# taz.de -- Wissen ist Geld | |
> Auch das Urheberrecht wird globalisiert. Auf dem Spiel stehen damit nicht | |
> nur die Rechte der reichen Konsumenten. Gefährdet ist vor allem die | |
> Informationsfreiheit in den Entwicklungsländern | |
von KONRAD LISCHKA | |
Für Wissenschaftler in Entwicklungsländern könnte das Internet ein | |
wunderbarer Ersatz für die fehlenden Bibliotheken sein – so schien es. | |
Allein der Verlag Elsevier Science bietet fast drei Millionen Artikel aus | |
seinen über tausend Fachzeitschriften online an. Wenn allerdings ein | |
Mediziner beispielsweise aus Simbabwe den Artikel über Schwierigkeiten bei | |
Tuberkulosetherapien aus der Märzausgabe des Journal of Clinical | |
Epidemiology im Netz lesen will, steht er heute vor unerfreulichen | |
Alternativen: Entweder seine Forschungseinrichtung zahlt 1.706 Dollar für | |
ein Jahresabonnement oder 30 Dollar für den Abruf des Artikels. | |
Das durchschnittliche Monatseinkommen in Simbabwe liegt bei 40 Dollar. Die | |
Rate der an Tuberkulose Erkrankten ist aber zehnmal höher als in Europa – | |
und das digitale Zeitalter wird daran nichts ändern. Im Gegenteil: Die | |
vermeintlich freie Informationsgesellschaft wird mehr und mehr zur | |
Informationskontrollgesellschaft. | |
Der US-Juraprofessor Lawrence Lessig hatte das schon 1999 in seinem Buch | |
„Code“ prophezeit. Heute wettert Lessig vor dem Obersten Gerichtshof der | |
Vereinigten Staaten gegen eine vom Senat 1998 beschlossene Verlängerung des | |
Urheberrechtsschutzes von 75 auf 95 Jahre. Ein Erfolg der Medienlobby von | |
Washington: Ohne diesen Beschluss hätte der bereitwillig an Politiker und | |
Parteien spendende Disney-Konzern 2003 das Monopol auf seine Figuren Micky | |
Maus, Pluto, Goofy und Donald Duck verloren. Jetzt kann Disney noch zwei | |
weitere Jahrzehnte lang gegen Kindergärten vorgehen, die ihre Wände | |
unerlaubt und ohne zu bezahlen mit den Umrissen Mickys und Goofys zieren – | |
so geschehen in Florida. | |
Lessig ficht diese Verlängerung an, weil er glaubt: „Immer wenn eine neue | |
Technologie zur Distribution von Inhalten entstand, hat der Gesetzgeber | |
zwar Kompensation garantiert, nicht aber Kontrolle ermöglicht.“ Doch genau | |
das geschieht weltweit. Die Digitalisierung hat neben dem Gesetz eine | |
zweite Kontrollebene etabliert: den Code. | |
Wer heute die restaurierte US-Fassung von „Vertigo“ mit dem Kommentar des | |
Produzenten sehen oder sich ein E-Book mit Hilfe von Blindensoftware | |
vorlesen lassen will, kann das nicht. Die Rechte-Inhaber verhindern es mit | |
Hilfe der Technik. Inzwischen dienen Code wie Gesetze in den USA vor allem | |
den Partikularinteressen der Copyrightindustrien: Der Digital Millennium | |
Copyright Act (DMCA) verbietet generell das Umgehen von Kopierschutz. | |
Deshalb sagt Lessig: „Das Gesetz wurde benutzt, um ein extremes Konzept | |
geistigen Eigentums durchzusetzen.“ | |
Die Folgen sind in den Entwicklungsländern am schlimmsten. Noch kann ein | |
Wissenschaftler aus Simbabwe zumindest darauf hoffen, dass ein Kollege ihm | |
die Kopie eines wichtigen Artikels zufaxt. Doch was geschieht, wenn | |
wissenschaftliche Zeitschriften bald ausschließlich online vertrieben und | |
dann gar per Digital-Rights-Management-Software verschlüsselt werden? Und | |
was geschieht, wenn solche Schutzmechanismen weltweit mit ähnlichen | |
Gesetzen wie in den Vereinigten Staaten geschützt werden? | |
## Diktatur der Reichen | |
Die Entwicklungsländer können nicht selbst bestimmten, wann und in welcher | |
Form sie Schutzrechte für geistiges Eigentum umsetzen. Mitglieder der World | |
Trade Organization (WTO) müssen die so genannten trade-related aspects of | |
intellectual-property rights (Trips) annehmen. Entwicklungsländer haben bis | |
zum Jahr 2006 Zeit, die Anforderungen dieses Vertrags zu erfüllen. Die | |
Trips schreiben zum Beispiel als unveränderbare Richtlinie vor, dass | |
Computerprogramme, Schaltkreise, Medikamente und bestimmte | |
Pflanzenvariationen geschützt werden. Außerdem muss derselbe Schutz und | |
dieselbe Verfolgung von Verstößen für in- und ausländische Rechte-Inhaber | |
gelten. Zwar ist die Ausführung überwiegend den nationalen Gesetzgebern | |
überlassen, die aber stehen unter dem Druck der entwickelten Staaten. Als | |
der Libanon beispielsweise 1997 wegen abstrus hoher Softwarepreise | |
Zwangslizenzen für Programme in Bildungsinstitutionen einführen wollte, | |
drohten die USA auf Betreiben großer Softwareunternehmen mit Sanktionen. | |
Die Zwangslizenzen kamen nicht, die Preise blieben hoch. | |
Eine mit dem DMCA vergleichbare Regulierung könnte dehalb durchaus auch in | |
Entwicklungsländern durchgesetzt werden. Die Weltbank schreibt ganz offen | |
in ihrem Bericht Global Economic Prospects and the Developing Countries | |
2002: „Da die industrialisierten Staaten die Hauptprofiteure von geistigen | |
Eigentumsrechten sind und hier große Herausforderungen in den | |
Entwicklungsländern anstehen, ist es im Interesse der Ersteren, den ärmsten | |
Staaten bei der Umsetzung von Trips zu helfen.“ Der Internationale | |
Währungsfonds rechnet vor, dass die Vereinigten Staaten 1999 weltweit am | |
meisten Geld durch Urhebertantiemen, Lizenz- und Patentgebühren verdienen: | |
36,5 Milliarden Dollar. Dem stehen nur 13,5 Milliarden Dollar an solchen | |
Zahlungen ins Ausland gegenüber. | |
Die Wissenshandelsbilanzen der Entwicklungsländer dagegen sind defizitär. | |
Ohnehin ist traditionelles Wissen bisher kaum je urheberrechtlich geschützt | |
worden, und Regelungen wie die Trips machen es diesen Staaten schwer, | |
eigene Ressourcen auf den neuen Wissensfeldern zu entwickeln. Die britische | |
Regierungskommission zu geistigen Eigentumsrechten (IPR-Kommission) | |
schreibt: „Letztendlich haben private Unternehmen ihren Inhabern gegenüber | |
Verantwortung. Sie sind keine wohltätigen Organisationen und sie sind auch | |
nicht dazu gedacht, welche zu sein.“ | |
## Notwehr erlaubt | |
Deshalb sei es unwahrscheinlich, dass viele Verleger wissenschaftlicher | |
Zeitschriften dem Beispiel des British Medical Journal folgen, das Nutzer | |
aus Entwicklungsländern kostenlos online zugreifen lässt. Eine Ausnahme ist | |
auch das Massachusetts Institute of Technology, das seit Anfang dieses | |
Monats Material zu Seminaren kostenlos online stellt. So hatte das Internet | |
einst seine Karriere begonnen, doch der Bibliothekar Colin Darch, der in | |
Äthiopien, Tansania, Mosambik, Simbabwe und Südafrika gearbeitet hat, | |
bleibt pessimistisch: „Die Kommerzialisierung von Information ist eine | |
düstere Aussicht für Bibliothekare und für Wissenschaftler, die an die | |
volle Veröffentlichung als Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens glauben. | |
Es scheint, dass wir die elektronische Bibliothek der Zukunft nicht ohne | |
Kreditkarte betreten können.“ | |
Auch die IPR-Kommission warnt die Entwicklungsländer davor, sich am Digital | |
Millennium Copyright Act zu orientieren oder dem Urheberrechtsabkommen der | |
World Intellectual Property Organization beizutreten: „Wo die Anbieter | |
digitaler Informationen oder Software versuchen, den ‚fair use‘ | |
einzuschränken, sollten die Verträge als nichtig betrachtet werden. Wenn | |
dieselben Einschränkungen technisch durchgesetzt werden, sollen Maßnahmen | |
zum Umgehen des Schutzes nicht als illegal betrachtet werden.“ | |
Doch dem stehen die Interessen der Copyrightindustrie entgegen. Auch der | |
streitbare Lawrence Lessig ist skeptisch: „Bisher habe ich verloren. Auf | |
allen Ebenen verloren.“ | |
[1][[email protected]] | |
10 Oct 2002 | |
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## AUTOREN | |
KONRAD LISCHKA | |
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