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# taz.de -- Die Belohnung der Langsamkeit
> Inspirationsquelle Niger: Der Gitarrist Ali Farka Touré hat den
> Mali-Blues und sein Heimatdorf Niafunke einst auf die musikalische
> Landkarte gesetzt. Von dort macht sich nun Afel Bocoum auf, in seine
> Fußstapfen zu treten
von JAY RUTLEDGE
Eigentlich dauert die Fahrt den Niger hinauf gut einen Tag. Nun ist es
Dienstag geworden, und wie sich schon bald herausstellt, wird sich die
Ankunft auf Donnerstagnacht verschieben. Afel Bocoums Stirn liegt in
Falten: „Ich bin im Geiste schon in Niafunke“, erklärt der 46-Jährige, �…
muss noch so viel organisieren, bevor ich auf Tour gehe.“ Es ruckelt – die
völlig überladene Piroge ist schon wieder auf Grund gelaufen. Eine Handvoll
junger Männer springt vom Boot in den kalten Niger und versucht, die knapp
30 Meter lange, schlanke Piroge aus schwerem Ebenholz wieder loszukriegen.
Afel seufzt. Alle hatten Kopa, dem Besitzer der Piroge, gesagt, er solle
noch ein extra Beiboot für das Gepäck mitnehmen, weil der Niger gerade so
wenig Wasser führt, aber der Flussschiffer wollte Geld sparen. Seine
Rechnung geht aber nicht auf: Immer wieder muss er ein Beiboot anmieten, um
die Passagiere an Land zu bringen und das Gewicht zu reduzieren.
Afel Bocoum kauert auf einem der unzähligen Reissäcke. Hinter ihm lehnt
sein Mofa, eingebaut in Kisten mit Seife, Reisetaschen, Fernseher – eben
alles, was es auf den Dörfern nicht gibt. Das Mofa hat Afel Bocoum immer
dabei, wenn er aus seinem Heimatdorf Niafunke in Malis Hauptstadt Bamako
muss, denn die Taxis sind dort teuer. Sein Blick schweift über den Niger.
„Selbst wenn ich in Bamako bin, habe ich Sehnsucht nach Niafunke. Dort
schlägt mein Herz, dort habe ich meine Aufgabe“, sagt er. „Dort, am Ufer
des Niger, finde ich die Inspiration für meine Musik. Ich schaue auf die
Wellen und schon sehe ich alle Themen vor mir, über die ich singen muss.“
Endlich, nach zweieinhalb Tagen auf dem Niger, die Landung in Niafunke; es
ist schon dunkel. Mit einem Eselskarren wird Afel Bocoums neue Musikanlage,
die erst letzte Woche aus London ankam, zu ihm nach Hause transportiert.
Wir fahren mit dem Mofa, und nach gut fünf Minuten Fahrt durchs Dorf rollen
wir durch eine kleine Tür in den Innenhof seines Hauses. Glückliche
Gesichter – Afel Bocoum wollte ursprünglich nur eine Woche in Bamako
bleiben, um im Studio ein Demoband für sein neues Album einzuspielen, aber
nach ein paar Tagen setzte ihn ein Malariaanfall eine weitere Woche außer
Gefecht. Jetzt ist er endlich wieder zurück.
Während seine Frau, seine Kinder, die Eltern nebst deren Geschwister und
einige Brüder und Verwandte aufgeregt auf Afel Bocoum einreden, sitzen
seine Musiker Yoro, Hamma und Hamidou zusammen mit gut fünfzehn Kindern aus
der Nachbarschaft im Vorraum seines Schlafzimmers; dort läuft gerade, in
Malis staatlichem Fernsehen, eine billige französische Serie. Der
Eselskarren ist angekommen, der Koffer und die Musikanlage werden unter
staunenden Blicken ins hintere Zimmer getragen. Danach folgt die
Bescherung: Aus seinen Koffern holt Afel Bocoum kistenweise Geschenke:
Schuhe und Hose für seinen erstgeborenen Sohn Ali, ein kleines Radio für
seinen Vater, Hemden, Kassetten, für jeden ist etwas dabei. Das Leben ist
teuer für den Vorstand einer großen Familie.
Viel Zeit zum Ausruhen bleibt nicht. Afel Bocoum hat erfahren, dass die
Gelder für Niafunkes Theatergruppe in seiner Abwesenheit eingefroren
wurden. Schon sitzt er auf seinem Mofa und ist unterwegs zur Gemeinde.
Afels Kalebassenspieler Hamma Sankare wohnt keine fünfzig Meter entfernt in
einem einfachen Lehmhaus. Hamma hält ein Schulheft in der Hand. Mit Hilfe
seiner Frau – einer Schwester von Afel Bocoums Frau – hat er vor ein paar
Monaten erste Schreibversuche gestartet, zur Schule ist er nie gegangen.
Yoro Cisse, Afel Bocoums exzellenter Monochordspieler, wohnt gleich
gegenüber und führt uns in sein „Büro“, einen einfachen aus unverputzten
Lehmziegeln gemauerten Raum. Draußen vor der Blechtür steht sein
Arbeitsgerät: ein Bügeleisen, am Boden ein Sack Holzkohle für die nötige
Hitze, damit verdient er seinen Lebensunterhalt. Und die Musik? Die Männer
lachen. „Die Einzigen, die in Mali von Musik leben können, sind die, die in
Europa Erfolg haben: Ali Farka Touré, Oumou Sangaré, Toumani Diabaté oder
Salif Keita“, erklärt Afel Bocoum. „Ich für meinen Teil bin wirklich froh,
das ich noch ein zweites Standbein als staatlich angestellter
Jugendvertreter Niafunkes habe.“ Oft wird ihm auch im Dorf diese Frage
gestellt. „Als die jungen Leute hier gesehen haben, dass Ali Farka Touré
viel Geld mit der Musik verdient hat, wollten sie alle Musiker werden. Aber
schau uns an: Sind wir reich?“ Afel Bocoum kommt langsam in Fahrt. „Viele
Jugendliche sitzen hier, warten und schimpfen auf den Staat. Aber der Staat
hat kein Geld. Was kann man machen, wenn die Mittel fehlen? Man muss sie
sich schaffen, Initiative entwickeln. Es ist an der Zeit, endlich diese
Mentalität zu ändern. Wir haben den Niger, die Landwirtschaft, die
Viehzucht.“ Afel ist in seinem Element – als Sozialarbeiter. Der Schritt
zur Musik ist da nur ein kleiner: „Wenn die Leute nach einem Konzert zu mir
kommen und sagen, das hat mir gut gefallen, frage ich immer, ob sie auch
den Text verstanden haben. Wenn sie dann Ja sagen, bin ich glücklich. Meine
Musik ist zum Zuhören. Es ist heiß bei uns in der Wüste. Die Leute sitzen
im Schatten eines Baums, trinken Tee und hören diese Musik. Ich nenne sie
Arabo-Musilman-Musik. Sie ist eine Musik, die inspirieren soll und den
Geist zur Ruhe bringt.“
Keine hundert Meter von Afel Bocoums Haus entfernt steht das Anwesen von
Ali Farka Touré, dem Star des Dorfes. Spätestens seit der Gitarrist aus
Mali 1994 mit Ry Cooder, dem umtriebigen Globetrotter in Sachen Rootsmusik,
das Duo-Album „Talking Timbuktu“ einspielte und damit nicht nur einen
Weltmusik-Grammy gewann, sondern auch ganz ordentliche Verkäufe
verzeichnete, machte der Ruf der spröden Bluesmusik aus der
westafrikanischen Sahara die Runde in Europa und den USA. Bevor Ry Cooder
mit dem Buena Vista Social Club der bis dato auf afrikanische Künstler
spezialisierten Plattenfirma einen unerwarteten Geldregen bescherte,
gehörte Ali Farka Touré, der Bluesmann vom Niger, zu den Devisenbringern
des britischen Kleinlabels World Circuit. Doch in den letzten Jahren hat
Ali Farka Touré seine ohnehin seltenen Konzertreisen ins Ausland noch
weiter zurückgeschraubt und sich auch mit neuen Plattenaufnahmen rar
gemacht.
Jetzt ist Ali Farka Touré müde, er liegt auf der Couch in seinem
Wohnzimmer. Der Raum ist vollgestopft mit unbenützten Töpfen, elektrischen
Küchengeräten und allen möglichen anderen Mitbringseln, sogar ein
russischer Samowar steht oben auf der Glasvitrine. Sein ältester Sohn ist
gerade dabei, den riesigen Fernseher zu reparieren, der von einer
monströsen Satellitenschüssel im Innenhof mit Bildsignalen aus aller Welt
gespeist wird. Afel Bocoum hat mich hingebracht, um mir seinen Mentor
vorzustellen, aber er fühlt sich sichtlich unwohl. Schon dass er sein
eigenes Album aufnahm, passte Ali Farka Touré eigentlich nicht, er witterte
Konkurrenz. Nun wird Afel Bocoum erstmals mit eigener Band in Europa auf
Tour gehen, ganz ohne Ali. Das Verhältnis ist gespannt. „Ich habe mich
ziemlich geärgert“, erzählt Afel Bocoum, „als Ali mich bei der letzten To…
mit keinem Wort als seinen Nachfolger vorgestellt hat – obwohl er immer
verkündet hat, dass er aufhören will zu touren.“ Erst kürzlich ließ Ali
Farka Touré ein Konzert in Kanada platzen. Eigentlich hätte Afel Bocoum als
Ersatz fahren können. Aber Ali wartete mit seiner Entscheidung so lange,
bis die Zeit zu knapp wurde, noch Visa für die Band zu beantragen. Nach
kurzem Smalltalk entschuldigt sich Afel – er muss zu einer Sitzung des
Gemeinderats, bei der über den Kulturetat für sein Jugendressort verhandelt
wird. „Ein Album aufnehmen“, erzählt Ali Farka Touré und lächelt, „das…
doch gar nichts – ich könnte morgen gleich noch eines aufnehmen. Musik ist
eine Gabe Gottes. Meine Recherche spielt sich zwischen der Natur und dem
Fluss ab.“ So hat Ali Farka Touré in Niafunke nicht mal eine Gitarre
stehen. Viel wichtiger ist ihm derzeit seine Landwirtschaft. Riesige
Bewässerungsprojekte hat er aufgebaut, sie haben ihn zum großen Patron von
Niafunke gemacht. Tausende Sack Reis erntet er jedes Jahr, und die bringen
gutes Geld in Bamako. So hat er sich zum Großgrundbesitzer und wohl
reichsten Mann Niafunkes entwickelt. Heute lehnt er selbst lukrative
Tourangebote ab. Die Musik, so scheint es, hat für ihn ihren Zweck erfüllt.
Zu Hause bei Afel Bocoum, kommt das Gespräch am Abend auf ihn. „Ali ist ein
begnadeter Gitarrenspieler“, nickt Afel Bocoum andächtig, „er hat einfach
eine Gabe. Nur mit ihm zusammenzuspielen ist nicht einfach. Selbst vor
großen Tourneen übt er nicht, er spielt einfach. Manchmal klappt das,
manchmal eben nicht. Er hat seinen Kopf, er spielt wie er will, wiederholt
nie eine Phrase. Und oftmals kann ihm da eben keiner folgen.“ Auch die
Aufnahme der zwei letzten Alben, für die seine Plattenfirma eigens ein
mobiles Studio nach Niafunke brachte, muss nicht ganz einfach gewesen sein.
Ali ist stur. Wenn er nicht will, hört er einfach auf zu spielen.
Während bei Ali Farka Touré die Musik zu fließen beginnt, sobald er nur
eine Gitarre berührt, besitzt Afel Bocoum die Gabe, Songs zu komponieren.
„Mein erstes Album für World Circuit“, erklärt Afel Bocoum, „war meine
erste professionelle Aufnahme überhaupt. Ich habe vorher nie etwas
aufgenommen, nicht einmal eine Kassette für den lokalen Markt. Viele meiner
Songs habe ich vergessen.“ Viele finden sich aber auch, wie seine Musiker
später erzählen, auf Ali Farka Tourés Platten, ohne das Afel Bocoums Name
jemals erwähnt worden wäre.
Anders als sein prominenter Patron Ali Farka Touré, ist Afel Bocoum zur
Schule gegangen, hat sich viel mit den Sprachen seiner Umgebung
beschäftigt, spricht und singt in korrektem Sonrai, Tamashek und Peul. Weil
er mit der Sprache umzugehen weiß und nicht einen Stil konserviert, sondern
Zeitströmungen in der ethnischen Musik seiner Umgebung aufnimmt, ist er in
Niafunke heute um einiges populärer als Ali Farka Touré.
Seine Band Alkibar trifft sich regelmäßig gegen 17 Uhr zur Probe im Cercle,
dem Kulturzentrum Harber Maiga, wo auch das kleine Büro des Jugendarbeiters
ist. Um 17 Uhr, weil dann in Niafunke der Generator angeworfen wird und es
Strom für die Verstärker gibt. Afel Bocoums Gruppe Alkibar ist die Band des
Kulturzentrums: „Wann immer es einen offiziellen Anlass gibt“, betont Afel
Bocoum und verfällt in offiziellen Tonfall, „vertreten wir die Jugend von
Niafunke.“ Bei den Proben sind immer auch ein paar Jugendliche da, die das
eine oder andere Lied mitspielen und irgendwann auch bei Auftritten mit
dabei sind.
Die neu erworbene Musikanlage wird aufgebaut, und schon bevor die Band
anfängt zu spielen, hat sich eine Menschenmenge versammelt. Über Mikrofon
erklärt Afel Bocoum, dass die Anlage jetzt in Zukunft dem Dorf zur
Verfügung stehe, und lädt alle ein, sich die Geräte näher anzuschauen. Gut
fünfzig Leute besteigen die Bühne und umringen neugierig die beiden
PA-Boxen und das Mischpult. Afel Bocoum ist zufrieden: Die Odyssee ist
endlich zu Ende und alles funktioniert. So ganz entspannt ist er aber noch
immer nicht, denn die Zeit bis zur Tournee ist knapp. Er möchte noch
intensiv proben und muss festlegen, wer mitkommt. Dabei sind einige
Enttäuschungen vorprogrammiert. Die Plattenfirma möchte etwa, dass Afel
selbst Gitarre spielt, weil sie nicht so angetan war von Afels beiden
Gitarristen. Erklären muss ihnen das aber Afel Bocoum. Eine Mischung aus
Nervosität und Zuversicht liegt auf seinem Gesicht. Lange hat er darauf
gewartet, aus dem Schatten seines Meisters zu treten und seine eigene
Chance zu bekommen. Geschenkt will er aber nichts: „Wirklich glücklich
werde ich erst an dem Tag sein, an dem mir meine Plattenfirma erzählt, dass
mein Album jeden Pfennig, der in die Produktion gesteckt wurde, wieder
eingespielt hat.“
Afel Bocoum & Alkibar: 16. 3. Berlin, 17. 3. Hamburg, 28. 3. Wuppertal, 30.
3. Heidelberg
16 Mar 2001
## AUTOREN
JAY RUTLEDGE
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