# taz.de -- Gänzlich unerschrocken | |
> Waleri Schukin ist Weißrusslands Staatsfeind Nr. 1. Ein unermüdlicher | |
> Kämpfer gegen die Autokratie | |
Gäbe es im Guinness-Buch der Rekorde eine Rubrik für den am häufigsten | |
bestraften Mann des ausgehenden 20. Jahrhunderts, wäre ihm ein Eintrag wohl | |
sicher: Waleri Schukin, weißrussischer Oppositioneller und einer der | |
bevorzugten Staatsfeinde des autokratischen Staatspräsidenten Alexander | |
Lukaschenko. Nicht einmal zwei eng beschriebene DIN-A4-Seiten reichen aus, | |
um all die Verwarnungen, kurzzeitigen Verhaftungen sowie Geld- und | |
Ordnungsstrafen aufzulisten, die in den vergangenen Monaten über Schukin | |
verhängt wurden. Doch der Rebell, dessen Markenzeichen ein langer, stets | |
gekämmter, grauer Bart ist, lässt nicht locker und setzt seinen | |
unermüdlichen Kampf gegen das Regime fort. Jetzt hat er sich den nächsten | |
Coup ausgedacht und angeboten, freiwillig ins Gefängnis zu gehen. | |
Für Schukin ist dieser Schritt nur folgerichtig, wurde er doch erst | |
unlängst zu einer einjährigen Haftstrafe auf Bewährung wegen Organisation | |
einer Demonstration in Minsk verurteilt. Das ist zwar für den in | |
Kollisionen mit der Staatsmacht Erprobten nichts Besonderes. Das Pikante | |
daran ist diesmal nur, dass nach dem völlig undemokratischen Wahlgesetz | |
jemand, der vorbestraft ist, bei den für den 15. Oktober geplanten | |
Parlamentswahlen nicht kandidieren darf. | |
Politisch trat Schukin, der im ehemaligen Leningrad Schiffbau studierte, | |
dann die militärische Laufbahn einschlug und es bis zum Oberstleutnant der | |
Reserve brachte, erstmals 1995 in Erscheinung. In diesem Jahr wurde der | |
heute 58-Jährige Abgeordneter des weißrussischen Parlaments, des Obersten | |
Sowjets. Gleichzeitig übernahm er den Vorsitz der Kommission für Innere | |
Sicherheit, Verteidigung und Verbrechensbekämpfung. | |
1996, als Lukaschenko mit dem Referendum im November die Verfassung | |
aushebelte und sich mit unbegrenzten Vollmachten ausstatten ließ, mauserte | |
sich Schukin quasi über Nacht zum Verteidiger der Menschen- und | |
Bürgerrechte und wechselte ins Lager der schärfsten Lukaschenko-Gegner. | |
Seitdem fehlt er auf keiner Kundgebung. In den wenigen oppositionellen | |
Medien, wie der Zeitung Narodnaja Wolja, ist er regelmäßig mit Beiträgen | |
präsent. 1998 wurde Schukin, der sich selbst einen überzeugten Kommunisten | |
nennt, aus der Kommunistischen Partei Weißrusslands ausgeschlossen. Prompt | |
gründete er mit Gleichgesinnten eine zweite Kommunistische Partei, die der | |
Opposition angehört. Dort ist man stolz auf ihn, denn alle wissen: Trotz | |
Verfolgung und Bestrafung wird Schukin so leicht niemand zum Schweigen | |
bringen. BARBARA OERTEL | |
21 Aug 2000 | |
## AUTOREN | |
BARBARA OERTEL | |
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