmer ist keiner, der die Brüche, die Widersprüche bei sich sucht. „Wenn
man ein bestimmtes Ethos hat, muß man sich selbst auch mal was verzeihen.“
Lieber macht er seinen Wählern Informationsdefizit zum Vorwurf: „Ich habe
ein 600seitiges Buch über die grüne Außenpolitik geschrieben, da hätte doch
jeder nachlesen können.“ Verfaßt hat er sein Werk, um, wie er sagt, „dem
Verschwinden zu entgehen“ – während der langen Jahre vor dem
Regierungswechsel im vergangenen Herbst. Damals hatten die Realos den
Durchmarsch in der Fraktion bereits angetreten und ihn, den Wortführer der
Linken, auf die parlamentarischen Hinterbänke verbannt. Um so dankbarer
wirkt der einst Verstoßene heute, wenn er verkündet, daß Außenminister
Fischer, sein Chef, und er sich „nur alle zwei Monate fünf Minuten von
Angesicht zu Angesicht sprechen“, das meiste, was zu regeln ist, „läuft
hier schriftlich“. Per Dienstanweisung? möchte man fragen, aber da erzählt
Volmer bereits, wie sehr er sich für „flankierende Demokratie“ einsetzt und
dafür, daß „politische Kriseninterventionskräfte“ irgendwann die leidigen
Militärs bei der Friedenssicherung ablösen sollen. Aber solange es nur die
Nato-Truppen gibt, muß man eben mit ihnen vorlieb nehmen. Es geht eben
alles nur in kleinen Schritten vorwärts, gerade, wenn man regiert.
„Es geht vor allem um die Vermittlung zwischen den Konfliktparteien und
Unterstützung der humanitären Hilfe. Soldaten sind gerade für diese
Aufgaben nicht ausgebildet und eignen sich schon deshalb nicht [...] für
Peacekeeping.“ taz-Debattenbeitrag, Dezember 1995
Eines aber hat Ludger Volmer aus dem Krieg im Kosovo gelernt: „Ich bin mit
mir im reinen, ich muß meiner Vergangenheit nicht abschwören.“ Denn
schließlich „war ich noch nie ein Streetfighter“. Sondern einer, der
inmitten des sozialdemokratischen Ruhrgebiets in Gelsenkirchen in „einer
Oase der antifaschistischen katholischen Arbeiterbewegung“ und mit einem
Vater aufwuchs, der CDU-Bundestagsabgeordneter war und der heute, wenn es
um den Kosovo-Einsatz geht, „hinter mir steht“. Hinter einem, der Priester
werden wollte, bis er 17 war, der Mitglied im Deutschen Alpenverein ist und
von sich behauptet, „ein richtiger Öko“ zu sein, weil er daheim im Garten
Frösche züchtet.
Der Staatsminister räkelt sich wohlig. „Wissen Sie“, sinniert er da,
„dieser Job ist mir wie auf den Leib geschneidert.“
25 Jun 1999
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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