# taz.de -- Multimedia bei Arte: „Glückliche TV-User“ | |
> Arte will die Verknüpfung von Internet und linearem TV vorantreiben. Doch | |
> möchte der Zuschauer zum Nutzer mit Second Screen werden? | |
Bild: Wenn der Prinz spricht, schauen die Niederlande gebannt zu. | |
Eigentlich hätte Kate Sonntagnacht bei mir durchklingeln sollen. Ziemlich | |
genau für 0 Uhr hatte sie sich angekündigt. Doch sie meldete sich nicht. | |
Die App auf meinem Handy, die mittels Sounderkennung dafür sorgen sollte, | |
dass die Fernsehserie „About: Kate“ zeitgleich auf meinem Smartphone für | |
Alarm sorgt, funktionierte nicht. Alles blieb stumm. Keine gemeinsame | |
Therapie mit der in einer Identitätskrise schwebenden Serienfigur. | |
Dabei hatte Arte das Konzept so schön eine Woche zuvor in Straßburg | |
präsentiert: Draußen scheint die Sonne, der Rheinzufluss Ill schlängelt | |
sich am Hauptsitz des deutsch-französischen Senders vorbei Richtung | |
Europaparlament. Und Florian Hager und Alain Le Diberder reden von einem | |
Anfang, von Aufbruch. | |
„Die zweite Epoche der Digitalzeit hat begonnen“, sagt Programmdirektor Le | |
Diberder. Jeder im Haus Arte soll nun multimedial arbeiten und denken. Das | |
wird keiner Vier-Mann-Kapelle names Onlineredaktion mehr überlassen. Das | |
Netz ist zu einem seriösen Übertragungsweg neben Kabel, Satellit oder | |
Antennenfunk geworden. Die Zeit des Herumprobierens mit diesem verrückten | |
Internet ist vorüber. „Als Erwachsener spielt man auch nicht mehr mit | |
Lego“, sagt Le Diberder. | |
„Galaxie Arte“ heißt die neue Strategie, auf die sie in Straßburg mächtig | |
stolz sind, und die an diesem Tag den Journalisten aus Deutschland und | |
Frankreich präsentiert wird. „100 Prozent bimedial“ wirft der Beamer an die | |
Wand hinter den beiden Programmverantwortlichen. Jeder Inhalt soll sich | |
zukünftig auch im Netz abspielen. Möglichst viele Videos sollen möglichst | |
lange abrufbar bleiben. „Wir müssen dem Zuschauer helfen, glücklicher | |
TV-User zu werden“, sagt die Arte-Präsidentin Véronique Cayla. | |
Doch will der Zuschauer das überhaupt? Will er User werden? Das Fernsehen | |
war mal ein Medium zum Abhängen. Wie viel Parallelnutzung vertragen die | |
Leute? So richtig weiß Florian Hager das auch nicht. Sein Büro ist zwei | |
Stockwerke über dem Präsentationsraum. Der gleiche Blick auf die Ill, das | |
Europaparlament. Hager ist 37. Er kommt eher aus der Internet- denn aus der | |
Fernsehecke, sagt der „Hauptabteilungsleiter Programmplanung TV+Web“. | |
Er ist bei Arte für die Verknüpfung des linearen Fernsehens mit dem | |
Internet zuständig: für das Schauen auf dem Fernsehbildschirm und das | |
gleichzeitige Bespielen eines Second Screens, also eines Tablets oder | |
Smartphones. „Wir wollen den Zuschauer nicht verlieren“, sagt Hager. „Wir | |
wollen, dass die Leute sich auch auf einem zweiten Bildschirm mit Arte | |
befassen – und nicht abrutschen zu Facebook oder Twitter.“ | |
## Arte sichert sich Domainendung | |
Arte versucht das mit dem neuen Webportal Arte Future, wo Beiträge und | |
weitere Informationen zu Technik- und Umweltthemen gebündelt werden, mit | |
dem Musikportal Arte Liveweb und mit dem Künstlerlabor und -netzwerk Arte | |
Creative. Der Sender hat sich gar die Domain-Endung .arte gesichert und | |
stellt allen anderen Internetseiten frei, Videos aus dem Arte-Portfolio in | |
die eigene Website zu integrieren. Oder er probiert es mit „About: Kate“. | |
Für die Verknüpfung der Serie mit dem Netz bietet der Sender zwar eine | |
eigene Seite und eine eigene App für Handys an, doch „About: Kate“ spielt | |
sich zu einem Großteil auch bei Facebook ab, wo die Darstellerin Kate Harff | |
ein eigenes Profil besitzt. „About: Kate“ ist eine Serie, die einen nicht | |
zu Facebook oder Twitter abrutschen lässt, sondern die den Zuschauer | |
förmlich dahinschubst. Der programmierte Ausrutscher. Produzent Christian | |
Ulmen sagt über die Serie: „Wir geben dem Zuschauer keine Möglichkeit zu | |
entfliehen.“ | |
## Das unentrinnbare Fernsehen? | |
Keine Fluchtmöglichkeit vor den Fernsehinhalten. Die feuchten Träume der | |
Digital-TV-Pioniere aus den 90er-Jahren werden Wirklichkeit. | |
Doch wollen wir uns der Unentrinnbarkeit hingeben? Wollen wir von Kate | |
Harff angerufen werden? „Die Fragen stellen wir uns auch“, sagt Hager. Die | |
Pionierphase scheint also doch noch nicht ganz vorbei zu sein. Zumindest | |
dann nicht, wenn es um die Nutzung der digitalen Möglichkeiten durch die | |
Fernsehsender geht. Es sind die Versuche, „eine Zuschauergruppe | |
anzusprechen, die wir mit unseren normalen Übertragungswegen nicht | |
erreichen“, sagt Hager. | |
Denn Arte hat, wie alle anderen Sender auch, das Problem, dass irgendwann | |
in der Pubertät die ZuschauerInnen auf dem Weg zum glücklichen TV-User | |
verloren gehen. Mit sieben Jahren können 75 Prozent der Kinder laut eigener | |
Aussage am wenigsten auf den Fernseher verzichten. Mit 13 sind es nur noch | |
39 Prozent. Dafür mag dann fast die Hälfte sich ein Leben ohne Internet | |
nicht mehr vorstellen. Mit 18 bis 19 Jahren empfinden es 93 Prozent der | |
Jungen und Mädchen als wichtig, das Internet zu nutzen. Fernsehen findet in | |
dem Alter nicht mal mehr die Hälfte der Jugendlichen sonderlich wichtig. | |
Das weist die baden-württembergische Landesanstalt für Kommunikation in | |
zwei Studien nach. | |
## Vorbild „Berlin – Tag & Nacht“ | |
Die RTL-II-Soap „Berlin – Tag & Nacht“ erreicht über den Kanal Facebook | |
genau jene Altersgruppe, die das Fernsehen so gerne zurückgewinnen würde. | |
Ein Foto der Laiendarsteller vor einer Bar, eine kurze Nachricht dazu | |
(„Bäääääääm!!! Unsere KräSch-Bar ist eröffnet und das muss gefeiert … | |
Schmidti“) – schon drücken mehr als 20.000 Fans den „Gefällt mir“-But… | |
und schreiben mehrere Hundert Kommentare. 2.660.000 Menschen gefällt die | |
Serie. Also wird sie dort weitergespielt, wo die Zielgruppe ist: auf | |
Facebook. | |
„Wir machen Billigfernsehen“, räumte Stefan Cordes, der Produzent des | |
Scripted-Reality-Formats bei den Münchener Medientagen im Oktober 2012 | |
unumwunden ein. Applaus gab’s dafür nicht. Die anderen Verantwortlichen | |
spielen nicht gern mit den Schmuddelkindern. Dabei unterscheidet sich der | |
Weg, den andere Sender beschreiten, kaum von dem von „Berlin – Tag & | |
Nacht“. | |
Er ist nur zumeist weniger zielführend: Wenn das ZDF während ihrer | |
EM-Übertragungen vom Strand in Heringsdorf das Internet auf einem Tablet | |
zur Showbühne tragen lässt und dann Oliver Kahn und den Zuschauern erzählt, | |
was die „Netzgemeinde“ oder „das Netz“ sagt, beweist das keine Nähe zum | |
(jungen) Publikum, sondern Ferne zum Internet. Viele Macher wirken hilflos | |
und verkrampft im Umgang mit den sozialen Medien und versuchen allen | |
Zuschauern die Beschäftigung damit aufzuzwingen. | |
## Die Tatort-Minderheit | |
Dabei scheint sich das Publikum außerhalb des Schirms wenig mit Fernsehen | |
beschäftigen zu wollen. Wenn ein paar Tausend Menschen sonntags zwischen | |
20.15 und 21.45 Uhr eine Nachricht mit dem Hashtag #Tatort twittern, | |
gehören sie unter den insgesamt elf Millionen Zuschauern zu einer | |
verschwindend kleinen Minderheit. Bei Facebook posten die Menschen lieber | |
über das Wetter. Laut einer weltweiten Untersuchung ist das Posten über TV | |
nur auf Platz 14 der häufigsten Mitteilungen. | |
Klar abgehängt vom Thema Haustiere auf Platz zehn und dem Schreiben zu | |
besonderen Anlässen (Geburtstag, etc.) auf Platz eins. Natürlich gibt es | |
auch Studien, die das Gegenteil behaupten: Ganz viele Fernsehzuschauer | |
nutzen einen Second Screen! Der Markt boomt! Macht alle mit! Microsoft fand | |
für Großbritannien, die USA, Kanada, Brasilien und Australien heraus – und | |
was da Erfolg hat, schwappt auch bald zu uns –, dass zwei Drittel aller | |
TV-Zuschauer parallel auf einem Smartphone oder Tablet rumdrückten. | |
Solchen Aussagen scheinen die Fernsehmacher anheim zu fallen. Anders ist | |
ihre Hyperaktivität mit Hashtags und Stimmungsbildern aus dem Netz nicht zu | |
erklären. Was die Microsoft-Studie jedoch auch zum Vorschein brachte: Die | |
meisten Second-Screen-Nutzer machen auf ihrem zweiten Gerät alles mögliche, | |
nur nichts mit Fernsehen. E-Mails checken, zum Beispiel. Vielleicht ist der | |
Second Screen also ein nicht ganz so heißer Markt, sondern das Programm | |
schlicht zu langweilig. | |
Denn: „Wenn ein guter Krimi, eine gute Serie oder eine gute Dokumentation | |
läuft, will ich das gucken“, sagt Hager, „ohne Schnickschnack drumherum.“ | |
Und das sagt einer, der eher aus dem Netz kommt. | |
Die Reise nach Straßburg zur Präsentation wurde dem Autor von Arte | |
finanziert | |
3 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
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