# taz.de -- Wahrzeichner Kataloniens | |
Dienstag finden die Feierlichkeiten zum 150. Geburtstag des Architekten | |
Antoni Gaudí ihren Höhepunkt: Zelebriert wird in Barcelona auch ein Hochamt | |
seiner endgültigen Verkitschung | |
von RALPH BOLLMANN | |
Jordi Pujol kommt das Jubiläum sehr gelegen. Einen „großen Katalanisten“ | |
gelte es zu ehren, einen Baumeister „von Identität und Katalanität“. | |
Typisch Pujol, Präsident der Autonomieregierung Kataloniens. Der Mann, der | |
die Gegend zwischen Pyrenäen und Mittelmeer seit dem Ende der | |
Francodiktatur fast im Alleingang regiert, hat seine politische Karriere | |
auf dem Katalanismus aufgebaut – auf den Glauben, diese Ecke Spaniens, eben | |
Katalonien, sei eigentlich gar nicht mehr Spanien. | |
Und niemand passt besser als der Jugendstilarchitekt Antoni Gaudí zu dem | |
Bild, das die Berufskatalanen von ihrer kleinen „Nation“ entworfen haben: | |
Unkonventionell und kreativ wollen sie sein, weltoffen und europäisch, | |
immer an der Spitze des Fortschritts – eben im Gegensatz zum fernen Madrid, | |
das man in Barcelona gerne noch für eine graue Stadt aus der Francozeit | |
hält. | |
Weil kommenden Dienstag exakt 150 Jahre vergangen sind, seit Gaudí im | |
katalanischen Reus geboren wurde, erlebt Barcelona in diesen Tagen eine Art | |
Ausnahmezustand. Nicht weniger als 167 Veranstaltungen zählt allein das | |
offizielle Programm des Gaudíjahres, das Pujol schon im Frühjahr gemeinsam | |
mit der spanischen Königin eröffnete. Weitere Ausstellungen und Vorträge, | |
Konzerte und Volksfeste kommen hinzu. Und weil die Katalanen auch über | |
einen gesunden Geschäftssinn verfügen, erwarten sie dieses Jahr vier | |
Millionen Barcelonatouristen – doppelt so viele wie in gewöhnlichen Jahren. | |
Aber was sind gewöhnliche Jahre in und um Barcelona: Olympischen Spielen | |
wurden dort 1992 abgehalten, das Weltkulturforum der Unesco findet 2004 | |
statt: Die Methode, sich von Event zu Event zu hangeln, hat die Kapitale | |
dieses Landstrichs längst perfektioniert. Seit Francos Tod im Jahre 1976 | |
lebt die Stadt im Aufschwung. Als Vorbild dient die letzte große | |
Boomperiode der Stadt am Ende des 19. Jahrhunderts – zu genau jener Zeit | |
also, als die meisten Bauten Gaudís entstanden. Auch damals war es ein | |
Großereignis, mit dem sich Barcelona der Welt präsentierte – die | |
Weltausstellung 1888. | |
Die Einwohnerzahl vervierfachte sich innerhalb weniger Jahrzehnte. Auf dem | |
Reißbrett planten die Stadtväter das riesige Neubauviertel „Eixample“ | |
(„Erweiterung“). Die Boulevards von Paris waren das Vorbild. Das liberale | |
Wirtschaftsbürgertum wetteiferte um den Bau der pompösesten Geschäftsbauten | |
und luxuriösesten Mietshäuser. Das Gefühl eines umfassenden Aufbruchs fand | |
seinen architektonischen Ausdruck im „Modernisme“, der katalanischen | |
Variante des Jugendstils. | |
Den Baumeistern der Zeit ging es um nichts Geringeres als um die Geburt | |
einer Nation aus dem Geist der Architektur. Der junge Dandy Gaudí stellte | |
sich in den Dienst dieser „Renaixença“ („Wiedergeburt“), gemeinsam mit | |
anderen, in Katalonien kaum weniger bekannten Architekten wie Lluís | |
Domènech i Montaner oder Josep Puig i Cadafalch. Die parabelförmigen | |
Spitzbögen, mit denen Gaudí seine Bauten in jener Zeit versah, imitierten | |
bewusst die gotische Kunst des späten Mittelalters – jener Epoche, die als | |
Blütezeit Kataloniens betrachtet wurde. | |
Es war ein Kreis von Künstlern, Literaten und reichen Mäzenen, der eine | |
Tradition begründete. Der mit Gaudí befreundete Nationaldichter Jacint | |
Verdaguer, dessen hundertster Todestag ebenfalls in diesem Jahr begangen | |
wird, erhob das Katalanische wieder zur Literatursprache. Der | |
Textilfabrikant Eusebi Güell förderte die Bewegung mit Geld und politischem | |
Engagement. Er wurde zu Gaudís wichtigstem Auftraggeber. | |
Aber der Börsenkrach von 1882 hatte den Boom kräftig abgebremst, als sich | |
dieses neue Katalonien auf der Weltausstellung in Szene setzte. Der Verlust | |
Kubas im Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 stürzte das Land vollends | |
in die Krise. Das Aufkommen der Arbeiterbewegung und eine Welle | |
anarchistischer Attentate ließen die Nationalbewegung nach rechts rücken. | |
Ähnlich wie in Deutschland kopierten die Industriellen lieber den | |
Lebensstil des Adels, als an ihrem bürgerlichen Selbstbewusstsein | |
festzuhalten. So ließ sich auch Gaudís Förderer Güell 1910 in den | |
Grafenstand erheben. | |
In dieser Zeit, in der alle Maßstäbe ins Rutschen gerieten, entstanden | |
Gaudís wahnwitzigste Werke. Seit 1900 schuf er den Park Güell als eine | |
vollendete Symbiose von Kunst und Natur, entwarf Laubengänge mit schräg | |
gestellten Säulen, schenkte der Stadt ihre schönste Aussichtsplattform mit | |
einer schlangenförmigen, grellbunt gekachelten Bank. Seit 1904 baute Gaudí | |
direkt an der Geschäftsmeile Passeig de Gràcia die Casa Batlló, deren Dach | |
er mit einer grob geschuppten Reptilienhaut überzog. Schräg gegenüber | |
schließlich arbeitete er seit 1906 an seinem letzten Werk, das er noch | |
weitgehend selbst fertig stellen lassen konnte: der wild geschwungenen Casa | |
Milà mit ihren exzentrischen Schornsteinen. | |
Doch für solche Extravaganzen war in den härter werdenden Kämpfen der Zeit | |
immer weniger Platz. Gaudí wurde in der Presse angefeindet, seine Casa Milà | |
wahlweise als „Steinbruch“, „Pastete“ oder „Hornissennest“ verspott… | |
Architekt zog sich immer mehr zurück und nahm nach 1914 keinen neuen | |
Auftrag mehr an. Der 62-Jährige konzentrierte sich nun auf ein Projekt, an | |
dem er nebenher schon seit dreißig Jahren arbeitete: auf die Kirche La | |
Sagrada Familia – das Wahrzeichen Barcelonas. | |
Den Bau hatte eine Gruppe ultraorthodoxer Katholiken 1882 begonnen, als | |
einen Tempel der Sühne für die Sünden der modernen Welt, für die | |
Ausschweifungen des Liberalismus und des Konsums. Auf dem Höhepunkt des | |
Gründerbooms war ein solcher Fundamentalismus derart randständig, dass die | |
Sektierer um den Buchhändler Josep María Bocabella nur einen unbekannten, | |
also billigen Architekten verpflichten konnten: den gerade 31-jährigen | |
Gaudí. | |
Zwei Jahrzehnte lang wurde auf der Baustelle mit mäßigem Fortschritt | |
gearbeitet, ohne dass eine breitere Öffentlichkeit davon Notiz genommen | |
hätte. Das änderte sich um die Jahrhundertwende, als der Bischof von | |
Barcelona das Projekt an sich zog. Die Wiedergeburt der katalanischen | |
Nation sollte nun einhergehen mit einer Renaissance der katholischen | |
Kirche, und die Sagrada Familia sollte diese Symbiose von Nation und | |
Religion verkörpern. | |
Für ein derart konservatives Programm war die exzentrische Architektur | |
Gaudís allerdings denkbar ungeeignet. Die nationalreligiösen Ideologen | |
lösten das Problem, indem sie Gaudí kurzerhand zur „Hand Gottes“ | |
verklärten, zu einem Mystiker, Visionär und Propheten – eine | |
Rollenzuschreibung, die sich der Architekt mehr und mehr zu Eigen machte. | |
Auf diese Weise hatte der Klerus eine Erklärung für die künstlerischen | |
Ausschweifungen gefunden: Gaudí – exzentrisch, aber fromm. | |
Zugleich wurde Gaudí von den Auftraggebern gedrängt, endlich einen | |
Gesamtplan der Kirche vorzulegen – obwohl dieser Wunsch seiner Arbeitsweise | |
widersprach, die einzelnen Gebäudeteile erst während des Baus organisch zu | |
entwickeln. Der „endgültige Plan“, der dem heutigen Weiterbau der Kirche | |
zugrunde liegt, wurde erst nach dem Tod Gaudís veröffentlicht. Nun stand | |
der Architekt nicht mehr im Wege. | |
Es half nichts, dass sich vom Maler Salvador Dalí bis zum Architekten Le | |
Corbusier fast die gesamte Kulturelite gegen den Weiterbau der Kirche | |
aussprach, von der damals nur die Ostfassade stand. Heute gibt es ohnehin | |
kein Zurück mehr. Zu viele Scheußlichkeiten sind bereits begangen worden: | |
Die neue Westfassade sieht aus wie irgendeine Wallfahrtskirche zwischen | |
Fatima und Loreto, das halb fertige Langhaus erinnert an die Aula einer | |
Waldorfschule. | |
Wenn die Kirche – wie geplant – in zwanzig Jahren fertig ist, sind die | |
Bauherren am Ziel: Dann haben sie die Vereinnahmung Gaudís vollendet und | |
seiner Architektur alles Nonkonforme, also Spröde, genommen. Krönen wollen | |
sie das Werk durch die Seligsprechung des Architekten, die sie beim Papst | |
bereits beantragt haben. In dem eigens zusammengestellten Dossier berichten | |
sie sogar von Kranken, die durch eine Anrufung Gaudís von ihrem Leiden | |
geheilt worden sein wollen. Den meisten Besuchern allerdings sind die | |
Bauwerke, die der Architekt hinterlassen hat, „Herrlichkeit genug“, wie es | |
Daniel Giralt-Miracle ausdrückt, der Koordinator des Gaudíjahres. Ob Gaudí | |
ein Heiliger war oder ein katalanischer Nationalist, interessiert sie | |
herzlich wenig. Mehr als bei jedem anderen Künstler ist die Person hinter | |
dem Werk verschwunden – so sehr, dass es in deutscher Sprache nicht eine | |
einzige Biografie des Meisters gibt. | |
Der endgültige Siegeszug des lange umstrittenen Architekten, dessen Sagrada | |
Familia für den bekennenden Katalonienliebhaber George Orwell „eines der | |
hässlichsten Gebäude der Welt“ war, begann in den Achtzigerjahren. Wie | |
Gaudís eigene Epoche war es eine Zeit der Skepsis gegenüber dem kalten | |
Rationalismus der Moderne. Die ökologische Bewegung trat ihren Siegeszug | |
an, die Rückbesinnung auf die eigene Geschichte kam in Mode, in Wien | |
feierte ein Skulpteur und Architekt wie Friedensreich Hundertwasser mit | |
seinem verspielten Neojugendstil Triumphe. | |
Zeitlebens suchte Gaudí nach einer neuen Identität in der so plötzlich über | |
seine Heimat hereingebrochenen Moderne. Er suchte sie, rückwärts gewandt, | |
im Nationalen und Spirituellen. Gefunden aber hat er sie, nach vorne | |
weisend, in der vielfach gebrochenen Sprache seiner Architektur. | |
RALPH BOLLMANN, 33, lebt in Berlin und ist Mitglied im taz-Schwerpunktpool | |
22 Jun 2002 | |
## AUTOREN | |
RALPH BOLLMANN | |
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