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# taz.de -- Outlaws auf Inline-Skates
> Alle zwei Wochen pilgern Zehntausende Berliner zur Blade Night. Die
> Grünen luden Experten zur Diskussion über verkehrspolitische Perspektiven
von RICHARD ROTHER
Zwei Mal im Monat treffen sich in der Hauptstadt Inline-Skater zu einer
Demonstration – die Blade Night zieht dort, wo morgen Hunderttausende Raver
ihre Love Parade feiern, regelmäßig Zehntausende Menschen in ihren Bann.
Die Skate Parade, die im Berliner Tiergarten startet, ist zur größten
Demonstration auf Rollen geworden. Die politischen Ziele des Veranstalters:
Skates endlich als Verkehrsmittel anerkennen und in den Straßenverkehr
integrieren. Schließlich sind Skaten und Skate Parades längst ein
Massenphänomen geworden, nicht nur in Berlin. Schätzungsweise 12 Millionen
Skater gibt es bundesweit. 12 Millionen Sportbegeisterte, die zum Teil
gezwungen sind, sich rechtswidrig zu verhalten: denn sie gelten nicht als
Fußgänger (sobald sie schneller als Schrittgeschwindigkeit rollen) und
nicht als Radfahrer – Outlaws auf Inlinern.
Dass aber die Straßenverkehrsordnung (StVO) nicht in Tempo 100 reformiert
wird, wurde auf einer öffentlichen Anhörung im Berliner Reichstag deutlich.
Diese hatte der sportpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Winfried
Hermann, am Mittwochabend organisiert – kurz vor der Blade Night. Dabei
sind die Fragen, um die sich Verkehrsexperten aller Couleur seit Jahren
leidenschaftlich streiten, immer die gleichen: Ist Inline-Skating eine
Modeerscheinung, die ohnehin wieder von selbst verschwindet? Sind Skates
ein Verkehrsmittel oder ein Sportgerät? Wo sollen Skates fahren dürfen: auf
der Fahrbahn, den Radwegen oder den Bürgersteigen?
Eines ist zumindest unumstritten: Skates sind ein umweltfreundliches
Fortbewegungsmittel, und Skating ist gesund. Die Untersuchungen des
Hamburger Sportwissenschaftlers Volker Nagel haben ein überraschendes
Ergebnis gebracht: Mehr als zwei Drittel aller Skater sind Frauen im Alter
zwischen 25 und 55 Jahren, die „sich mal wieder bewegen wollen“. Skating
ist also kein Jugendtrend, sondern ein Massensport. Grund: Die moderne Form
des Rollschuhlaufens ist – zumindest anfänglich – leicht erlernbar.
Gesundheitlich gesehen ist Skating wertvoll: Es regt den Kreislauf an,
aktiviert Muskeln und Sinne und ist gelenkschonender als Joggen. Sogar die
Unfallquote ist um ein Vielfaches geringer als beim Freizeitfußball. Nagel
attestiert der großstädtischen Bevölkerung jedoch ein „gravierendes
Bewegungsdefizit“. Den Menschen fehlt, was jedem Kampfhund zugestanden
wird: Auslauf. Die meiste Zeit verbringen sie sitzend in Büro oder Schule,
in Auto oder Bus, zu Hause oder im Kino. Die negativen gesundheitlichen
Folgen sind bekannt. Für Nagel ist deshalb klar: Skating müsse besonders
gefördert werden.
Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD), der nicht skatet, hat
allerdings noch ein Wörtchen mitzureden. Nach der geltenden Rechtslage
seien Skates besondere Verkehrsmittel wie Kinderroller und ähnliches, sagt
Anke Leue, Regierungsrätin im Ministerium. „Skater müssen deshalb auf den
Fußweg.“ Ist der Bürgersteig nicht frei, müssen sie dort im Schritttempo
fahren, um niemanden zu gefährden. Die Rollschuhe auf Radwegen oder
Fahrbahnen zuzulassen, sei nach der Straßenverkehrszulassungsordnung nicht
möglich, da Skates keine Fahrzeuge seien. Zudem seien Bremsen, Beleuchtung
und Fahrverhalten problematisch. Oberste Priorität müsse die
Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer haben.
Das Problem des Ministeriums: „Uns liegen noch keine empirischen Daten über
Skates vor“, so Leue. Diese müsse man abwarten. Seit September 1999 führt
das Bundesamt für Straßenwesen eine auf zwei Jahre angelegte Untersuchung
zum Thema Skaten durch. Dabei soll geklärt werden, wie viele Skater zu
welchem Zweck unterwegs sind und welche Reibungspunkte es mit anderen
Verkehrsteilnehmern gibt. Ein Zwischenergebnis liegt zum Jahresende vor.
In Frankfurt am Main wurde bereits Vorarbeit geleistet. Im Juni wurde ein
zweijähriger Versuch beendet, bei dem Skates in Tempo-30-Zonen als
Verkehrsmittel zugelassen waren – auf einem drei Quadratkilometer großen
Areal im Nordend-Viertel. Die Ergebnisse des Versuchs sind überraschend und
für Skate-Freunde zum Teil ernüchternd: Trotz Werbemaßnahmen ist die Zahl
der Skater während des Versuchs nicht gestiegen. Lediglich ein Prozent der
Frankfurter Skater sind erreicht worden, weil das Gebiet zu klein war.
Zudem haben die Befragungen der Skater ergeben, dass Skates fast
ausschließlich als Sport- und Spielmittel und nicht als Verkehrsmittel
benutzt werden.
Die Frankfurter Skater sind zu 100 Prozent auf die Fahrbahn oder den Radweg
gewechselt. Unfälle hat es nicht gegeben, obwohl ein Drittel der Skater
Verkehrsregeln nicht beachtet hat – ein ähnlich hoher Wert wie bei
Radfahrern. Ulrich Schöttler, Leiter der Frankfurter
Straßenverkehrsbehörde: „Heute würde ich alle Tempo-30-Zonen der Stadt für
einen Versuch freigeben.“ Darüber hinaus organisiert die Stadt Frankfurt
regelmäßig Skate-Events.
Auch die Stadt Köln geht andere Wege als Berlin, wo öffentliches Skaten nur
im Rahmen einer Demonstration möglich ist. Regelmäßig werden in Köln
Straßen für Skater freigegeben. „Das erhöht die Attraktivität der Stadt,
für Bewohner und für Touristen“, weiß der Kölner Regierungspräsident Jü…
Roters.
Die Diskussion um das Skaten dürfe nicht auf die StVO reduziert werden,
forderte die neue Grünen-Chefin Renate Künast. In den Städten der Zukunft
müssten umweltfreundliche Verkehrsmittel Vorrang haben. „Skates gehören
dazu.“ Zunächst müssten aber mehr und vor allem großflächige Modellversuc…
durchgeführt werden, um Erfahrungen mit den Skatern zu sammeln. „Die
Menschen müssen große Städte auf Skates durchqueren können.“ Der
alternative Verkehrsclub VCD weiß auch schon, welche Stadt sich für einen
solchen Versuch eignet: Berlin. Hier gebe es nicht nur viele Skater, die
Berliner reagierten auch wegen der vielen Großveranstaltungen gelassener
als andere auf Verkehrseinschränkungen. Die Love Parade sei das beste
Beispiel, so der VCD.
7 Jul 2000
## AUTOREN
RICHARD ROTHER
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