# taz.de -- Sind Sie Nutte? | |
> Das Künstlerpaar Eva & Adele verzaubert die Kulturstadt Weimar. Ein | |
> Protokoll ■ von Fritz von Klinggräff | |
Vor zehn Jahren – genau genommen am 11. August 1989 – spielte die taz | |
ungewollt Geburtshelfer, als sie in der Rubrik „Augenblicke“ das erste Foto | |
eines skurrilen Künstlerpaars veröffentlichte: Eva & Adele beim Eisessen. | |
Die beiden, so zumindest erzählen sie seither, waren just in diesem Moment | |
aus der Zukunft angereist. Ein Augenblick also, der Kunstgeschichte | |
schreiben sollte. Konsequent haben die beiden Zeitreisenden ihrem | |
künstlerischen Dasein den Namen „Futuring“ gegeben. | |
In diesem Sommer hält sich das androgyne Paar in Weimar auf. Im Rahmen der | |
Ausstellung „Ephemere Medien – Licht auf Weimar“ macht es hier, was es au… | |
sonst immer macht: Freundlich grüßend wandelt es durch die Kulturstadt | |
Europas. Man begegnet Eva & Adele, wie sie Seite an Seite durch den Ilmpark | |
spazieren oder huldvoll lächelnd Postkarten verteilen, mit denen sie auf | |
ihre große Videoinstallation im kühlen Schlosskeller der Residenz | |
hinweisen. Noch bis zum 30. September heißt es dort: „... und rührten mit | |
ihren Flügeln die innen erstarrte Zeit auf“. Die Einwohner Weimars haben | |
sich im Lauf der Zeit an das merkwürdige Paar gewöhnt. Die anfänglich | |
halben Blicke, sagen Eva & Adele, sind zu ganzen geworden und zu fröhlichen | |
Begrüßungen auf offener Straße. Ein Rest an Irritation freilich ist | |
geblieben. | |
taz: Ich habe ein Gedicht mitgebracht. Das heißt „Gingko“. Kennen Sie den | |
Gingko? | |
Eva & Adele: Ja natürlich, der Gingkobaum! | |
taz: Der Lieblingsbaum der Weimarer Klassik. Goethe hat dazu geschrieben: | |
„Ist es ein lebendig Wesen, / Das sich in sich selbst getrennt? / Sind es | |
zwei, die sich erlesen, / Dass es sich als eins erkennt?“ Der Gingkobaum | |
und Eva & Adele: Passt das zusammen? | |
Eva & Adele: Ja. | |
Junge: Sind Sie ein Mann? | |
Eva: Mein Name ist Eva. | |
taz: Was glaubst du? | |
Junge: Es ist aber ein Mann. | |
Adele: In unserem Kunstwerk kann man selbst bestimmen, wer man in seiner | |
Seele ist. | |
Junge: Sieht man aber, dass es ein Mann ist. | |
Eva: Was du siehst, ist nur, was du weißt. Ich bin niemals in meinem Leben | |
auch nur so was ähnliches wie ein Mann gewesen. | |
Adele: Es gibt eine gewisse Frostigkeit in Weimar. Auch bei den Fremden, | |
den Touristen, die herkommen. | |
Eva: In den anderen Städten wundern sich die Leute mehr. Kultur kommt doch | |
von Wundern. Vom Staunen. | |
Adele: Wir müssen gucken, dass das ein bisschen aufgewärmt wird. | |
taz: Nun ja, es ist eben ein Ort der Schriftkultur. Da sind Sie als Ikonen | |
des Ephemeren vielleicht etwas fehl am Platz. | |
Adele:(zögert lange) Nein. Nein. Wenn Sie wüssten, wieviel Schreiben wir | |
auslösen! Man kann das Wort Schriftkultur doch heute gar nicht mehr | |
benutzen. Das konnte man vielleicht zu Goethes Zeiten. Heute ist doch die | |
Schrift so zeit- und ortlos wie wir selbst. | |
taz: Sind es die vielen Männer in ihrer Dominanz, Goethe, Schiller, | |
Wieland, Herder, die diesen Ort so frostig machen? | |
Eva: Da mag was dran sein, dass hier das Männliche den Boden und den Ort | |
beherrscht – bis hin zu Adolf Hitler, der ja auch ein Liebkind von Weimar | |
war. Es gibt solche Orte. Wir haben das auf unseren Reisen öfters | |
festgestellt. Es gibt weiblichere Orte – besonders in Amerika. Und dann | |
gibt es natürlich Kulturen, wo Frauen relativ wenig zu lachen haben. | |
taz:Und gehört Weimar dazu? | |
Adele: Ja. | |
taz: Wer war Goethe? | |
Adele: Es ist ja bekannt, dass er die aufkommende Moderne als krankhaften | |
Auswuchs der Fantasie bezeichnet hat. | |
Eva: Für uns scheint Goethe ein großer Buchhalter gewesen zu sein. Schiller | |
ist hier früh zu Grunde gegangen. | |
Adele: Er war auch der größere Dramatiker. | |
taz: Sie haben sich lieber an Hölderlin gehalten. Als Sie vor zehn Jahren | |
von der Zukunft herüber kamen und erst einmal nach Griechenland | |
weiterfuhren, haben Sie erzählt, Sie seien auf der Suche nach einer „Welt | |
aus Wirklichkeit und Künstlichkeit“. Findet man diese Welt auch in Weimar? | |
Eva: Kunst und Natur sind Stempelbegriffe in unserem Werk. Wir sind eine | |
natürliche Künstlichkeit und eine künstliche Natürlichkeit. | |
taz: Gehen Sie als Romantikerinnen durch die stehen gebliebene Klassik? | |
Adele: Wir bezeichnen uns nicht als Romantikerinnen. Es gibt den schönen | |
Filmsatz: „Wer anderen Träume schenken möchte, muss selbst ein sehr großer | |
Realist sein.“ | |
Eva: Wir agieren in einem ununterbrochenen Film, in dem wir zugleich Regie | |
führen. Der Film beginnt morgens um fünf und endet irgendwann ... | |
Frau: Ich find das toll. | |
taz: Was finden Sie toll? | |
Frau: Ja, die zwei, wie sie angezogen sind. Alles so. Ich hab die schon mal | |
imFernsehen gesehen, nicht?! | |
Eva & Adele (nicken) | |
taz: Wissen Sie, wer das ist? | |
Frau: Nein. | |
taz: Das sind Eva & Adele. | |
Eva: Ich bin Eva. | |
Adele: Ich bin Adele. | |
Frau: Eva & Adele? Aber Sie waren schon mal im Fernsehen, oder? | |
Eva & Adele: Ja. | |
Frau: Toll. | |
Frau: Die Jacken finde ich nicht so gut. Sind das echte Pelzjacken? | |
Eva: Ja. Echte Jacken in einem echten Kunstwerk. | |
Frau: Ich find das nicht so gut, wenn man sich damit in die Öffentlichkeit | |
stellt. | |
Eva: Warum denken Sie, dass wir so ein Material nehmen? | |
Reiseführer: Hallo!! | |
Frau: Also, ich muss jetzt weiter. Aber ich bin ein Gegner von so was. | |
Adele: Wir schützen unsere Haut damit. | |
Eva: Es geht um Humanismus. In einer Welt, wo Menschen wie wir verfolgt | |
werden ... | |
Adele: ... können ... | |
Frau: Also nee, das würde ich nun nicht sagen, nee ... | |
Eva: ... weisen wir darauf hin, dass gerade Menschen, die Tiere schützen, | |
oft die größten Gegner von Menschen sind. | |
Frau: Nee, nee. Das würde ich nicht so eng sehen. Ich schütze auch die | |
Menschen. Aber ich muss jetzt los. | |
Adele (liest aus einem Brief an Eva & Adele vor „Die Brücke, die Höhle, die | |
Gartenhäuser aus der Ferne. Die Shakespeare-Figur und schließlich der | |
Schlangenstein. Umschmeichelt von Blättern, Sonnenlicht und Sphärenklängen. | |
Da musste ich allein sein, den Geist des Ortes atmen, wirken lassen und | |
gehe für mich und sehe zwei Fabelwesen auf mich zuschreiten. Eva & Adele | |
lustwandeln im Park. Komplimente, Foto, Kärtchen. Dann entschweben sie | |
golden im Blättergrün. Ich sitze auf einer Bank und staune, da erscheinen | |
zwei Männer all dressed in black. Ich zwinkere dem einen zu, und er zieht | |
mich ins Gespräch. Lange noch kann ich nicht still sitzen und begebe mich | |
mit einem neuen Glauben an Feen und Kobolde, Geheimnisse in der Natur, dem | |
Schicksal, auf den Tempel im Garten zu, das Original, und durchstreife die | |
einfachen Räume. Der Arbeitsplatz mit Blick über die Wiese zum Fluss, wo | |
Fräulein von L. sich ertränkte. Welche Huldigung dem Dichter. Im Garten, | |
endlich, die Glückskugel gefunden. Ich danke für das zauberhafte | |
Zusammentreffen. Herzlich, Susanne.“ | |
taz: Wunderschön. | |
Eva: Jetzt wird unser Regenschirm wieder zum Sonnenschirm, der er doch | |
eigentlich ist. | |
taz: Meine Fragen sind mir ausgegangen. | |
Adele: Sie scheinen die Sonne herbeigefragt zu haben. Eben sah es doch noch | |
ganz finster aus. | |
taz: An der Ilm steht eine kleine Kopie dieser Welt. Goethes Gartenhaus, im | |
Verhältnis eins zu eins nachgebaut. Mögen Sie es? | |
Adele (lacht): Mögen?! | |
Eva: Ja, das Thema der Kopie ist ja ein absolutes im digitalen Zeitalter. | |
Und wir selbst haben dieses Thema auch schon einmal aufgegriffen. Da sind | |
Eva & Adele in der Berliner Ausstellung „Metropolis“ zu viert erschienen. | |
Eva & Adele haben sich selbst kopiert. Das zweite Gartenhaus ist ein sehr | |
zeitgemäßer Beitrag zum Kulturjahr. | |
Fritz von Klinggräff, 40, lebt nach zwei Jahren bei der taz Bremen jetzt | |
als freier Journalist in Weimar | |
14 Aug 1999 | |
## AUTOREN | |
Fritz von Klinggräff | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |