# taz.de -- Mit dickem Schädel nach ganz oben | |
> Michael Sailer ist einer der profiliertesten Atomkritiker. Nun leitet er | |
> die Kommission der obersten Atomaufseher | |
Er gehört zum Urgestein der Anti-Atom-Bewegung, ist seit Anfang der | |
Siebziger dabei: Michael Sailer. Und noch immer sieht er so aus, wie es | |
damals üblich war: unmodische Brille, zotteliger Bart und rückenlanges Haar | |
– auch wenn die Haare des 48-Jährigen dünner geworden sind. Man sollte | |
meinen, die Mitglieder der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK), überwiegend | |
etablierte Techniker aus dem Kreis von TÜV und Industrie, täten sich | |
schwer, so jemanden als ihren Vorsitzenden vorzuschlagen. Doch sie haben | |
genau das – offenbar einstimmig – getan. | |
Sailer hat sich früh vom prinzipienfesten Anti-Atom-Aktivisten zum | |
differenziert argumentierenden Wissenschaftler gewandelt. Der | |
Diplomingenieur baute beim Öko-Institut den Bereich Nukleartechnik auf, | |
schrieb technische Gutachten für Kläger gegen Atommeiler und schon bald | |
auch für Aufsichtsbehörden. Sein Prinzip: „Verwehre dich keiner Diskussion: | |
Dann weiß man mehr und lernt dazu.“ | |
Der Mann hat viel dazugelernt: Wegbegleiter bewundern sein „sehr | |
umfangreiches Wissen“. Und das musste er sich Gutachten für Gutachten | |
erarbeiten, ohne Kerntechnik studiert oder im Meiler gearbeitet zu haben. | |
Er gehört mit seinen Kollegen vom Öko-Institut zu denen, die den | |
Industrieexperten und ihrer jahrelangen Verharmlosung etwas | |
entgegensetzten. Als „Gegengutachter“, wie es damals hieß, trug er seinen | |
Teil dazu bei, dass das Land die Sicherheit der Atomkraft heute kritischer | |
sieht. | |
Ein so kenntnisreicher Mann hat seinen eigenen Schädel. Sailer sagt seine | |
Meinung jedem, ob er sie hören will oder nicht. Damit handelte er sich oft | |
Ärger mit der Anti-Atom-Bewegung ein. Den größten, als er 1996 der taz im | |
Interview erklärte, die Castorblockaden in Ahaus und Gorleben seien „nicht | |
dazu geeignet, das Ende der Atomindustrie zu erzwingen“. Die | |
Transportbehälter gingen dann eben zur Wiederaufbereitung nach Frankreich, | |
„mit der größeren Umweltbelastung“. Stattdessen wollte er den Müll lieber | |
an den Atommeilern zwischenlagern. | |
Diese sachlich vernünftige, aber politisch heikle Aussage nahmen ihm viele | |
Bürgerinitiativen übel: Er sei „der Atomlobby auf den Leim gegangen“, war | |
noch die mildeste Kritik. Auch wenn Sailer heute betont, der „Faden zu den | |
BIs“ sei nicht abgerissen, gilt er manchem Aktivisten als Überläufer. | |
Egal was die denken: Im Atomkonsens zwischen Regierung und Industrie wurde | |
tatsächlich die Zwischenlagerung an den AKW vereinbart – und Sailer ist | |
stolz auf seinen „kräftigen Anteil“ daran. | |
Nun löst der Ingenieur seinen alten Weggefährten Lothar Hahn als Chef der | |
RSK ab. Diesen zu ersetzen wird ihm trotz aller Kompetenz nicht leicht | |
fallen. Sailer hat nicht das Auftreten von Hahn, ist weniger eloquent. Doch | |
warum sollte er nicht auch da hineinwachsen? | |
Als neuer Chef möchte Sailer das Augenmerk der RSK mehr auf den | |
„menschlichen Faktor“ richten, auf die „Sicherheitskultur“. Bislang sta… | |
bei der Arbeit der Kommission eher technische Risiken im Vordergund. | |
Sailer selbst spricht von einem „harten Part-Time-Job“, den er nun neben | |
seiner Tätigkeit für das Öko-Institut ausfüllen muss. Da bleibt künftig | |
weniger Zeit für seine Frau und die sieben Neffen und Nichten, denen er | |
sich als „aktiver Onkel“ so gern widmet. MATTHIAS URBACH | |
9 Mar 2002 | |
## AUTOREN | |
MATTHIAS URBACH | |
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