| # taz.de -- Männerphantasien oder: die Hölle der Selbstbezogenheit | |
| > ■ Zwei Ausstellungen von Gregor Schneider und Paloma Varga Weisz sind | |
| > eine Reise nach Bremerhaven wert. | |
| Vor dem „Kabinett für Aktuelle Kunst“ drängelt sich die Schar der | |
| Ausstellungsgäste. Der Eingang ist geschlossen, durch die | |
| Schaufenster-Scheibe ist der mit kaltem Neonlicht hell ausgeleuchtete | |
| Innenraum zu sehen. Hinter einem Wandvorsprung im hinteren Teil ragen zwei | |
| Beine und Füße hervor. Schwarze Hose, schwarze Schuhe, eine bleiche Hand | |
| neben dem Körper, als sei's eine Leichenhand. Da liegt keine Puppe, sondern | |
| livehaftig Gregor Schneider, Gewinner des Goldenen Löwen in Venedig und | |
| jetzt zum zweitenmal in Bremerhaven. | |
| Die vor der Scheibe werden unruhig, alle warten auf irgendeine Bewegung, | |
| und wer ganz genau den Raum nach verräterischen Spuren absucht, der | |
| entdeckt auf Bodenhöhe in den Wänden zwei winzige Löcher, und wer das | |
| Fensterglas in Augenschein nimmt, fragt sich, warum am rechten Rand | |
| milchig-weiße Schlieren den sauberen Blick behindern. Erste Erklärungen | |
| schwirren durch die Luft, die von Löchern in der Realität zum Nichts | |
| führen. Gregor Schneider bedient und enttäuscht zugleich die Erwartungen | |
| des kunstbeflissenen Publikums. Der nackte Ladenraum, in dem nur die | |
| bekleideten Beine eines Menschen zu sehen sind, hat etwas ebenso Komisches | |
| wie Beklemmendes, und die Wartenden wetteifern darum, wer die schnellste | |
| Interpretation oder das schönste Bonmot zur Verfügung hat. | |
| „Na, du alter Provokateur“, wird Kunsthallen-Chef Jürgen Wesseler begrüß… | |
| „holst du jetzt deine Leichen aus dem Keller?“ Ein anderer ergänzt: „Die | |
| Einschußlöcher habe ich gesehen.“ Eine Dritte möchte das Aufstehen nicht | |
| verpassen. „Fünf oder sechs Stunden wird er wohl doch nicht liegen?“ Gregor | |
| Schneiders Body-Performance ist nach etwa zwei Stunden beendet. Er wird per | |
| Handy in einer unbeobachteten Minute „geweckt“, nachdem sich die | |
| Eröffnungsgäste ins Cafe nebenan begeben hatten. Danach ist das Kabinett | |
| geöffnet. Da liegen noch die Hosen, Schaumgummireste, und wer in die Ecke | |
| geht, wo der ganze Mann gelegen hatte, sieht im offenen Hosenstall eine | |
| Perücke, ein Haarteil, blonde Locken, darüber einen erigierten Gipspenis | |
| von tierischem Ausmaß, und zwischen den Rippen der Heizung ein stinkendes | |
| Stück Steak. So bleiben von dem Menschen, der sich im leeren Raum als | |
| grausam unbehaust in Szene setzt: ein Kleidundgsstück, der Gestank, das | |
| Abbild eines Schwanzes, die winzigen Löcher im Raum, die milchige | |
| eingeriebene Scheibe, und – kaum sichtbar – kleine farbige Quadrate, | |
| fleckenhafte Erinnerungen an die Moderne. Schneiders offener Raum ist keine | |
| Höhle mehr, wie sein Bau in Venedig, es ist die Hölle der | |
| Selbstbezogenheit, die Hölle des Onanisten, eine Männerphantasie, die ihre | |
| Armut und Ausweglosigkeit wie einen stummen Schrei inszeniert. | |
| In den Räumen der Kunsthalle entwirft Paloma Varga Weisz einen anderen | |
| Blick, eine andere Männerphantasie. „Die Windsbraut“ nennt sie ihre | |
| raumgreifende Installation. Drei hölzerne Leitern tragen einen schmalen | |
| Steg aus Plankenbrettern, auf dem zwei Holzfiguren sitzen. Kleine Männer | |
| mit Schuppenhaut und alten, weisen Gesichtern. Sind es Werftarbeiter in der | |
| Arbeitspause? | |
| Die ausgebildete Holzbildhauerin hat an der Kunstakademie in Düsseldorf von | |
| ihrem Lehrer Gerhard Merz das Gefühl für Transparenz und Leichtigkeit | |
| übernommen. Im Mittelpunkt der Szenerie steht das meterhohe Holzmodell | |
| eines Schiffsbugs, durch die gitterförmigen Spanten ist im Innern eine | |
| stehende Männerfigur zu erkennen, rohes Holz, fast unbehauen, nur die | |
| Haltung ausgearbeitet. An der Spitze des Modells die Galionsfigur: Kopf und | |
| Brüste, voneinander getrennt und mit einem – kompliziert | |
| zusammengeflochtenen Seil – wieder verbunden. Paloma Weisz erzählt mit | |
| ihrem Bild Geschichten, und sie überlässt es den Betrachtern, die Stille in | |
| ihrer Arbeit zu deuten. Nichts wirkt schwerfällig, nicht die Stützgerüste, | |
| nicht die Figuren. Alles scheint in diesem Raum zu schweben. Diese Stille | |
| ist nicht nur sanft, der Kopf der Windsbraut, die am intensivsten | |
| bearbeitete Figur des Ensembles, endet am Hals mit einem scharfen Schnitt. | |
| Das Seil führt zu den beiden torpedogroßen gefesselten Brüsten, und die | |
| Methoden der Verknüpfung hat Paloma Weisz aus einem Fachbuch, das sie laut | |
| Quittung – gerahmt und an die Wand gehängt – im Bremerhavener Pornoshop | |
| erstanden hat. Vorstudien, Bleistift und Tuschezeichnungen hängen im | |
| Nebenraum: Ein surreales Panorama von Köpfen und Körpern, Mensch und Tier, | |
| alten und jungen Gesichtern, zarte Formen mit einer intensiven Leuchtkraft, | |
| die das Geheimnis dieser außerordentlichen Künstlerin verraten: Ihre | |
| Zeichnungen führen ins Märchen, aber nicht in sanfte Bilderbuchgeschichten, | |
| denn hinter den märchenhaft grotesk vernetzten Figuren sprechen die Körper | |
| und die offenen oder geschlossenen Augen ihre eigene Sprache. Eine | |
| melancholische Traum-Sprache. In Bremerhavens Kunsthalle eine der schönsten | |
| Ausstellungen seit langem. | |
| Hans Happel | |
| Paloma Varga Weisz: „Windsbraut“ in der Kunsthalle Bremerhaven, Dienstag | |
| bis Freitag 14 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 13 Uhr; Gregor | |
| Schneider im | |
| Kabinett für Aktuelle Kunst nur Mittwoch und Sonntag, 14 bis 18 Uhr. Beide | |
| Ausstellungen noch bis 18. 11. | |
| 25 Oct 2001 | |
| ## AUTOREN | |
| Hans Happel | |
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