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# taz.de -- Pinochet erhebt sich aus dem Rollstuhl
> Mit Marschmusik begrüßen die chilenischen Militärs ihren Ex-Vorgesetzten
> Augusto Pinochet auf dem Flughafen in Santiago. Nach 503 Tagen Arrest ist
> er zurück – inzwischen sind 60 Klagen bei chilenischen Gerichten gegen
> den 84-Jährigen anhängig
aus Santiago de Chile INGO MALCHER
Während des ganzen Morgens spielt die chilenische Luftwaffe das Spiel, das
sie am besten kann: Verstecken. Von Minute zu Minute ändert sich die
Uhrzeit, zu der Augusto Pinochet in Chile landen soll, und der Ort. Erst
langsam füllt sich der Militärflughafen von Santiago. In langen
Autokolonnen treffen ranghohe Militärs, Kinder und Enkel des Ex-Diktators
ein.
Alles steht bereit: Rollstuhl, Militärkapelle, Hubschrauber. Je später es
wird, umso unruhiger werden die Freunde des Generals. Kleinkinder
langweilen sich, die Ehefrauen der Generäle suchen im Schatten Schutz vor
der beißenden Sonne. Plötzlich tauchen am Himmel vier Lichter auf, da ist
sie, die Boeing der chilenischen Luftwaffe. Mit einem lauten Rumms setzt
sie auf. Die über 300 geladenen Gäste klatschen, langsam öffnet sich die
Tür des Flugzeugs, und dann steht er auf einmal da und lächelt: Augusto
Pinochet ist nach 503 Tagen im Londoner Arrest wieder nach Chile
zurückgekehrt.
Gestützt auf eine Krücke schleppt er sich zu den auf ihn wartenden
Generälen und umarmt sie. Der Empfang am Flughafen bleibt informell, keine
Reden, keine offiziellen Gesten. Schnell wird Pinochet in einen
bereitstehenden Puma-Helikopter gesteckt und in Richtung Militärkrankenhaus
geflogen.
Santiago ist am Tag von Pinochets Ankunft eine geteilte Stadt. Als der
Hubschrauber auf dem Dach des Militärkrankenhauses im noblen Norden der
Stadt aufsetzt, stehen Tausende auf der anderen Straßenseite, wedeln mit
der chilenischen Nationalflagge und halten farbige Pinochet-Porträts in die
Luft. „Pinochet ist unsterblich“, steht auf einem Transparent. Aus
unzähligen Kehlen ertönt ihr Schlachtruf der vergangenen 17 Monate:
„Chchichi-Lelele, Viva Chile Pinochet!“ Schon die ganze Nacht haben sie
hier gestanden, Champagner getrunken und gefeiert, gesungen und Parolen
gegrölt.
Auf dem Bürgersteig liegen die Papierschnipsel vom Freudenfest der
vergangenen Nacht: „Viva Pinochet“ steht darauf. Jugendliche in
Militäruniform tanzen auf der Straße. Daneben beäugen ihre Eltern stolz den
wohlgeratenen Nachwuchs. „Ich bin so froh, dass Pinochet uns vor dem
Kommunismus gerettet hat“, sagt eine alte Frau, die immerhin aus der
südlichen Stadt Puerto Montt angereist kam – allein um dem General die Ehre
zu erweisen.
Im Stadtzentrum, gegenüber dem Präsidentenpalast, gibt es nichts zu feiern.
Auch hier hat man die Nacht durchgemacht. Allerdings aus Verbitterung über
die Rückkehr Pinochets. Angehörige von Diktaturopfern und
Menschenrechtsgruppen haben eine Mahnwache gehalten. Kerzen wurden
angezündet, dazwischen lagen die Schwarzweißporträts von Opfern des
Pinochet-Regimes. Wer hat sie ermordet, wann? Und vor allem, wo liegen ihre
Leichen?
„Gerichtsverfahren jetzt!“, fordern die Menschenrechtsgruppen, dabei wissen
auch sie, dass das nur sehr schwer zu machen ist. Am Donnerstag wurde
Anzeige Nummer 60 gegen Pinochet beim zuständigen Richter Juan Guzmán
abgegeben. Und eine Gruppe von Anwälten will mit einer Eingabe beim
Obersten Gerichtshof erreichen, dass Pinochet seinen Posten als Senator auf
Lebenszeit räumen muss. Einer der Initiatoren, der sozialistische
Abgeordnete Juan Bustos, sagt außerdem: „Chile hat jetzt die Verantwortung,
Pinochet vor Gericht zu stellen.“ Dies sei möglich, da es in der
chilenischen Strafprozessordnung keine Regelung gäbe, die einen Prozess aus
humanitären Gründen verhindern könnte.
Mit der Rückkehr von Pinochet hat der scheidende Präsident Eduardo Frei
sein Versprechen eingelöst, Pinochet noch vor Ablauf seiner Amtszeit nach
Hause zu holen. „Alle unsere Anstrengungen, um Pinochet nach Chile zu
holen, haben wir gemacht, damit ein chilenisches Gericht das Recht anwendet
und nicht ein Gericht eines anderen Landes“, erklärte Frei. Er fuhr fort:
„Kein Chilene steht über dem Gesetz. Aber es werden die chilenischen
Gerichte sein, die feststellen, ob Pinochet verantwortlich für die
Verbrechen ist, die man ihm vorwirft.“
Mit der Rückkehr von Pinochet hat Frei seinem sozialistischen
Amtsnachfolger ein großes diplomatisches Problem abgenommen – dafür hat er
ihm ein innenpolitisches überlassen.
4 Mar 2000
## AUTOREN
INGO MALCHER
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