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# taz.de -- Die Elfenbeinküste ist das wichtigste Land des frankophonen Afrika…
Die tropische Nacht war schwül, das Diskussionsthema auf der Terrasse einer
europäischen Botschaftsresidenz in Abidjan heiß. Ein führender Aktivist der
radikalen Opposition der Elfenbeinküste erklärte seinen Gesprächspartnern,
darunter einem taz-Reporter, das „Modell Mali“: Ein gütiger General stürzt
ein verhasstes Regime und öffnet den Weg zur Demokratie. So war 1991 im
Sahelstaat Mali der Diktator Moussa Traoré entmachtet worden. Und jetzt
sollte auch die Elfenbeinküste in den Genuss eines solchen Wandels kommen.
Im Oktober 1995 war es dort fast so weit, aber Präsident Henri Konan Bédié
reagierte rechtzeitig: Einen Tag vor den von der Opposition boykottierten
Präsidentschaftswahlen vom 22. Oktober 1995 entfernte er den vermeintlichen
Drahtzieher eines Putsches von seinem Posten: Armeechef Robert Guei. Und
alle Beteiligten wahrten über die peinliche Episode Stillschweigen.
Jetzt hat Guei seine Revanche vollzogen. Der einstige Armeechef hat den
Präsidenten gestürzt. Ein alter Plan der radikalen Systemgegner in der
Elfenbeinküste ist wahr geworden, und damit steht auch das Machtgefüge im
frankophonen Afrika zur Disposition.
Henri Konan Bédié, der im Dezember 1993 die Nachfolge des verstorbenen
ersten ivoirischen Präsidenten Felix Houphouet-Boigny angetreten hatte,
genoss nie so viel Respekt wie sein in ganz Afrika verehrter Vorgänger. Der
hatte die Elfenbeinküste zu einer Oase des Friedens und zum Schaufenster
Westafrikas gemacht. Millionen von Migranten kamen aus ärmeren
Nachbarstaaten wie Mali und Burkina Faso, schufteten in den
exportorientierten Kakaoplantagen und halfen beim Bau der glitzernden
Hochhäuser von Abidjan.
Bédié erbte 1993 ein Land voller Möglichkeiten. Aber er setzte nur die
Irrwege der letzten Jahre Houphouet-Boignys fort. Schließlich hatte der
sich zum Schluss in größenwahnsinnige Pharaonenprojekte gestürzt. Zudem
akzeptierte dessen stalinistisch geprägte PDCI (Demokratische Partei der
Elfenbeinküste) das Mehrparteiensystem nur spät und widerwillig. Bei seiner
Machtübernahme verkündete Bédié keinen demokratischen Frühling, sondern den
kommenden Aufstieg des „Elefanten Afrikas“ zur Industrienation. In den
folgenden Jahren blühte demnach nicht die Freiheit, sondern die Korruption,
während sich die soziale Situation der meisten Bürger verschlechterte. Es
gab zwar ein Mehrparteiensystem, aber weder eine funktionierende
Gewaltenteilung noch einen Rechtsstaat.
Statt der Öffnungspolitik Houphouet-Boignys erfand Bédié die
Staatsideologie der ivoirité. Sie besagt, dass in der Elfenbeinküste, der
„Côte d’Ivoire“, nur Einheimische, „Ivoirer“ eben, etwas zu suchen h…
Die Millionen Nachkommen von Zuwanderern sind dagegen unerwünscht. Nicht
ohne Grund haben französische Beobachter Parallelen zwischen der ivoirité
und der préférence nationale der französischen Rechtsextremisten entdeckt
und Vergleiche zwischen Henri Konan Bédié und Jean-Marie Le Pen gezogen.
Bédié selbst nannte es „befriedete Demokratie“, aber es erwies sich als d…
Gegenteil – ein permanenter latenter Bürgerkrieg zwischen „richtigen“
Ivoirern und „Fremden“. Auf allen Ebenen wurden „Nicht-Ivoirer“ oder
solche, die man aufgrund ihres Namens oder ihres Aussehens dafür hielt,
diskriminiert. Polizisten zerrissen ihre Personalausweise, da angeblich
gefälscht. „Nicht-Ivoirern“ wurde das Vererben von Eigentum erschwert.
Mehrere zehntausend Bauern wurden ins Ausland „zurückgeschickt“. Zuletzt
verlangte die Regierung von allen Staatsangestellten, die Namen ihrer
Eltern zu nennen, zwecks „Säuberung“ des Staatsapparates.
Am folgenreichsten war die Änderung des Wahlrechts, wonach nur noch
„Ivoirer“ das passive Wahlrecht genießen sollen – und im Falle des
Präsidentenamtes nur solche, deren Eltern ebenfalls in der Elfenbeinküste
geboren sind. Die Absurdität ist evident, da die Elfenbeinküste erst seit
1960 existiert. Die Wahlrechtsänderung hatte eigentlich nur eine Funktion:
Den gewichtigsten Gegner Präsident Bédiés auszuschalten – Alassane
Ouattara, der 1990 bis 1993 unter Houphouet-Boigny Premierminister war. Er
hätte gute Chancen gehabt, die nächsten Präsidentschaftswahlen im Oktober
2000 zu gewinnen. So entschied das Regime, dass Ouattara kein „Ivoirer“
sei, sondern aus Burkina Faso komme.
Immer tiefer stürzte sich Bédié in den Kampf gegen Ouattara, nachdem dieser
im August seine Präsidentschaftskandidatur anmeldete. Im Oktober wurde
Ouattaras ivoirische Staatsangehörigkeitsurkunde für ungültig erklärt. Die
Führung seiner Partei RDR (Sammlung der Republikaner) wurde verhaftet und
im November zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Anfang Dezember wurde
gegen Ouattara, der in Frankreich weilt, Haftbefehl erlassen.
Seine Gegner radikalisierten sich auch. Zuerst warnte die Opposition
lediglich immer wieder vor einem ethnischen Bürgerkrieg. Anfang November
schloss sie sich zu einem Bündnis „Kräfte des Wandels“ zusammen und sagte,
die Regierung Bédié sei „im Begriff, ein faschistisches Regime zu
installieren“. Im Dezember rief Ouattara Bédié zum Rücktritt auf – eine
Absage von der Hoffnung auf einen Machtwechsel durch Wahlen. Seine letzte
Chance verpasste Bédié am 22. Dezember, als er in einer vorgezogenen
Neujahrsansprache die gefangenen Oppositionsführer nicht wie erhofft
amnestierte. Die Würfel für seinen Sturz waren damit gefallen.
Erlebt nun die Elfenbeinküste also doch das „Modell Mali“ – Putsch und
friedliche Demokratisierung? Wenn es gelingt, wären die Auswirkungen auf
Afrika enorm. Die Elfenbeinküste ist das wichtigste Land des frankophonen
Afrika. Funktioniert der Systemwechsel dort, ist für die anderen
frankophonen Staaten wieder einmal der Beweis erbracht, dass das Gewehr
mehr erreicht als die Wahlurne. Zuletzt war diese Überzeugung 1997
umgegangen, als im damaligen Zaire Diktator Mobutu von Laurent Kabila
gestürzt wurde. Kabilas Attraktivität schwand schnell. Aber die
Elfenbeinküste ist reicher als Kongo, und Guei ist klüger als Kabila.
„Demokratie ja; Anarchie unter dem Deckmantel der Demokratie nein“, lautete
1994 die Maxime des französischen Außenministers Roland Dumas, mit der er
die Grenzen der politischen Liberalisierung Afrikas zeichnete. Viele der
afrikanischen Freunde Frankreichs interpretierten das als grünes Licht für
Diktatur unter dem Deckmantel der Demokratie. Die Ereignisse in der
Elfenbeinküste zeigen, dass dieser Weg früher oder später scheitert. In
Abidjan hat Afrika zu Weihnachten 1999 ein Stück Hoffnung zurückgewonnen.
Dominic Johnson
27 Dec 1999
## AUTOREN
Dominic Johnson
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