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# taz.de -- Der Glückstreffer im Golfkrieg
Nur um Sekundenbruchteile verfehlte eine Bombe der US-Armee während des
Golfkriegs ihr eigentliches Ziel und traf stattdessen ein geheimes Labor.
Ausgerechnet dort ließ Saddam Hussein an einer Atombombe basteln. Das
Nuklearprogramm des irakischen Diktators war damit im Kern zerstört. Die
Recherchen zweier britischer Journalisten erscheinen diese Tage auch in
Deutschland Von Stefan Schaaf
Sicher noch fünf oder sechs, wenn nicht gar zehn Jahre sei Saddam Hussein
vom Bau einer Atombombe entfernt, lautete die beruhigende Auskunft des
US-Geheimdienstes CIA nach dem Einmarsch der irakischen Truppen in Kuwait.
Schließlich hatten die Israelis ja den irakischen Atomreaktor Osirak
zerstört, bevor dort waffenfähiges Plutonium produziert werden konnte;
außerdem hatte die Internationale Atombehörde (IAEA) seit Jahren im Irak
die vorgeschriebenen Inspektionen durchgeführt. Die Sorge der Geheimdienste
galt vielmehr den vermutlich erheblichen Vorräten von chemischen und
biologischen Kampfstoffen im Waffenarsenal Saddam Husseins.
Erst fünf Jahre später erfuhr die CIA, dass an einem jener Tage im Herbst
1990 dem irakischen Diktator schon ein Modell eines Atomsprengsatzes
vorgeführt wurde. Es muss eine gespenstische Szene gewesen sein: In einem
seiner komfortablen Wohnmobile, in denen Saddam sich gern durch das
nächtliche Bagdad kutschieren ließ, rollte er einen silbrig glänzenden
Ball, in dem sich sein schnurrbärtiges Antlitz spiegelte, über den Fußboden
– ein maßstabsgetreues Modell der ersten arabischen Atombombe, das Ergebnis
von Jahrzehnten Arbeit und Investitionen von 18 Milliarden Dollar.
Nur wenige Monate würde es dauern, bis der Sprengsatz einsatzbereit wäre.
Dafür waren die beiden anderen Anwesenden – Hussein Kamil, Saddams
Schwiegersohn, und der irakische Atomphysiker Jaffar Dhia Jaffar, der Vater
der irakischen Nuklearbombe – verantwortlich. In zwanzig geheimen Anlagen
arbeiteten siebentausend Wissenschaftler am irakischen Atomprogramm. Die
wichtigste, al-Athir, vierzig Kilometer südöstlich von Bagdad gelegen, war
bis dahin erfolgreich vor den westlichen Geheimdiensten verborgen
geblieben.
Ein Arsenal von fünfzig Atombomben wollte Saddam produzieren, dann, nach
dem Aufmarsch westlicher und arabischer Truppen in Saudi-Arabien, gab er
ein neues Ziel aus: Eine einzige Atomwaffe sollte ihm ausreichen, um die
Golfkriegs-Allianz abzuschrecken. Seine Feinde würden, glaubte er,
kehrtmachen und davonlaufen. Dreißig Kilogramm hochangereichertes Uran aus
französischen und sowjetischen Lieferungen stand den irakischen
Wissenschaftlern zur Verfügung – wenn es erfolgreich aus den Brennstäben
extrahiert würde, genug für drei Nuklearsprengsätze.
Die IAEA hatte stets bezweifelt, dass die irakischen Uranvorräte, die sie
alle sechs Monate inspiziert hatte, vom Irak für unerlaubte Zwecke
verwendet werden könnten. Ein großer Irrtum: Spätestens im April 1991, hieß
es in einem Schreiben aus den Labors von al-Athir, sei die irakische Bombe
einsatzbereit. Saddam Hussein verlangte gar, dass die Spezialisten ihre
Arbeit bis Februar abgeschlossen haben sollten.
An der Wand von Saddams Wohnmobil hing eine Karte des Irak samt seiner „19.
Provinz“ – dem Scheichtum Kuwait. Ein rotes Fähnchen markierte einen Punkt
an der Ringstraße, die um Kuwait City führte. Dort, so hatte Saddam es sich
überlegt, sollte „Ground Zero“ sein. Denn eines konnten die irakischen
Wissenschaftler nicht ermöglichen: einen Atomsprengsatz von so geringem
Gewicht zu bauen, dass er auf die Spitze einer Scud-Rakete montiert und
über große Entfernungen hätte abgeschossen werden können. Saddam träumte
auch davon, die Bombe per Schiff in die Bucht der israelischen Küstenstadt
Haifa zu bringen, doch es war längst klar, dass eine solche Fracht nicht
unentdeckt an der im Persischen Golf aufgefahrenen gegnerischen Armada
vorbei und durch den Suez-Kanal geschmuggelt werden könnte. Es kam nicht
dazu. Die irakische Bombe wurde nicht fertig gestellt, denn durch einen
Zufall wurde eines der entscheidenden Labors in der zweiten Nacht des
Luftkriegs gegen Saddam zerstört. Im Atomforschungszentrum Tuwaitha war das
metallurgische Testlabor LAMA verborgen, das einen der entscheidenden
Schritte bei der Verarbeitung des Bomben-Urans zu leisten hatte. Der Pilot
eines US-amerikanischen F-117-Tarnkappenbombers warf unbeabsichtigt eine
Bombe auf das Labor ab. Sein vorgesehenes Ziel hatte er um
Sekundenbruchteile verfehlt und damit Saddams Atomprogramm im Kern
getroffen.
Hussein Kamil, der mit der ältesten Tochter Saddams verheiratet war, hatte
seit Anfang der Achtzigerjahre als Industrieminister die politische
Verantwortung für das Atomprogramm inne. Bis dahin war es vor allem von
Rückschlägen geprägt gewesen: Seit Mitte der Siebzigerjahre verhandelte der
Irak mit Frankreich über den Kauf eines nuklearen Versuchsreaktors. Doch im
April 1979 sprengten israelische Agenten die zur Verschiffung bereiten
Reaktorkerne in einem Lagerhaus bei Toulon an der Côte d'Azur in die Luft.
Und 1981 bombardierten israelische Flugzeuge den gerade fertig gestellten
Osirak-Reaktor in Bagdad. Mehrere Atomwissenschaftler des Irak waren unter
teilweise mysteriösen Umständen ermordet worden. Hussein Kamil sollte nun
Dampf machen.
Er begann seine Suche nach Experten, die ihm dabei helfen konnten, beim
deutsch-britisch-niederländischen Konsortium Urenco. Zwei deutsche
Wissenschaftler, Walter Busse und Bruno Stemmler, erläuterten den Irakern,
wie man in riesigen Zentrifugen-Anlagen Uran so weit anreichert, dass es in
einer Atombombe verwendet werden kann. Diese Technologie war kompliziert
und teuer, aber deutsche Firmen wie H + H Metalform, Degussa, Leybold
Heraeus oder Siemens waren sehr kooperativ. Saddam hatte fünfhundert
Millionen Dollar bereit gestellt, für die in Deutschland Technologie
geordert werden sollte. Unternehmen wie die Frankfurter Havert Consult
bauten Fabriken zur Produktion von Raketentreibstoff, und die Firma Leico
verbesserte die Antriebe der irakischen Scud-Raketen. Einige dieser Firmen
und ihre Manager landeten später vor Gericht und wurden verurteilt.
Doch Hussein Kamil ging nicht nur in Deutschland auf Einkaufstour. Firmen
aus Frankreich, Italien, Brasilien und der Schweiz lieferten Komponenten
für das Atomprogramm. Auch britische und US-amerikanische Unternehmen
rüsteten den Irak während des achtjährigen opferreichen Krieges gegen den
Iran auf. Irakische Wissenschaftler informierten sich bis 1989 bei
Forschungsaufenthalten an westlichen Universitäten und auf internationalen
Symposien über den neuesten Stand der Atomwaffenphysik. Was der Irak nun
brauchte, war Geld. Im Krieg gegen den Iran hatte Bagdad achtzig Milliarden
Dollar Schulden angehäuft. Ohne zusätzliche Finanzmittel war das
Atomwaffenprogramm von Saddam Hussein nicht länger aufrechtzuerhalten.
Im April 1990 gab Saddam den Befehl, einen Plan zur Eroberung der „19.
Provinz“ auszuarbeiten. Am 2. August marschierten seine Truppen in Kuwait
ein. Zwanzig Millionen Dollar pro Tag brachten die kuwaitischen Ölfelder
ein, und die Tresore des Scheichtums waren vollgestopft mit Gold und
Devisen. Doch einen großen Teil der Schätze des Scheichtums hatten dessen
Herrscher mit ins Exil genommen. Als der Krieg zu Ende war, hatte Saddam
Kuwait räumen müssen. Viele Einrichtungen des Atomprogramms waren durch die
Bombardements der Alliierten zerstört worden. Aber sie lagen alle jenseits
der Linie, bis zu der die alliierten Bodentruppen vorgerückt waren.
Relevanter sollte sein, dass einige der wichtigen Atomexperten des Irak
während des Krieges außer Landes geflohen waren und nun bei den westlichen
Geheimdiensten auspackten. Zum ersten Mal erahnte die CIA das wahre Ausmaß
des irakischen Nuklearprogramms. Der dickste Fisch ging dem Westen im
August 1995 ins Netz. Hussein Kamil hatte sich bei der Niederschlagung des
Kurdenaufstands im Nordirak bewährt und wurde in Bagdad immer häufiger als
Nachfolger Saddams gehandelt. Oft waren beide auf den Titelseiten der
Zeitungen abgebildet. Dies hatte den Zorn und Neid von Saddams ältestem
Sohn Udai erregt. Udai war gefährlich und regelte derlei Streitigkeiten
gern in bester Wildwest-Manier: mit der Waffe.
Hussein Kamil ahnte, dass sein Leben in Gefahr war und entschloss sich zur
Flucht. Mit zwei Töchtern Saddams und etlichen Millionen Dollar sowie
geheimen Dokumenten im Gepäck rauschte sein Mercedes-Konvoi unbehindert
über die Grenze nach Jordanien. Dort bot er den Amerikanern an, all sein
Wissen preiszugeben. Er hoffte, dass die USA letztlich bestimmen würden,
wer den Irak nach Saddam regieren würde. Drei Monate lang wurde er in Amman
verhört und schilderte das wahre Ausmaß des irakischen Atomprogramms. Von
ihm ist die Schilderung der nächtlichen Vorführung des Bomben-Modells in
Saddams Wohnmobil. Seine Aussagen wurden damals von den Amerikanern mit
großer Skepsis aufgenommen. Inzwischen wurden sie von vielen hochrangigen
Überläufern bestätigt.
Zwei britische Journalisten, Shyam Bhatia vom Observer und Daniel McGrory
von der Times konnten so erstmals die Geschichte des irakischen
Nuklearprogramms und der für es verantwortlichen Mitglieder des
Saddam-Clans aufschreiben. „Saddams Bombe“ erscheint gleichzeitig in
Deutschland und in Großbritannien. Ein Thriller ohne Happy End. Die
Bauteile für die Bomben wurden von den Inspektoren der UN und der IAEA bis
heute nicht gefunden. Sie sind in LKWs versteckt, die Tag und Nacht im Irak
unterwegs sind. Tausende von Atomwissenschaftlern sind im Irak geblieben.
Und Saddam ist weiter an der Macht.
9 Oct 1999
## AUTOREN
Stefan Schaaf
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