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# taz.de -- Der Körper als Spektakel
> Der entrückte Superstar zwischen Zurschaustellung und Vereinnahmung: In
> seinem Prozessfilm „Erin Brockovich“ zeigt Steven Soderbergh den Körper
> von Julia Roberts als Fetisch, der sich nicht in die Erzählung einfügen
> will
von KERSTIN STOLT
In Robert Altmans Hollywoodeske „The Player“ muss sich der Produzent
Griffin Mill eine Menge Filmideen anhören, aber egal, ob es um „Die
Reifeprüfung, Teil 2“ oder einen Filmstar auf Safari geht, alle sind sich
einig: Die weibliche Hauptrolle sollte am besten Julia Roberts spielen. Das
war 1992, zwei Jahre nach „Pretty Woman“, und Roberts war das neue Synonym
für den weiblichen Star, als Hure mit Herz wurde sie zur bekanntesten
Schauspielerin Hollywoods. Mehr noch: Sie wurde auf eine Persona
festgelegt, die sie in den folgenden Jahren variiert, konterkariert und
bekämpft hat, Letzteres aber ohne Erfolg.
Nach „Mary Reilly“ und „Michael Collins“ (beide 1996) hat man deshalb
aufgegeben, Roberts unter Häubchen und Hüten zu verstecken. Stattdessen
wird sie regelmäßig als Traumfrau ausgestellt, was sich im Rahmen einer
Liebesgeschichte immer noch am besten rechtfertigen lässt. Sicher, sie ist
nicht mehr ganz so ein Schaf wie früher. Wenn sie gegen andere Frauen
anspielt (wie in „Die Hochzeit meines besten Freundes“), kann sie sogar
gemein sein. Aber letztlich fällt sie immer wieder auf dieselbe Rolle
zurück: ein unerreichbares Wesen, das sich dann als zutraulich und
paarungswillig erweist. Wie heißt es in „Notting Hill“: „Ich bin auch nur
ein Mädchen, das vor einem Jungen steht, und ihn bittet, es zu lieben.“
Wenn man Roberts besetzt, handelt man sich also auch die entsprechende
Handlung ein, nämlich die scheinbare Gesundschrumpfung des Stars.
Überspitzt gesagt: Roberts’ Star-Persona besteht daraus, dass sie gegen
ihre eigene überlebensgroße Erscheinung anspielt. Das gilt auch für ihren
neuen Film „Erin Brockovich“, ein Drama um einen der größten Giftskandale
der USA. Sie erscheint darin als Kreuzung aus „Pretty Woman“ und der
blassen Jurastudentin aus „Die Akte“, nämlich als vulgäre Anwaltsgehilfin.
Aber sosehr diese Figur auch an andere Roberts-Vehikel gemahnt – bisher hat
noch keiner versucht, Roberts in einen Plot einzuspeisen, in dem ihre
Erscheinung kaum eine Rolle spielt, sie aber aussieht wie Vivian Ward,
bevor sie mit Richard Gere einkaufen war.
Dabei wird nicht nur die Taktik gefahren, Politik mit großen (falschen)
Brüsten zu verkaufen. Eher werden zwei Rezeptionsmodi gegeneinander
ausgespielt: Einerseits wird man angehalten, den langwierigen Entwicklungen
eines Zivilprozesses zu folgen, andererseits muss man permanent in Roberts’
Ausschnitt starren. Schließlich schlägt selbst ihr Chef vor, dass sie sich
vielleicht etwas bedeckter kleiden möchte. Denn im Umfeld von Aktenbergen,
Bestechungsgeldern, toxischen Werten und Krebserkrankungen wirkt die ihre
körperliche Präsenz überschüssig. Sogar im romantischen Subplot ist ihre
spektakuläre Erscheinung funktionslos – der Freund kommt über den Status
eines Babysitters nie hinaus.
Brockovich selbst scheint sich ihres Äußeren auch kaum bewusst zu sein;
verbissen widmet sie sich ihren Recherchen, um „Pacific Gas and Electric“
zu Fall zu bringen. Und je länger man sie im Gespräch mit chemisch
verseuchten Arbeitern beobachtet, umso verfehlter erscheint der begehrliche
Blick auf sie. Vielleicht weil intime Einstellungen ebenso ausbleiben wie
der kokette Blick zurück. Auf jeden Fall werden Roberts’ knappe Oberteile
und die eigene Schaulust in den Verlauf der Handlung kaum mit einbezogen.
So gibt Soderbergh zwar den Körper zur Ansicht frei, führt zugleich aber
vor Augen, dass er sich als Fetisch nicht in die Erzählung fügt. Es bleibt
ein Überhang, der sich diesmal auch nicht wegheiraten lässt.
Der Rückgriff auf „Pretty Woman“ dient nicht nur dazu, die Verfügbarkeit
des weiblichen Körpers zu negieren. Zugleich wird auch eine andere Art
öffentlicher Frau projiziert. Die leicht beschürzte Brockovich hebt sich
schließlich wohltuend von einer hochgeschlossenen Anwältin ab. Was nicht
heißt, dass die Frau außerhalb der häuslichen Sphäre nur Nutte oder Klon
sein kann, sondern dass Miniröcke hier mit wahrer Menschlichkeit
zusammengehen. In Kombination mit Roberts großer Schnauze und ihrem
grenzenlosen Mitgefühl verspricht die Präsenz des weiblichen Körpers
offenbar ein besseres Gemeinwesen.
Allerdings ist der Blick auf ihn verstellt, solange man ihn bloß als
Spektakel wahrnimmt. Soderbergh zeigt deshalb, wie sehr der fetischisierte
Körper stört. Wie man die Frau in der Öffentlichkeit anders betrachten
kann, bleibt dagegen offen. Damit ist „Erin Brockovich“ immerhin schon
einen Schritt weiter als all die Roberts-Filme, in denen ihrer Entrücktheit
eine fadenscheinigen Gewöhnlichkeit entgegengesetzt wurde. Soderbergh
vermittelt nie die Illusion des anfassbaren Stars. Stattdessen betont er,
wenn nicht die Unheimlichkeit der überlebengroßen Frau, so zumindest ihre
Ungreifbarkeit. Nicht dass man sich damit abfinden soll. Aber
wahrscheinlich braucht es noch ein paar Roberts-Filme, bis sich zwischen
Zurschaustellung und Vereinnahmung des weiblichen Stars eine dauerhafte
Alternative auftut.
„Erin Brockovich“. Regie: Steven Soderbergh. Mit Julia Roberts, Albert
Finney u. a. USA 2000, 127 Min.
6 Apr 2000
## AUTOREN
KERSTIN STOLT
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