# taz.de -- Ein Putsch, der Freunde findet | |
> Unmut allerorten: „Armee, Regierung und Verwaltung sind voll gestopft mit | |
> Feinden und Verrätern“, sagte in einer Neujahrsrede Kabilas Kabinettschef | |
von DOMINIC JOHNSON | |
Gestern war Feiertag in Kongos Hauptstadt Kinshasa. Geschäfte und Märkte | |
waren geschlossen, der Rundfunk spielte kongolesischen Rumba, und die | |
offizielle Politik gedachte eines Toten. Gestern vor genau 40 Jahren, am | |
17. Januar 1961, wurde der Befreiungsheld und erste Premierminister des | |
unabhängigen Kongo ermordet: Patrice Lumumba. | |
An den anderen großen Toten des Tages dachten die Menschen in Kinshasa | |
gestern offenbar weniger. Die Leute hätten die Nachricht von der Ermordung | |
des Präsidenten Laurent-Désiré Kabila „mit Indifferenz aufgenommen“, sagt | |
Floribert Chebeya, Leiter der Menschenrechtsorganisation Voix des | |
Sans-Voix. Es werde weder gefeiert noch getrauert. Vielmehr sei die | |
Stimmung eine der „inneren Freude“. | |
Am anderen Ende des riesigen Landes, wo Rebellen regieren und Kongos | |
Präsident Kabila nichts mehr zu sagen hatte, waren die Reaktionen | |
unbefangener. „Als mittags der Tod bestätigt wurde, gab es auf den Straßen | |
eine Freudenexplosion“, berichtet ein Bewohner von Bukavu an der Grenze zu | |
Ruanda. | |
Die Schüsse auf Kabila fielen in seiner Privatresidenz, in die er nach | |
bewährter despotischer Manier die höchsten Generäle des Landes zitiert | |
hatte, um sie wegen ihres Scheiterns im Krieg gegen die Rebellen im Osten | |
des Landes zu kritisieren und eventuell zu entlassen. Dieses Treffen sollte | |
Laurent Kabila nicht mehr als gesunder Mensch verlassen. Daraufhin spaltete | |
sich sein Machtzirkel. | |
Sicherheitschef Eddy Kapend ging sofort zum Staatsfernsehen und rief in | |
einer nervösen Ansprache die Armee zur Treue gegenüber den republikanischen | |
Institutionen auf – im Grunde eine Amtsanmaßung. Der mächtigste Zivilist | |
unter Kabila, sein Cousin und Innenminister Gaetan Kakudji, behauptete | |
hingegen, nicht Kapend, sondern der angeschossene Präsident persönlich habe | |
den Ausnahmezustand über das Land verhängt. | |
Ein Machtkampf zwischen verschiedenen Flügeln in Kongos Regierung | |
entwickelte sich, der gestern zur völligen Lähmung des Staates führte. | |
Keine öffentliche Erklärung zum weiteren politischen Kurs wurde abgegeben. | |
Noch bemerkenswerter: Kein einziger Politiker kritisierte das Attentat. | |
„Das war eine Palastrevolution“, meint Jimmy Kenga, in Deutschland lebender | |
Aktivist der größten zivilen Oppositionspartei im Kongo, UDPS (Union für | |
Demokratie und Sozialen Fortschritt). „Es war vorhersehbar. Alle wussten, | |
dass Kabila seine Soldaten nicht bezahlt, dass sie wegrennen, wenn sie | |
kämpfen sollen. Es gab Offiziere, die mit Kabila abrechnen wollten. Er | |
stand mit dem Rücken zur Wand.“ | |
Dies gilt vor allem für Kabilas Heimatprovinz Katanga, aus der seine | |
treuesten Gefolgsleute kommen. In der wichtigsten Bergbauprovinz des Kongo | |
rekrutierte der Präsident, der sich 1996 an die Spitze einer Rebellion | |
gegen Diktator Mobutu Sese Seko gesetzt hatte, die ihm ergebensten | |
Einheiten der Armee und seine Leibgarde. Ein Attentat auf Kabila ist ohne | |
die Komplizenschaft seiner katangischen Beschützer undenkbar. | |
Gründe für Katangesen, sich von Kabila abzuwenden, gibt es immer mehr. In | |
dieser Provinz eilt Kabilas Armee seit zwei Monaten von Niederlage zu | |
Niederlage. Die Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für | |
Demokratie) steht nach eigenen Angaben nicht mehr weit von der | |
Provinzhauptstadt Lubumbashi entfernt. Angesichts des drohenden Debakels, | |
so eine weit verbreitete Mutmaßung, hätten die katangischen Militärs | |
geputscht: Nun könnten sie versuchen, den Frieden auszuhandeln. | |
Aus Katanga stammt auch der Offizier Eddy Kapend, der als erster in | |
Kinshasa sichtbar Aufgaben Kabilas wahrnahm. Er war außerdem lange Jahre im | |
Exil in Angola, wo er in der Regierungsarmee diente. Dieses mächtige | |
südwestliche Nachbarland des Kongo ist der zweite Schlüssel zu Kabilas | |
Sturz. | |
Angolanische Truppen sind das Rückgrat der militärischen Verteidigung von | |
Kinshasa. Angolas mächtige Generäle, die mit den Milliardeneinnahmen aus | |
dem Ölexport reich und kriegsmüde geworden sind, haben Kabila aber in den | |
letzten Wochen mehrmals öffentlich kritisiert. Im November trafen sich | |
sogar die Armeechefs von Angola und Uganda, deren Armeen im Kongo | |
gegeneinander kämpfen; Uganda unterstützt im Norden des Landes die | |
Rebellengruppen MLC (Kongolesische Befreiungsbewegung) und RCD-ML | |
(Kongolesische Sammlung für Demokratie/Befreiungsbewegung). | |
Seitdem wurde viel über eine angolanisch-ugandische Initiative zur | |
Einsetzung einer allen Seiten genehmen neuen Regierung in Kinshasa | |
spekuliert. „Es wäre gut, wenn die Verbündeten beider Seiten sich | |
verständigten, um Kabila zu entfernen“, sagte schon im Dezember | |
RCD-Rebellensprecher Kinkiey Mulumba. Ugandas Geheimdienst war es auch, der | |
am Dienstagabend als Erster öffentlich den Tod Kabilas vermeldete. Uganda | |
informierte auch Ruanda davon. Ein Kabila-treuer Politiker, der sich in | |
Libyen aufhielt, machte gestern Uganda, Ruanda und Kongo-Brazzaville – wo | |
starke angolanische Truppen stehen – für den Putsch verantwortlich. | |
Doch noch ist der Machtkampf in Kinshasa nicht entschieden. Ideologische | |
Hardliner um den ehemaligen Präsidenten sind schon länger davon überzeugt, | |
Söldner aus dem Ausland planten Kabilas Ermordung. Dies diente in den | |
letzten Monaten als Begründung für immer häufigere Verhaftungen von | |
Soldaten und Oppositionellen. In der Neujahrsrede in einem zu zwei Drittel | |
leeren Sportstadion in Kinshasa behauptete Kabilas Kabinettschef, Georges | |
Buse: „Armee, Regierung und Verwaltung sind voll gestopft mit Feinden und | |
Verrätern.“ | |
Aus diesen Hardlinerkreisen stammt auch die gestrige Erhebung von Kabilas | |
Sohn Joseph zum neuen Staatschef. Er hat aber wenig Chance auf Akzeptanz. | |
In Kabilas Armee und Kongos Gesellschaft herrscht genug Unmut, um | |
stattdessen einer von außen ermutigten Palastrevolution Unterstützung zu | |
sichern. | |
18 Jan 2001 | |
## AUTOREN | |
DOMINIC JOHNSON | |
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