Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- No Guru, No Method, No Music
> Das Genie als Peiniger: In seinen besten Momenten schafft Van Morrison
> Erhabenes. Aber er kann auch anders: Neuerdings trägt er Cowboyhut und
> versucht sich im Rhythm ’n’ Blues. Mit der Jerry-Lee-Schwester Linda Gail
> Lewis quälte er in der Düsseldorfer Philipshalle die Liebhaber seiner
> Poesie
von WIGLAF DROSTE
Es ist unfassbar. Van Morrison steht auf der Bühne, schnipst mit den
Fingern und singt ein Medley der totgespieltesten Rock-’n’-Roll-Oldies,
„Hound Dog“ und „Roll over Beethoven“. Pianistin und Sängerin Linda Ga…
Lewis, die vor allem anderen sehr unüberhörbar „Thank you SO much“ sagen
kann, stakkatiert, zieht die Finger durch die Tasten und lässt keine
Launigkeitsgeste aus. Eine Band, die solide, in Musikersprech „amtlich“,
also ohne Inspiration ihren Job macht, spielt die Klassiker vom Blatt. Die
Notenständer sind beleuchtet. Das Klatschmarschbedürfnis des Publikums ist
nach anderthalb Stunden langsam befriedigt, aber noch werden munter die
Hände ineinandergepatscht. Wer Van Morrison für seine Poesie liebt und
verehrt, hängt ratlos im Gestühl.
Man durfte Angst haben vor diesem Konzert. Van Morrisons jüngste Platte,
„You win again“, gemeinsam mit Linda Gail Lewis aufgenommen, der Schwester
von Jerry Lee Lewis, ist, wie im Schnitt jede zweite bis dritte von
Morrison, missraten. Diese ist muffig, angestrengt und missachtet
konsequent alle Stärken Morrisons. „Ein erstaunlich energetisches und
mitreißendes Album, das den alten Herrn mit jugendlichem
Rhythm-’n’-Blues-Elan zeigt“, schreibt die Plattenfirma Virgin dazu. Das
ist für einen Werbetext nicht einmal besonders gelogen – Morrison macht
hier tatsächlich auf junger Mann, spielt sogar Stromgitarre, und genau
dieses juvenile Vorzeigetum bekommt ihm und seiner Musik überhaupt nicht.
Im Konzert greift er dann auch einmal zum Saxofon. Minuten tödlichen
Gequietsches folgen, und der Jubel der Zuschauer über das musikantische
Potenzial ist groß. Musik aber, wie Van Morrison sie zu machen versteht,
gibt es nicht zu hören.
Wer die Welt mit Werken wie „Into the Music“, „Irish Heartbeat“ und „…
Healing Game“ beschenkt hat, der darf alles, sogar schlechte Platten machen
– Platten weit unter den eigenen Möglichkeiten. Als treuer Verehrer erträgt
man das – obwohl die Verwunderung darüber, dass einer, der in seinen besten
Phasen mit den Sternen spielt, auch fiese Durchschnittsgrütze herstellen
kann, über all die Jahre nicht weniger geworden ist. Am irritierendsten
ist, dass Morrison seine eigenen Griffe ins Klo niemals zu bemerken
scheint.
Zuletzt, im Sommer 1998 in der Berliner Wuhlheide, sah ich den zauberhaften
kleinen Fettling in würdiger Pose. Kochend vor Wut, aus dem – eigentlich
sehr weit geschnittenen – Jackett fast herausplatzend, ohne ein Wort für
das Publikum, böse Giftpfeilblicke an seine Musiker versendend, einen
Ommahut mit geschmacklosem Hutband auf der Rübe. Selbstverständlich bewegte
sich der Mann nicht. Stoisch ließ er eine Fallbeilversion von Dylans „Just
like a Woman“ auf das Publikum heruntergehen, nach der man sich fragte, was
noch kommen könne. Es kam Candy Dulfer, die ein in jeder Beziehung blank
poliertes Saxofon spielt und auf der Bühne so maskenhaft lasvegasglatt ist,
dass man davonlaufen möchte vor ihr und ihrem Grinsesound. Morrison ging
sie derartig an, dass er sich fast die Unterhosen ruiniert hätte: „Oooh ooh
Candy, isn’t she great, isn’t she sweet, ooh oooh ...“ Einen, der „When
that Rough God comes riding“ so singt, dass man ihn für genau diesen kein
bisschen duften, sondern im Gegenteil hart rächenden Gott halten kann, zum
Vollhorst sich machen zu sehen, tut schon weh. Andererseits ist einer, der
so gottvoll singt wie Morrison, natürlich nicht verpflichtet, für uns eine
gute Figur abzugeben.
Wenn es in dem Wirrwarr von Widersprüchlichkeiten und einander fast
ausschließenden Stil- und Qualitätssprüngen eine erkennbare Kontinuität
gibt, dann diese: Van Morrison verfügt über alle musikalischen
Möglichkeiten, aber über keinerlei Geschmackssicherheit in Fragen der
Religion, der Musik und der Liebe – eine Trinität, die für ihn ohnehin EINS
ist. Auf seiner Suche nach Erleuchtung verirrte sich Van Morrison sogar bis
hin zum Scientologenchef Ron L. Hubbard, bei dem es außer einer gefräßigen
Brieftasche nichts zu holen gibt, was Morrison allerdings auch vorher hätte
wissen können. Aus seiner Abrechnung mit dem religiösen Erzbetrüger und
Abgreifling aber sprang die großartige Platte „No Guru, No Method, No
Teacher“ heraus, und so gesehen kann man sich viele spirituelle Irrtümer
von Van Morrison wünschen. Als er vor einigen Jahren eine ehemalige Miss
Ireland heiratete, ließ Morrison sich prompt von ihr interviewen und
poposierte, um die Peinlichkeit noch zu steigern, mit ihr und zwei
angeleinten Windhunden auf dem nächsten Plattencover. Es sah fürchterlich
aus. Auf dem Cover von „You win again“ sieht man ihn neben Linda Gail
Lewis, irgendwie schief lächelnd, einen Cowboyhut auf den Kopf gestülpt,
die Augen mit einer dunklen Pilotenbrille bedeckt, und ein Halstüchlein
schneidet tief in diverse Kinne. Warum tut der Mann das? Erblindet er, wenn
er liebt? Wird er so taub, dass er nicht hört, was er tut?
Beim Konzert in Düsseldorf schien es so. Die Notenpultband spielte „Fire in
the belly“ und „When the leaves come falling down“ mit der hörbaren
Unfähigkeit, die Poesie der Stücke zu erkennen. Druckvoll wurde
losgerumpelt, und alles war im Eimer. Morrison machte ein paar bejubelte
Hochleistungsjazzrockgesangseinlagen, als gälte es, einen Wettbewerb zu
gewinnen, und eines seiner schönsten Lieder, „From the dark end of the
Street to the bright side of the Road“, bekam vor lauter
Jugendlichkeitsanstreicherei einen Off-Beat verpasst. Als aber einige junge
Menschen ihrer Enttäuschung über die Verweigerung von Musik an diesem
Tanztennenabend durch eben Tanzen Luft machen wollten, eilten Ordner mit
Taschenlampen herbei und beschieden: „Hier ist Tanzen verboten.“ Einer
sagte noch bedeutungsvoll: „Das ist hier ein Fluchtweg.“
Die Antwort, die er bekam, war der einzige Trost an diesem trostfernen
Abend: „Dann laufen Sie doch schon mal vor.“
28 Nov 2000
## AUTOREN
WIGLAF DROSTE
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.