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# taz.de -- Das real existierende Volk
> Die Berliner Volksbühne zieht mit der „Rollenden Road Show“ aus dem
> Themenpark Mitte in die Bezirke. Erkenntnisse aus der Pampa: Der
> Proletarier an sich ist eine ziemlich uncoole Angelegenheit
von ESTHER SLEVOGT
Irgendwo tief in jedem Theaterkünstler steckt wohl auch ein Stück
Missionar. Oft will so ein Künstler bloß von sich selber überzeugen. Aber
meist geht es um die berühmte Behauptung, im falschen Leben könne es kein
richtiges geben. Natürlich ist der Künstler immer sehr sicher, dass er auf
der Seite des richtigen Lebens steht. Manchmal sinkt man deshalb als
Zuschauer schamesrot in den Theatersessel. Am Ende geht jeder trotzdem
fröhlich heim ins gemütliche falsche Leben.
Die Berliner Volksbühne hat sich nun ein besonders Projekt erdacht, ihre
Inhalte unters Volk zu bringen: Theater auf Rädern oder „Rollende Road
Show“. Zwar strömt das Volk von jeher mit großer Begeisterung ins Haus am
Rosa-Luxemburg-Platz. Aber erstens wird dies Haus nun bis zum Spätherbst
wegen dringend nötiger Sanierung geschlossen. Und zweitens fehlt in der
Statistik jene Besucherschicht, die man früher mal die Arbeiterklasse
nannte. Dank der „Rollenden Road Show“ steht aber nun plötzlich so ein
waschechter Proletarier inmitten von lauter Volksbühnenaktivisten und sieht
dabei auch noch exakt so aus, als sei er direkt aus einer
Volksbühneninszenierung entsprungen. Nur dass Künstler und Proletarier
einander wie Aliens gegenüberstehen. Doch davon später.
Als sich die orangen Planen der Containerwagen im vergangenen Sommer auf
der Expo zum ersten Mal hoben, konnte man das Projekt der Berliner
Volksbühne noch als ironischen Kommentar zum Milliardengrab Expo 2000
selbst betrachten. Theater auf Rädern, mobil, flexibel und billig. Die
„Rollende Road Show“ war sozusagen das kulturelle Gegenstück zu Peter
Steins Marathon-„Faust“, der ebenfalls auf der Expo Premiere feierte.
Außerdem waren im Sommer 2000 gerade sämtliche Berliner Intendanten in die
Lage geraten, vor dem berüchtigten „Unterausschuss Theater“ die
gesellschaftliche Legitimation des Theaters an sich schlüssig darlegen zu
müssen, während ein gewisser Klaus Wowereit drohend die Hand an den
Geldhahn legte. Die „Rollende Road Show“ war insofern auch als Vorgriff auf
das Theater der Zukunft gedacht. „Irgendwann sind nämlich alle Theater
pleite und dichtgemacht“, sagte damals die Dramaturgin Hannah Hurtzig. Dann
müssten die Schauspieler ihre Kunst wie die Schausteller unters Volk
bringen.
Das „Kunst-unters-Volk-Bringen“ hat in Berlin spätestens seit den Tagen des
berühmten Volksbühnenintendanten Benno Besson ohnehin Tradition. Die
Bestimmung des Theaters auf Rädern ist jedoch heute spezifischer: „Raus aus
dem Themenpark Mitte! Rein in die Pampa!“ – wo es dann zu jener
denkwürdigen Begegnung mit dem real existierenden Volk kam.
Den Mann hatte erst der Lärm auf den Balkon seiner Wohnung im elften Stock
gelockt. Dort ist ihm dann der strenge Geruch von verbranntem Toast in die
Nase gezogen. Nun will er erst mal gucken, was es mit den vier orangen
Wagen auf der Wiese vor seinem Haus auf sich hat. Schauplatz Märkisches
Viertel, wo der Ostteil Berlins bloß in den Straßennamen präsent ist. Denn
in den 60er-Jahren, als diese Siedlung entstand, hatte in Westberlin jeder
ostdeutsche Ortsname Mahnmalcharakter. Ansonsten gibt es in der ganzen
Stadt wohl kaum einen Ort, der weiter vom neuen Berlin entfernt wäre.
Wir befinden uns Finsterwalder Straße, Ecke Calauer Straße. „Saufen,
saufen, saufen/ und die Kinder Bier holen schicken!“, dröhnt Funny van
Dannen als Tonkonserve über den Platz. Möglich, dass viele potenzielle
Zuschauer gerade mit Saufen beschäftigt sind. Auf jeden Fall wollen sie
nichts darüber hören. Es ist 21.45 Uhr, und bis auf eine Hand voll Leute
ist niemand gekommen. Das Leitungsteam der „Rollenden Road Show“ blickt
ratlos und überlegt, die Vorstellung abzusagen. Dann entschließt man sich
für einen Schnelldurchlauf.
Der Mann aus dem elften Stock will wissen, wieso hier dauernd angebrannte
Toasts an die Wand genagelt werden. Dass die deutsch-britische
Performance-Gruppe Gob-Squat aus Toasts in sieben verschiedenen
Bräunungsstufen das Porträt von Ulrike Meinhof pixelt, die in den
Sechzigerjahren im Märkischen Viertel Sozialarbeiterin war, quittiert er
mit Achselzucken. „Sie müssen mal nächstes Wochenende kommen“, sagt er, �…
macht die GeSoBau hier ein Sommerfest mit Rummel und Feuerwerk!“
Die nächste Containerplane hebt sich, und die PuppetMastaz beginnen in
bonbonfarbener Simpson-Kulisse ihre Show. Die erste Toy-Group der Welt:
Rappende Handpuppen rebellieren gegen die total kommerzialisierte
Musikindustrie. Der Musik heizt die Stimmung ein bisschen ein und lockt
zeitweise sogar ein paar Jugendliche auf den Platz. In einem anderen Wagen
referieren Architekturtheoretiker über bewohnbare Themenparks rund um den
Globus. Aber weil dies kein Thema ist, womit sie hier bei den Leuten Punkte
machen können, tun sie das ziemlich monologisch. Gesine Danckwarts
Sprechautomaten laufen so leer wie dieser Versuch der Arbeiterbelehrung,
der zu einer Lektion für Theaterleute über das wirkliche Gesicht des
richtigen Lebens wurde.
Natürlich ist es so, wie man es an der Berliner Volksbühne schon immer
wusste. Der Proletarier an sich ist eine ziemlich uncoole Angelegenheit.
Einer, der den Sozialismus versaute, weil er sich nicht für die
Verbesserung der Welt, sondern mehr für seine Datsche und das Westfernsehen
interessierte. Und im Westen für den Urlaub auf Mallorca stritt. Da hilft
auch nicht, dass man ziemlich erfolgreich versuchte, die DDR-Blümchentapete
als Proletkult via Subkultur dem Pop zuzuschlagen. Trotzdem gehört die
„Rollende Road Show“ zu den mutigsten Theaterprojekten der vergangenen
Jahre. Denn hier verschanzt sich das Theater nicht hinter den Mauern seiner
Kantine, löst die Probleme der Welt nicht ästhetisch. Hier wagt ein
Theater, seinen Anspruch an der Wirklichkeit zu messen.
Eine Woche später, auf dem Lidl-Parkplatz Ruschestraße, Ecke Bornitzstraße
in Berlin Lichtenberg lief alles schon besser. Statt zehn waren fast
hundert Zuschauer gekommen, Leute, die dem normalen Volksbühnenpublikum
ziemlich ähnlich sahen. Und so konnten die Diskursakrobaten vor
Gleichgesinnten fast ungestört ihre theoretischen Puzelbäume schlagen.
Gesine Danckwarts Sprechautomaten führten das Gespräch mit der Welt als
ewiges Bewerbungsgespräch vor. Jürgen Kuttner präsentierte sich als luzider
Interpret alter Videoclips und schlug den historischen Bogen von einem
Auftritt der Jacob-Sisters in Teheran Ende der Sechzigerjahre bis zu den
Schüssen auf Benno Ohnesorg. So haben am Ende die Jacob-Sisters Ohnesorg
tot gesungen.
Nächste Termine: 6. und 7. Juli in Berlin Neukölln. Infos unter
[1][www.volksbuehne-berlin.de]
5 Jul 2001
## LINKS
[1] http://www.volksbuehne-berlin.de
## AUTOREN
ESTHER SLEVOGT
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