Der große Goldrausch

    Vielleicht,  so  überlegte  Büttner,  stand  das  Spektakel um
    Thoreau und Buffalo Bill in  konkretem  Zusammenhang  mit  dem
    Great Klondike Gold Rush. Zumindest, so Büttners Einsicht, war
    ein  Zusammenhang  herzustellen.  Geschwind heftete er diverse
    Grafiken und Fotografien auf Tafeln, fügte Zitate und Naturma‐
    terialen hinzu und verteilte die Tafeln im Raum. Er hatte  das
             Vorgehen bei Aby kennen und lieben gelernt.

    Der große Goldrausch war ein Mord an der Natur und der Lebens‐
    grundlage  der  Native  Americans. Auch befeuerte er einen bis
    dahin unbekannten Innovationsschub,  der  sich  nicht  nur  im
    Technischen  manifestierte. Der Kleidungshersteller Filson zum
    Beispiel verdankte dem Gold  Rush  einen  ersten  ökonomischen
    Höhenflug.

    In  der  Geschichtsschreibung  der  europäischen Invasoren ob‐
    siegte letztlich der technische Ingenieursblick über  dem  der
    Schamanen  und  dem  der  Kleidungsindustrie. Davon zehrt noch
    heute die Zunft der Ingenieure. Die Philosophen und Soziologen
    rühmen die Moderne und die Aufklärung, doch langsam setzt sich
    die Erkenntnis durch, dass es auch anders sein könnte und dass
    im intellektuellen Fahrwasser Mord, Vernichtung und Ausbeutung
    nicht selten sind und waren.

    Für die kühlen und auch schönen Momente hatte  sich  Bohl  mit
    einer  Jacke  von  Filson  neu eingekleidet. Reuss und Büttner
    hielten dieses Ereignis mit der Camera Obscura, die  sie  seit
    Kalifornien  mitschleppten,  fest.  Die Reise der drei Freunde
    konnte fortgesetzt werden. Es sollten Momente auf Momente fol‐
    gen, Eindruck auf Eindruck. Erlebnis auf  Erlebnis.  Erfahrung
    auf Erfahrung.

    Doch  trotz  der  schönen  Momente  in der Natur wurde Büttner
    gewahr, dass in diesem Land ziemlich viel schief gelaufen war.
    Er kabelte seine Einsicht an Kampmann,  der  allerdings  nicht
    antwortete.  Lag  das  daran,  dass  er zwischenzeitlich seine
    Suche nach Büttner pausierte und in  Italien  das  süße  Leben
    genoss?

    Was nützte es, den Moment und die Vergangenheit zu verfluchen?
    Wieder und wieder galt es nach vorne zu schauen, sich dem Kom‐
    menden  zu  stellen,  sich  für  das  Kommende zu wappnen. Die
    Geschehnisse der Vergangenheit hinter  sich  zu  lassen.  Nach
    vorne schauen. Immer und immer weiter.

    Die  Dudes  wussten  das  schon  von  Anbeginn  der  Zeit. Sie
    vertrödelten die Zeit nicht mit «anti» und der Suche nach  den
    Schuldigen. Sie blickten nach vorne, und das war gut so. Diese
    Erkenntnis  der  Dudes  war  es,  die Beckett in Worstward Ho,
    sicherlich  etwas  verklausuliert,  dem  Leser  zu  vermitteln
    suchte.

    Büttner  beendete seine Überlegungen, klappte das Notizbuch zu
    und deutete den Gefährten die Bereitschaft zum Aufbruch an.

    Zuvor frühstückten sie, packten sodann ihre  Sachen  zusammen,
    bauten  das  Zelt ab und verstauten das Gepäck im Wagen. Reuss
    memorierte die geplante Route, holte tief Luft  und  trat  das
    Gaspedal  bis  zum Wagenboden durch. Büttner blickte durch das
    Heckfenster und konnte gerade noch sehen, wie Thoreau in  zer‐
    lumpten  Klamotten  die  Hinterlassenschaften der drei Freunde
    durchwühlte, auf der Suche nach etwas essbarem. Soweit war  es
    gekommen.

    Soundtrack: Louis Armstrong, Mack the Knive, Columbia, 1957

    Sascha Büttner