# taz.de -- „Es ist ein hässliches Leben“ | |
> Die ehemalige Sprinterin Ines Geipel hat ein Buch über die Berliner | |
> Dopingprozesse geschrieben. Morgen übergibt sie mit Opfern des | |
> Staatsdopingbetriebs DDR eine Petition an den Bundestag | |
von MARKUS VÖLKER | |
Was für die Eliten längst Geschichte ist, ist für die Opfer noch immer ihr | |
Leben. Und dieses Leben erzählt andere Geschichten, als sie sich zwischen | |
Aktendeckeln finden lassen. Jenseits der faktischen Aufarbeitung des | |
Dopings in der DDR klaffen Lücken. | |
Im Osten Deutschlands besteht Informationshunger, weil die Medien, sei es | |
der MDR, der ORB oder die Regionalzeitungen Thüringens und Sachsens, nur | |
Brosamen unters Volk bringen. Offenbar möchte man den Glauben nicht | |
vollends zerstören, die DDR habe ihre Erfolge fair erkämpft. Die Zumutungen | |
werden gut dosiert. Zudem drückt sich die PDS um eine Entschuldigung für | |
begangenes Leid. Die in der DDR flächendeckend zur Anwendung gekommenen | |
anabolen Steroide haben bei den Sportlerinnen eine Reihe gravierender | |
Körperschäden hinterlassen: Leberkrebs, Herzinfarkt, Wachstumsstörungen, | |
Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit, Stimmvertiefung, Zunahme der | |
Körperbehaarung, zum Teil extremes Wachstum der Klitoris. | |
Die bisherigen Vertreter der PDS im Sportausschuss des Bundestages, Ruth | |
Fuchs und Gustav Adolf „Täve“ Schur, fielen bis dato durch Kommentare auf, | |
die Zweifel an ihrer politischen Potenz nährten, sie schreiben fleißig an | |
der Exkulpation der Nomenklatura mit. Das totalitäre System, das in den | |
Köpfen noch ganze Provinzen bevölkert, lebt mit der Sehnsucht nach Mythen. | |
Und diese Sehnsucht pflanzt sich fort. „Bei all der Morbidität und | |
Dumpfheit des Landes war der Ruf nach dem unüberwindbaren Körper, der noch | |
dazu das Heil des Systems in alle Welt bringen würde, wohl zwingend“, | |
schreibt Ines Geipel in ihrem gerade erschienenen Buch „Doping – Verlorene | |
Spiele“ (Transit-Verlag). Morgen wird sie mit den darin porträtierten | |
ehemaligen Leistungssportlerinnen eine Petition an den Bundestag übergeben, | |
in der eine Versorgung und Entschädigung der DDR-Dopingopfer eingefordert | |
wird. | |
Zu wenig ist bisher passiert. „In der Politik bleibt viel im Vorhof des | |
Wollens, aber man kommt nicht zur Sache.“ Ihr, Ines Geipel, geht es um die | |
Offenlegung der „technokratischen Enthemmung“ in der DDR, die sich im | |
Dopingsystem auf besondere Weise zeigte. Minderjährige wurden gedopt, die | |
Arzneimittelbetriebe Germed und Jenapharm benutzten die jungen Athletinnen | |
gar als Versuchsobjekte. Verantwortliche wie Michael Oettel, der an den | |
blauen Pillen mitdrehte, stehen heute wieder auf der Gehaltsliste von | |
Jenapharm, einer Tochter des Pharmakonzerns Schering, und werkeln in der | |
Genforschung. Oettels Ankündigung, einem Opferfonds Geld zu spenden, ist | |
ebenso ausgeblieben wie eine Klärung bei Schering. | |
Vor Jahresfrist wurde vor dem Berliner Landgericht den | |
Hauptverantwortlichen des DDR-Dopings der Prozess gemacht; beide wurden mit | |
Bewährungs- und Geldstrafen nach Hause geschickt. Von Manfred Ewald, Chef | |
des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB), verbleibt der Satz: „Wir sind | |
Kommunisten und bringen keine Menschen um, aber ein gewisses Risiko muss | |
man schon eingehen.“ Manfred Höppner, der zweite Angeklagte und Leiter des | |
Sportmedizinischen Dienstes der DDR, sagte nach Prozessende: „Den Begriff | |
des Minderjährigen habe ich erst nach der Wende aus der Presse erfahren. Da | |
habe ich sogar nachgelesen: Was ist denn das?“ Und: „Manche jubeln ja schon | |
eine Akne zur Schädigung hoch.“ | |
Ines Geipel saß seinerzeit mit 23 weiteren Betroffenen auf der Bank der | |
Nebenklage. Von den 9.000 von der Zentralen Ermittlungsstelle für | |
Regierungs- und Vereinigungskriminalität (Zerv) Vernommenen tauchten | |
lediglich 140 Opfer in der Anklageschrift auf. Nur sechs hatten den Mut, | |
Geipel, bis 1985 Sprinterin beim SC Motor Jena, ihre „inneren Geschichten“ | |
zu erzählen. Die Arbeit sei von Westdeutschen gemacht worden; ohne sie wäre | |
es nicht zur Anklage gekommen. „Aber das Sprechen derjenigen, die sich | |
wirklich in dem historischen Raum bewegt haben, hat gefehlt. Und dieses | |
Sprechen verändert die Sache“, sagt Geipel, die es als Schriftstellerin | |
vermochte, in den Porträts „Schutzräume“ zu bauen. In der Berichterstattu… | |
über den Prozess haben sich Birgit Boese, Brigitte Michel und Andreas | |
(früher Heidi) Krieger, Martina Gottschalt, Yvonne Gebhard und Ute Krause | |
nicht wiedergefunden. Sie wollten sich erklären. | |
Was hat dieser Prozess für sie gebracht? Was hat er für Martina Gottschalt | |
gebracht, die ihrem behinderten Kind nicht einmal die orthopädischen Schuhe | |
kaufen kann, weil es am Geld fehlt. Was für Brigitte Michel, die | |
Kugelstoßerin, die erst in ihrer Stasiakte las, sie habe durch die | |
verabreichten Anabolika monatelang in akuter Lebensgefahr wegen | |
Nierenblutens geschwebt. Was für Birgit Boese, die hernach ins Krankenhaus | |
musste. „Der Prozess hat die Frauen nicht aufgefangen. Durch die | |
Aktualisierung, wo man gar nicht mehr wusste, wer ist denn hier eigentlich | |
angeklagt, hat sich vieles wieder auf die Körper gelegt“, sagt Geipel. | |
„Es ist ein hässliches Leben, aber das wollte ich erzählen.“ Auch Ute | |
Krauses Geschichte ist die einer aufgezwungenen Sucht. Der rigide Zugriff | |
auf die Körper ist nicht erledigt. Die Psyche bleibt beschädigt. „Die Zeit, | |
ein aufgeschlagenes Ei. Eine schlierige Masse. Das Leben schlingert | |
ungeschützt, jemand sticht einfach so hinein, das Gallert läuft aus, nie | |
mehr wird es ein Ganzes“, erzählt Krause in dem Buch. | |
Ines Geipel hat recherchiert, dass auch Alexander Schalck-Golodkowski, | |
Prinzipal des Finanzkonstrukts „Kommerzielle Koordinierung“, seine Finger | |
im Dopingsumpf hatte. Er arbeitete an der Restrukturierung des SV Dynamo | |
Berlin, Erich Mielkes Spielzeug. Das Doping sollte noch effizienter werden. | |
In den 80ern uferte es aus. Zurückgeblieben sind Frauen, deren Körper auf | |
der Suche nach der Wunderwaffe unwiederbringlich verseucht wurde. Sie | |
wollen ihr Recht. Auch vorm Bundestag. | |
8 May 2001 | |
## AUTOREN | |
MARKUS VÖLKER | |
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