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Eleganz in den Fingerspitzen
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Habe ich gesagt, es gibt keine Eleganz mehr? Ein Rest davon, so
gering und unscheinbar wie die Neige, die im Weinglas zurueckbleibt,
wenn die Lust am Wein vergangen ist, steckt noch in den Fingerspitzen.
Der Tourist, nicht mehr wirklich jung und schon laenger nicht mehr im
Training, beginnt seine Kraefte zu ueberschaetzen. Einen ganzen Tag in
der fremden Stadt unterwegs und die Muskeln fangen an zu schmerzen,
die Schritte werden kuerzer und die Sehnsucht nach Rast
unueberhoerbar. Da sucht er in seiner Mattigkeit Zuflucht in der
Standardisierung: essen muss er ja etwas, doch jetzt bitte keine
Komplikationen mehr. Globale Uniformierung scheint die Rettung:
Abenteuer und Schwierigkeiten hat er fuer heute genug gehabt. Er
betritt ein Restaurant, praeziser, die Imitation eines solchen, in dem
eine italienische Spezialitaet, nach einem Umweg ueber Amerika, die
hintersten Winckel Europas erobert. Europaweit dasselbe Angebot, das
verspricht zwar eher fade Gaumenfreuden, doch reduziert es wenigstens
die soziale Kommunikation auf ein Minimum, denkt sich unser Mann. Da
wird er enttaeuscht, denn wo alles am einfachsten scheint, koennen
doch immer noch ungeahnte Schwierigkeiten auftauchen (zumal in den
Uebergangsgesellschaften). Aber Schwamm drueber. Dass man meist
schlechter als gewohnt und teurer als geplant isst, wird den
Vielgereisten kaum mehr verwundern.
Was er jedoch nicht ohne inneren Widerstand hinnimmt, ist die
jugendliche Bedienstetenclique. Natuerlich gaert in ihm das
Ressentiment, die Konfrontation mit dem Personal macht ihm
unmissverstaendlich klar, dass Seinesgleichen hier allenfalls mit
einem mokanten Laecheln geduldet wird. Doch Ressentiment ist es nicht
allein, er kann sich nicht helfen: der Barmann, die Serviererinnen,
alle gewiss nicht aelter als 19-21 Jahre, Milchbaerte und naive
Dummchen allesamt, bewegen sich behende, praezise und
unermuedlich. Kein Anflug eines Gedankens oder Zweifels taugt hier
jemals zum Sandkorn im Getriebe des Betriebs.
Vor dem Tresen steht eine Art Pult mit Computerbildschirm. Wann immer
sich die Serviererin - die roten Haare zum Zopf geflochten reichen ihr
bis auf den Hintern - daran zu schaffen macht, blitzt fuer einen
Wimpernschlag die "alte Zeit" auf: die schmalen Finger mit den bleich
gelackten Naegeln zierlich gespreizt, schickt sie Daten in den
Rechner, die einzige Geste von Eleganz, zu der sie noch faehig
ist. Eleganz reduziert auf die Fingerspitzen, doch in in welcher
Konzentration: die Frauen in seinem Alter werden da fuer einen
Sekundenbruchteil ausgeblendet.
P.S. In der Pop-Endlosschleife, die waehrend seiner Mahlzeit im Lokal
herumwabert, lassen sich Klassiker ausmachen aus einer Zeit, in der
unser Mann noch ein Saeugling war. Fuer wen werden sie hier gespielt?
Ausser ihm, dessen Anwesenheit hier gar nicht vorgesehen ist, koennen
sie niemandem etwas bedeuten. Diese fuer alles zu jungen Gehirne,
werden sie fuer immer in ihrem Unterbewusstsein begraben.