Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Karneval der Männlichkeiten
> Brusthaartoupet und lächerlicher Habitus: Als Drag Kings zelebrieren
> Frauen den Bühnen-Macker – nicht nur im Film „Venus Boyz“ ist
> Männlichkeit keine Frage der Biologie, sondern des Geschmacks
von KATRIN JÄGER
Bridge Markland steht vor dem Spiegel. In Unterhose. „Erst bist du nichts,“
konstatiert die Sängerin, greift zum frisch gebügelten Männeroberhemd und
streift es sich genussvoll über. „Bis du dir das schöne weiße Oberhemd
überziehst, die weite Hose mit den Hosenträgern, ganz langsam den Schlitz
zuknöpfst.“ Bridge hat sich im Nu in den Yuppie Steve verwandelt: eines
ihrer männlichen Alter Egos. Gern gibt sie auch den dickleibigen,
gutmütigen Karl. Bridge alias Steve alias Karl ist ein Drag King. Seit rund
15 Jahren begeistert ihre ironische Männlichkeitsperformance Menschen in
den USA und Europa. Auch in Gabriel Baurs Dokumentarfilm Venus Boyz tanzt
sie das Geschlecht an sich: züngelt ins Publikum, zückt ihren Dildo aus der
Westentasche und benutzt ihn als Mikrofonersatz.
Die Drag-King-Bewegung entstand Mitte der 1980er Jahre in den USA, als
biologische Frauen begannen, auf der Bühne des New Yorker Clubs Casanova
ihren inneren Macker raushängen zu lassen. Pionierin Diane Torr zelebriert
seitdem mit Hingabe bühnenwirksame Machosprüche. In Workshops bringt sie
Frauen männliche Verhaltensweisen bei, die das Leben situativ erleichtern
können. Torr, die mit ihrer Tochter in New York lebt, genießt es, im Anzug
als Mann wahrgenommen zu werden. „Die Leute treten zur Seite. In der S-Bahn
kann ich endlich mal die ganze Hälfte einer Sitzbank einnehmen.“
Hierzulande verwundert es nicht, dass neben den „Kingz of Berlin“
ausgerechnet die karnevalerprobten Kölner Drag Kings sich lieber auf der
Bühne feiern als die reservierten Hamburgerinnen. Denn Drag Kingdom ist
Männlichkeits-Karneval, im Gegensatz zur etablierten
Tschingderassa-Bumm-Variante allerdings verbunden mit der Kritik an dem
immer noch gesellschaftsdominanten Mythos von der natürlichen Männlichkeit.
Der Schwanz, das wissen die Kings, spielt für das Mann-Sein eine
unwesentliche Rolle, alles andere – Habitus, Aussehen – können alle lernen.
Wer das durchschaut hat und damit spielt, ist König.
„In Hamburg hat sich die Männlichkeitsparodie bislang noch nicht
institutionalisiert“, weiß Heike Schader, Historikerin bei
„Freundschaften“, einem hiesigen Verein zur Erforschung
gleichgeschlechtlichen Lebens: „Hier hat die Kultur der Selbstdarstellung
keine Tradition. Hamburgs Drag-King-Dasein blüht in geschützten
Rahmenveranstaltungen.“ Wie die Drag-King-Partys in der Frauenkneipe, die
in unregelmäßig großen Abständen stattfinden. Die unterschiedlichsten Typen
versammeln sich da: Kings mit obligatorischem Anzug, darunter ein üppiges
Brusthaartoupet; die Bartvariationen reichen von der Öko- Sauerkrautversion
bis zum Schnurrbart à la Dali. „Es gibt dann auch die angeschnallten Dildos
unter der Hose und die ausgestopften Unterhosen, den obligatorischen Griff
in den Schritt, das Kratzen an den Eiern“, berichtet Schader.
Interessanterweise ähneln einige Party-Kings denjenigen biologisch
männlichen Exemplaren, die sich hin und wieder vergeblich um Einlass in die
Frauenkneipe bemühen. Mit dem Unterschied, dass die Kings sich über ihr
eigenes Outfit und den Machismo schlapp lachen.
Nicht nur als Feldstudie, sondern auch zur Selbsterfahrung schlüpft auch
Schader in vertrauter Umgebung in männliche Rollen. „Man verbringt einen
Abend bewusst mit einer imaginären Aufgabe“, erläutert Schader. „Spannend
ist das Ausprobieren. Was habe ich für bisher möglicherweise unerkannte
Stärken in mir, was kann ich eigentlich noch?“ Mit anderen Worten: Aus
selbstironischer Distanz ein Stück männlicher Sozialisation nachholen, mal
richtig Kumpel sein. Prost.
Venus Boyz OmU: morgen, 19.00 Uhr, Metropolis (OmU). Kinostart: 4. Juli.
4 Jun 2002
## AUTOREN
KATRIN JÄGER
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.