Der Sommer 2014 ist auch der Sommer des Jahres 1 nach den
Enthuellungen des Agenten Snowden. Ein Ereignis, das sich -
hartnaeckig und beharrlich - nicht vertreiben lassen will und immer
mehr auch zu einem Pruefstein wird, der unsere (internationale)
Gefuehlslage klaert. So gerade in einer Affaere zwischen den USA und
der BRD, in der diesmal nicht Algorithmen und Hackerangriffe, sondern
altmodische Spione aus Fleisch und Blut - allerdings bescheidenen
Formats - im Mittelpunkt stehen. Ich weiss nicht, wie es anderen geht,
aber mir ist die reale Existenz der Spionage in unserer Zeit schon
immer schaendlich vorgekommen: dass ein demokratisches Gemeinwesen mit
illegalen Mitteln, im Geheimen, mit Methoden der Verdunkelung gegen
selbsterklaerte Feinde vorgeht. Diese Ansicht scheint aber nur von den
Wenigsten geteilt zu werden. Besonders in den USA, wie ein Blick in
die Leserkommentare auf der website der 'New York Times' zeigt. Ganz
gleich, wie die Leser dort im Detail ihre Ansichten begruenden,
grundsaetzlich scheinen sie sich einig zu sein: cosi fan tute ("das
machen doch alle so"). Eine Haltung die - wie jede zynische Frechheit
- mir grundsaetzlich zuwider ist. Um einen 'Machtzynismus' handelt es
sich da, wie ihn 1983 schon Peter Sloterdijk beschrieben hat, der alle
anderen als materielle und dem Profit unterworfene Werte verhoehnt
("werdet doch endlich erwachsen"; "seid doch nicht so naiv"). Da freut
es auf den ersten, fernen Blick, wenn auf der anderen (deutschen)
Seite ein Verrat an der Freundschaft ("ich dachte, wir seien Freunde")
beklagt wird. Denn das Loblied der Freundschaft, so wenig diese auch
in der Politik einen Platz zu haben scheint, wird einfach viel zu
selten gesungen. Doch so sieht das alles nur aus der Vogelperspektive
aus. Liest man die Kommentare ausdauernd und aufmerksam, dann wissen
gerade die Leser der 'New York Times' durch ihre sorgfaeltigen,
rationalen und nicht zuletzt ruecksichtsvollen Aeusserungen zu
ueberzeugen, waehrend aus den deutschen Leserbriefen vor allem das
freche Ressentiment spricht. Wie laesst sich dieser Widerspruch
erklaeren? Man koennte es fuer einen Beweis dafuer halten, dass
nationale Identitaeten letztlich eben doch nur eine Einbildung sind
und die Menschen einige Stufen darunter - also naeher am Individuum
und ferner vom Kollektiv - viel seltener dem Klischee gehorchen. Wenn
man ihnen nur diesen laestigen Patriotismus abgewoehnen koennte.