# taz.de -- Neckermann, nicht möglich | |
> Durch Zufall stieß eine Dokumentarfilmerin auf die spannende Geschichte | |
> der Familie des Popstars Billy Joel. Ihr Film „Die Akte Joel“ begibt sich | |
> auf deren Spuren (Arte, 20.45 Uhr) | |
von DANIEL FERSCH | |
Eigentlich wollte Beate Thalberg nur ein Porträt drehen – über den | |
amerikanischen Popstar Billy Joel und seinen weniger bekannten Bruder | |
Alexander, der Dirigent ist und Kapellmeister der Volksoper in Wien. Doch | |
dann stieß die Fernsehjournalistin während der Recherche auf etwas, das sie | |
nicht mehr losließ. | |
Als sie Howard Joel besuchte, den Vater von Billy und Alexander, wurde auch | |
in alten Fotoalben geblättert, berichtete Thalbach bei der Präsentation des | |
Films. Auf einem vergilbten Schwarzweißbild entdeckte sie ein altes | |
Fabrikgebäude, doch der alte Mann sagte nur: „Ach, die hat mal meinem Vater | |
gehört“ – und wechselte schnell das Thema. Doch Thalberg bohrte nach. Die | |
Geschichte, die das Foto erzählt, war so spannend, dass Thalberg ihr | |
Projekt, die beiden musikalischen Brüder zu porträtieren, umschmiss – und | |
einen ganz anderen Film drehte. | |
## Die Nürnberger Fabrik | |
Die Fabrik auf dem Foto stand in Nürnberg und gehörte Anfang der 30er-Jahre | |
dem Kaufmann Karl Amson Joel. Joel produzierte dort Textilien und vertrieb | |
diese sehr erfolgreich über den angeschlossenen Versandhandel. | |
Doch als Jude wurde es nach der Machtergreifung der Nazis für ihn immer | |
schwieriger, seinen Geschäften nachzugehen. Der Stürmer, das ebenfalls in | |
Nürnberg ansässige Hetzblatt der Nationalsozialisten, stellte Karl Amson | |
Joel als den „Prototyp des verbrecherischen Juden“ an den Pranger. | |
1934 sah er sich gezwungen, seinen Versandhandel nach Berlin zu verlegen, | |
wo er sich sicherer wähnte. Die Geschäfte liefen weiter gut: Noch 1937 | |
erwirtschaftete seine Firma einen Umsatz von einer Million Reichsmark. Ein | |
Jahr später folgte die „Arisierung“ – Joel musste seinen Betrieb weit un… | |
Wert abstoßen. Ein Käufer war schnell gefunden – sein Name: Josef | |
Neckermann. | |
Thalbergs Film erzählt von dieser schicksalhaften Begegnung zweier Familien | |
und von den Auswirkungen, die sie bis zur heutigen, dritten Generation der | |
Joels und Neckermanns hat. Während Karl Joel nach Unterzeichnung des | |
Kaufvertrags in die Schweiz und schließlich nach New York fliehen musste | |
und von dem vereinbarten Kaufpreis keinen Pfennig sah, stieg Josef | |
Neckermann mit dem günstig erworbenen Unternehmen schnell zum Kollaborateur | |
– und wenig später zum Kriegsgewinnler – auf. | |
Die Firma Neckermann produzierte Arbeitskleidung für Zwangsarbeiter und | |
Winteruniformen für die Wehrmacht, wofür er von Hitler das | |
Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse erhielt. Noch lange nach dem Krieg war der | |
1992 verstorbene Josef Neckermann stolz auf seine „Verdienste“. | |
Archivaufnahmen zeigen ihn, wie er das „Sonderprogramm A“ zur Einkleidung | |
der Zwangsarbeiter als „grandiose“ Sache bezeichnet. Über die KZ-Häftling… | |
die für ihn in Theresienstadt nähten, meint er: „Wir waren überzeugt, für | |
sie Gutes zu tun.“ Dass er nach der Kapitulation von den Alliierten | |
verhaftet worden sei, habe ihn „völlig überrascht“. | |
Schlüsselszene des Films ist die Begegnung der dritten Generation der | |
Familien, die von Alexander und Billy Joel mit den Neckermann-Enkeln Lukas, | |
Julia und Markus. Ein Treffen, von dem sich die Regisseurin viel | |
versprochen hatte: „Ich hatte schon die romantische Idee, dass die sich | |
verstehen.“ Doch der Versuch, von außen Versöhnung herbeizuführen, musste | |
scheitern – das gibt Thalberg auch zu. | |
## Die Enkel treffen sich | |
Zu unterschiedlich ist das Selbstverständnis, zu unterschiedlich sind die | |
Sichtweisen, die sich in beiden Familien in mehr als 50 Jahren manifestiert | |
haben. Während Alexander und Billy Joel eine Distanzierung der | |
Neckermann-Enkel vom Handeln ihres Großvaters erwarteten, sind diese von | |
der Unschuld Josef Neckermanns überzeugt. „Mein Großvater hat nichts | |
mitbekommen“, sagt Lukas Neckermann und fügt wie zur Entschuldigung hinzu: | |
„Wir haben in der Familie nur über die Gegenwart gesprochen.“ Als Julia | |
Neckermann überzeugt behauptet, ihr Großvater habe „dadurch Widerstand | |
geleistet, dass er Arbeit für die Gefangenen geschaffen hat“, ist das | |
Gespräch sehr bald zu Ende. | |
Auch wenn der Versuch danebengeht, in der Enkelgeneration Verständnis für | |
die andere Seite zu wecken, sind die Szenen, in denen die | |
Familienmitglieder unkommentiert zu Wort kommen, die stärksten des Films. | |
Die Aussagen sprechen für sich und zeigen, dass die Ereignisse aus der | |
Nazizeit noch heute gegenwärtig sind. Welcher der beiden Versionen der | |
Zuschauer letztlich Glauben schenkt, ist ihm selbst überlassen. | |
Karl Amson Joel erhielt in den 50er-Jahren nach jahrelangem Prozess in | |
einem Vergleich eine Kompensation von zwei Millionen Mark zugesprochen. | |
Damit, so sein Sohn Howard, „war für ihn die Sache abgeschlossen.“ Anfang | |
der 70er-Jahre kehrte Karl Joel dann nach Deutschland zurück und starb bald | |
darauf in Nürnberg. Josef Neckermann baute nach dem Krieg erneut ein | |
Versandgeschäft auf und wurde ein Vorzeigeunternehmer des | |
Wirtschaftswunders. 1976 musste er seine Firma wegen drohenden Konkurses an | |
den Karstadt-Konzern verkaufen. | |
19 Dec 2001 | |
## AUTOREN | |
DANIEL FERSCH | |
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