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# taz.de -- Poet und Politiker
von SEVERIN WEILAND
Die Augen hinter den Brillengläsern blicken schelmisch. Die Augen eines
Mannes, der einem eine Geschichte erzählt um des Erzählens willen. Er ist
schließlich Schriftsteller. Dieser Schriftsteller, Antonio Skármeta, ist
seit kurzem auch noch Botschafter Chiles in Deutschland.
Wer spricht da jetzt zu einem? Nun, sagt der Schriftsteller, der seit
einigen Wochen also Botschafter des südamerikanischen Landes ist, nun, er
werde jetzt bald seinen ersten Brief schreiben an den Herrn
Bundespräsidenten. Er wolle Johannes Rau an ein Versprechen erinnern, das
dieser ihm bei seinem Antrittsbesuch gab: dass er, Skármeta, doch demnächst
eine Lesung im Schloss Bellevue abhalten solle. Diplomatisch werde der
Brief sein: „Natürlich“. Und dann lässt sich Skármeta auf das Sofa
zurückfallen und lacht, und der Schnäuzer hüpft und man ahnt, dass der
Brief, wenn er ihn denn schreibt, recht munter sein wird.
## Zweite Heimat Berlin
Antonio Skármeta ist zurückgekehrt in die Stadt, die ihm vierzehn Jahre
lang zweite Heimat war. Dabei hatte er sich doch 1989 geschworen, „für
immer“ in Chile zu bleiben. Jetzt sitzt er im vornehmen Hotel Ritz-Carlton
am Rande des Grunewalds, nicht als Exilant, sondern als „Repräsentant eines
demokratischen Landes“, wie er mit Genugtuung betont. Das Ambiente ist
luxuriös, die Räume wurden vom Modemacher Karl Lagerfeld gestaltet, der
Kaffee wird in silbernen Kannen serviert, stilgerecht wie die Umgebung.
Kaiser Wilhelm der Zweite blickt streng von einem Ölgemälde. Das Hotel, in
dem der Reporter und der Fotograf zum Termin erscheinen, ist Skármetas
vorläufige Unterkunft, die ihm die Botschaft zur Verfügung gestellt hat,
bis seine zweite Frau, eine Berlinerin, und sein elfjähriger Sohn aus
Santiago in zwei Monaten nachkommen und mit ihm in ein Haus in Wilmersdorf
ziehen.
Skármeta hat nicht lange überlegt, als ihm Ricardo Lagos, der zweite
sozialistische Präsident nach Salvador Allende in der Geschichte seines
Landes, den Posten eines Botschafters antrug: „In meinem Leben macht das
Sinn. Es ist eine runde Sache.“
Der Kreis schließt sich: 1975, nach einem Zwischenstopp in Argentinien, war
Skármeta als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in die
geteilte Stadt gekommen, eine Stadt „voller Melancholie und Energie“, wie
er sich erinnert. Wenn Skármeta über das Berlin von heute redet, kommt er
sehr schnell ins Schwärmen. Berlin sei „moderner, weltoffener“ geworden:
„Es gibt ein Klischee, aber es ist ein wahres. Früher nannte man Westberlin
eine Insel. Heute gibt es viele Inseln in der Stadt – den Potsdamer Platz,
Kreuzberg, Prenzlauer Berg, den Ku’damm. Mit einer U-Bahnfahrt kann man
Moderne und Tradition bereisen. Wo gibt es das schon?“
Berlin ist ein Ort, an dem sich das Persönliche und Berufliche im Leben
Skármetas gar nicht trennen lässt. Hier lebt sein Sohn aus erster Ehe mit
einer französischen Malerin. Hier lernte er seine jetzige Ehefrau kennen.
Und hier schrieb er seine bedeutendsten Bücher und Filmskripte, die ihn
bekannt machten und den Wiedereinstieg in Chile erleichterten. Sein größter
Erfolg wurde 1985 der Roman „Mit brennender Geduld“, die Geschichte eines
chilenischen Postboten, der mit Hilfe des Dichters Pablo Neruda das Herz
seiner Angebeteten gewinnt. 160.000 Mal wurde das Buch allein in
Deutschland verkauft. Fast ein Jahrzehnt später nahm sich der Regisseur
Michael Radford des Stoffes an und schuf mit einer veränderten Fassung den
Film „Il Postino“, der für 5 Oscars nominiert wurde.
Der Erfolg in der Folge von „Il Postino“ – sein Buch wurde in 25 Sprachen
übersetzt – kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Skármeta, wie manche
andere lateinamerikanische Autoren auch, ein wenig in Vergessenheit geraten
ist in Deutschland. Südamerika ist zur Zeit nicht sehr gefragt. Ein Grund
dafür mag auch darin liegen, dass Skármeta lange Zeit nichts mehr
veröffentlicht hat. Sein letztes Buch liegt sieben Jahre zurück. Nur eine
neue Geschichte hat er in einem Merian-Themenheft zu Berlin publiziert –
hier schildert er ironisch einen Besuch in einer Wohngemeinschaft in der
Kantstraße.
Nun wird Mitte August sein neuester Roman auf den deutschen Markt kommen:
Die „Hochzeit des Dichters“. Das Werk spielt kurz vor Beginn des 1.
Weltkrieges auf einer dalmatinischen Insel. Für sein Buch hat Skármeta vom
spanischenVerlag Plaza y Janes, der zu Bertelsmann gehört, einen der
höchsten Vorschüsse bekommen, der je in Chile gezahlt worden ist –
angeblich über 150.000 Dollar.
## Chile ist in der Welt
Es ist der erste Band einer Trilogie, an der Skármeta in den vergangenen
sieben Jahren gearbeitet hat. Geschrieben hat er vormittags, die Abende
gehörten der Geselligkeit: „Ich bin ein Mensch, der gerne ein Glas Wein mit
guten Freunden trinkt. Das ist mir sehr, sehr wichtig.“
Auf den Einwurf, sein Buch handele wie viele Bücher chilenischer Autoren
nicht vom heutigen Chile, er drücke sich vor der Auseinandersetzung mit der
jüngeren Vergangenheit, geht Skármeta mit entwaffnender Ironie ein: „Ich
werde dir sagen, was mein Buch mit Chile zu tun hat.“ Und dann erzählt er
anekdotenreich von seinem Großvater und dessen Cousin, die vor 1914 aus
Südosteuropa emigrierten – der Vater seines Vaters nach Chile, der Cousin
in die USA: „Hat das etwa nichts mit Chile zu tun?“, fragt er zurück und
genießt blinzelnd den Punktsieg. Eine Anspielung darauf, dass er selbst
Chile im Oktober 1973 verließ, einen Monat nach dem Putsch. Im Gegensatz zu
vielen Linken – er war Anhänger der sozialistischen Partei Mapu – wurde er
nicht verfolgt, aber er ging trotzdem, weil er schlichtweg „nicht leben
wollte in einem Chile unter Augusto Pinochet“.
Skármeta ist selbstbewusst genug, um die Angriffe der Kritiker gegen sein
neuestes Buch zu ertragen. Denn in Chile, einem Land, das „seine
Schriftsteller ehrt, aber weniger die Bücher“ hat er ein kleines Wunder
vollbracht: das Interesse an Büchern zu entfachen. Vor acht Jahren startete
er mit „El Show de los Libros“ eine erfolgreiche Literatursendung im
chilenischen Fernsehen. Die Einschaltquote ist rekordverdächtig: Von den 14
Millionen Einwohnern des Landes zieht es regelmäßig eine Million vor die
Bildschirme. Nachdem die Sendung als beste Iberoamerikas prämiert worden
war, übernahm sie der Kabelkanal People&Arts. Seit einem Jahr hat Skármeta
mit „La Torre de Papel“ eine zweite Literatursendung auf demselben Kanal
hinzubekommen. Skármeta ist das, was man landläufig einen erfolgreichen
Menschen nennen würde. Trotzdem beschleichen den 59-Jährigen manchmal
Zweifel, ob der Posten des Botschafters ihn am Ende nicht auffressen wird.
„Ich habe Lagos gesagt, dass ich weiterhin schreiben möchte, Filme sehen
will. Er hat mir geantwortet: Das sollen Sie auch alles tun.“ Ob es sich
verbinden lässt, die Arbeit und das Repräsentieren, das Schreiben und der
Sektempfang, wird die Zeit zeigen, sagt er. Das Filmteam seiner
Literatursendung soll bald nach Berlin kommen. In verkleinerter Form wolle
man versuchen, das Projekt weiterzuführen. Ihm schwebe eine Dreieinigkeit
vor: „Poesie, Politik, Freiheit“. Wenn es gelinge, das zusammenzubringen,
dann „bin ich glücklich“.
Seinen ersten Einsatz hat Skármeta vor sechs Wochen absolviert, als Lagos
von Gerhard Schröder zu einer Konferenz über „Modernes Regieren“ eingelad…
worden war. Mit dabei waren auch Lionel Jospin und Bill Clinton. Begeistert
erzählt Skármeta, wie schön es gewesen sei, „zu sehen, dass Chile wieder in
der Welt ist“.
Das ist ihm vor allem wichtig: zu zeigen, dass er der Botschafter eines
gewandelten Chile ist. Auch wenn Skármeta, wie alle, die sich näher mit dem
Land beschäftigen, weiß, dass die Demokratie eine gebändigte ist, in der
die Militärs ein wachsames Auge darauf werfen, dass die Verfassung, die sie
schufen, nicht so bald eingerissen wird. Mit Genugtuung beobachtet Skármeta
aber, dass die chilenische Justiz erste Schritte der Emanzipation wagt. Der
Oberste Gerichtshof hat in diesen Tagen entschieden, die Immunität Augusto
Pinochets, des früheren Diktators und heutigen Senators auf Lebenszeit,
aufzuheben. Das freut Skármeta, denn es sei ein Beweis für die neue
Unabhängigkeit der Justiz und „ein riesiger Sieg für die Demokratie in
meinem Land“.
Ob er wisse, wer unter seinem Botschaftspersonal Anhänger des alten
Generals sei? Bei dieser Frage wird Antonio Skármeta mit einem Mal ganz
ernst. Er wisse es nicht. Und als würde er einer inneren Stimme folgen,
sagt er zum ersten Mal etwas, was er auf einer Schule für Diplomaten hätte
lernen können – wenn er denn je eine besucht hätte: „Es ist auch nicht
meine Aufgabe, sie danach zu fragen. Sie sind alle Repräsentanten des
demokratischen Chile. Das ist ihre Aufgabe, und die sollen sie so gut es
geht erfüllen.“
12 Aug 2000
## AUTOREN
SEVERIN WEILAND
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