Deepprint 4934

    Q.,  bärtig  wie er Gott schuf. Verspätet samstags früh schlug
    er auf im Metalabor sechs. Es  ist  mitunter  schwierig,  wenn
    nicht  riskant, den verwunschenen Weg durch die Hessischen Wu‐
    dang Berge zu meistern. Orte wie Schlangenbad zu  durchqueren,
    kleine  Weiler,  in denen man berufsbeobachtet aus verhangenen
    Fenstern beargwöhnt wird, einsame Häuser  im  Wald,  in  denen
    allmögliche  Schurken  lauern. Ach was, es ist schon ein Aben‐
    teuer  für  sich,  die  hessische  Landeshauptstadt  Wiesbaden
                       überhaupt zu verlassen.

    Im  Jahr  2021 ist das mondäne Badstädtchen, in dem sich einst
    der Hochadel von Tuberkulose, Syphillis und  anderen  schreck‐
    lichen  Krankheiten  auskurierte,  fast  vollständig  von  der
    Außenwelt abgeschottet.  Zuerst  brach  eine  wichtige  Brücke
    unter  der  Last  eines Schwertransports zusammen, so dass die
    Bahnline, die darunter verlief, gesperrt  werden  musste.  Was
    zur  Folge hatte, dass der ÖPNV zwischen den beiden Metropolen
    Mainz und Wiesbaden zum Erliegen kam. Plötzlich  mussten  Men‐
    schen,  die  mal eben zur Arbeit wollten, von hie nach da oder
    von da nach hie, den weiten Weg über Frankfurt nehmen oder mit
    Fahrrädern   über   waghalsig   schmale   Rheinbrücken    sich
    durchkämpfen.  Als  auch  noch die rechtsrheinische Schlagader
    zwischen Aßmannshausen und Lorch zur Baustelle erklärt  wurde,
    kein  Durchkommen  mehr für niemand, lag die Spekulation nahe,
    dass «Kräfte» an einer Abschottung Wiesbadens arbeiteten. Pure
    Spekulation, ob es sich um einen infamen  Plan  handelte,  die
    Radical  Dudes,  die  in  großer  Zahl aus der hessischen Lan‐
    deshauptstadt kommen, vom Besuch des Metalabors in den  schwer
    zugänglichen Hessischen Wudang Bergen abzuhalten.

    Q. schaffte es trotzdem. Und berichtete.

    In  Tschechien  habe  er einen Drucker geordert. Besser gesagt
    einen Bausatz. 3D‐fähig. Damit kann man alles drucken, jubelte
    er, einfach alles. Autos, Häuser, Geld, sogar Motorradteile.

    Motorradteile sind wichtig. Wie sonst sollte Dude Kampmann aus
    dem fernen Bayern, der seine Mühle bei einem Faux Pas in einem
    glitschigen Kreisverkehr geschrottet hatte, zum Metalabor kom‐
    men? No Mühle, no Cry, no Metalabor. Kurzum, die nicht mehr zu
    beschaffenden Ersatzteile des antiken Gefährts, riet man  ihm,
    solle  er  doch am besten von einem 3D‐Druckservice herstellen
    lassen. Ein Bremshebel, Kupplung, die  Gangschaltung  und  ein
    paar weitere Ersatzteile. Teile, die, wenn man dem Diktat kap‐
    italistischer  Koexistenz gehorchen müsste, jederzeit erhalten
    könnte. Doch die Mühle ist alt. Uralt. Fällt  nicht  mehr  ins
    Schema. Schrottreif. Schade, sagt sich der normale Mensch. Der
    innere  freie  Demokrat  jedoch  jubelt und gröhlt: Dafür muss
    jeder selbst sorgen.

    Egal. Q. versprach Abhilfe. Sein Drucker aus  Tschechien,  den
    er  in wochenlanger Tüftelei selbst zusammen gebaut hatte, war
    eine wahre  Wundermaschine.  Man  braucht  nur  ein  Foto  des
    benötigten  Teils,  jagt  es  durch den Scanner, erstellt eine
    Druckdatei und schickt die Daten los. Kampmann gerettet?

    Deepprint 4934 gilt als einer der ersten 3D‐Drucker, die  sich
    selbst  reproduzieren  können.  Mehr noch. Er kann sich selbst
    verbessern. Selbstoptimierung der KI. Klingelts?

    Problem: Deepprint 4934 ist unendlich langsam. Für einen  Kup‐
    plungshebel  eines Motorrads würde er ganze zwei Tage und eine
    Nacht benötigen. Ein Haus  dauert  fünfzig  Wochen.  Wenn  man
    einen Trupp billig gekaufter Maurer aus dem Schengenraum damit
    beauftragen würde, wäre das Haus in zwei Wochen bezugsfertig.

    Kurzum, wir haben ein fucking Problem, Wiesbaden.

    Und  wir  werden  es  lösen.  Die  Dudes, die an diesem bedeu‐
    tungsvollen Metalabor sechs  im  Jahre  2021  zusammen  kamen,
    steckten  die  Köpfe  zusammen.  Sechs  Veltins  und ein Jever
    weiter kamen sie zu dem Schluss, wir drucken keinen  Kupplung‐
    shebel  für Kampmanns Motorrad. Wir drucken einen Drucker, der
    schneller druckt als der Drucker, mit dem wir ihn drucken  und
    mit  dem  schnelleren  Drucker  drucken wir einen Drucker, der
    noch schneller druckt und so weiter und so fort. Wenn wir  den
    Vorgang  vom  Anbeginn der Zeit bis zum Ende der Zeit fortset‐
    zen, haben wir  schließlich  einen  Drucker,  der  so  schnell
    druckt, wie kein Drucker jemals zuvor.

    So weit so gut.

    Problem: Wiesbaden. Wo der Drucker steht. Die Dudes durch ver‐
    schwörerische   Verkehrsplanung  abgeschnitten  von  Deepprint
    4934. Idee hier in den Hessischen Wudang Bergen,  Produktions‐
    mittel dort, im Moloch der Stadt, die von unheimlichen Kräften
    abgeschottet wird.

    Kampmann jedoch, Doppelagent, bauernschlau, mit den Waffen der
    modernen  Welt  gerüstet, gelang die Flucht. Schlage den Kapi‐
    talismus mit seinen eigenen Mitteln, so lautete seine  Lösung:
    Mit   Kreditkarten.   Bei  einem  internationalen  Autoverleih
    erkaufte er sich ein Transportmittel,  um  den  beschwerlichen
    Weg von zu Hause in die Wudang Berge zu bewältigen.

    Kam, sah und blieb.

    Jürgen Rinck