Q., bärtig wie er Gott schuf. Verspätet samstags früh schlug
er auf im Metalabor sechs. Es ist mitunter schwierig, wenn
nicht riskant, den verwunschenen Weg durch die Hessischen Wu‐
dang Berge zu meistern. Orte wie Schlangenbad zu durchqueren,
kleine Weiler, in denen man berufsbeobachtet aus verhangenen
Fenstern beargwöhnt wird, einsame Häuser im Wald, in denen
allmögliche Schurken lauern. Ach was, es ist schon ein Aben‐
teuer für sich, die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden
überhaupt zu verlassen.
Im Jahr 2021 ist das mondäne Badstädtchen, in dem sich einst
der Hochadel von Tuberkulose, Syphillis und anderen schreck‐
lichen Krankheiten auskurierte, fast vollständig von der
Außenwelt abgeschottet. Zuerst brach eine wichtige Brücke
unter der Last eines Schwertransports zusammen, so dass die
Bahnline, die darunter verlief, gesperrt werden musste. Was
zur Folge hatte, dass der ÖPNV zwischen den beiden Metropolen
Mainz und Wiesbaden zum Erliegen kam. Plötzlich mussten Men‐
schen, die mal eben zur Arbeit wollten, von hie nach da oder
von da nach hie, den weiten Weg über Frankfurt nehmen oder mit
Fahrrädern über waghalsig schmale Rheinbrücken sich
durchkämpfen. Als auch noch die rechtsrheinische Schlagader
zwischen Aßmannshausen und Lorch zur Baustelle erklärt wurde,
kein Durchkommen mehr für niemand, lag die Spekulation nahe,
dass «Kräfte» an einer Abschottung Wiesbadens arbeiteten. Pure
Spekulation, ob es sich um einen infamen Plan handelte, die
Radical Dudes, die in großer Zahl aus der hessischen Lan‐
deshauptstadt kommen, vom Besuch des Metalabors in den schwer
zugänglichen Hessischen Wudang Bergen abzuhalten.
Q. schaffte es trotzdem. Und berichtete.
In Tschechien habe er einen Drucker geordert. Besser gesagt
einen Bausatz. 3D‐fähig. Damit kann man alles drucken, jubelte
er, einfach alles. Autos, Häuser, Geld, sogar Motorradteile.
Motorradteile sind wichtig. Wie sonst sollte Dude Kampmann aus
dem fernen Bayern, der seine Mühle bei einem Faux Pas in einem
glitschigen Kreisverkehr geschrottet hatte, zum Metalabor kom‐
men? No Mühle, no Cry, no Metalabor. Kurzum, die nicht mehr zu
beschaffenden Ersatzteile des antiken Gefährts, riet man ihm,
solle er doch am besten von einem 3D‐Druckservice herstellen
lassen. Ein Bremshebel, Kupplung, die Gangschaltung und ein
paar weitere Ersatzteile. Teile, die, wenn man dem Diktat kap‐
italistischer Koexistenz gehorchen müsste, jederzeit erhalten
könnte. Doch die Mühle ist alt. Uralt. Fällt nicht mehr ins
Schema. Schrottreif. Schade, sagt sich der normale Mensch. Der
innere freie Demokrat jedoch jubelt und gröhlt: Dafür muss
jeder selbst sorgen.
Egal. Q. versprach Abhilfe. Sein Drucker aus Tschechien, den
er in wochenlanger Tüftelei selbst zusammen gebaut hatte, war
eine wahre Wundermaschine. Man braucht nur ein Foto des
benötigten Teils, jagt es durch den Scanner, erstellt eine
Druckdatei und schickt die Daten los. Kampmann gerettet?
Deepprint 4934 gilt als einer der ersten 3D‐Drucker, die sich
selbst reproduzieren können. Mehr noch. Er kann sich selbst
verbessern. Selbstoptimierung der KI. Klingelts?
Problem: Deepprint 4934 ist unendlich langsam. Für einen Kup‐
plungshebel eines Motorrads würde er ganze zwei Tage und eine
Nacht benötigen. Ein Haus dauert fünfzig Wochen. Wenn man
einen Trupp billig gekaufter Maurer aus dem Schengenraum damit
beauftragen würde, wäre das Haus in zwei Wochen bezugsfertig.
Kurzum, wir haben ein fucking Problem, Wiesbaden.
Und wir werden es lösen. Die Dudes, die an diesem bedeu‐
tungsvollen Metalabor sechs im Jahre 2021 zusammen kamen,
steckten die Köpfe zusammen. Sechs Veltins und ein Jever
weiter kamen sie zu dem Schluss, wir drucken keinen Kupplung‐
shebel für Kampmanns Motorrad. Wir drucken einen Drucker, der
schneller druckt als der Drucker, mit dem wir ihn drucken und
mit dem schnelleren Drucker drucken wir einen Drucker, der
noch schneller druckt und so weiter und so fort. Wenn wir den
Vorgang vom Anbeginn der Zeit bis zum Ende der Zeit fortset‐
zen, haben wir schließlich einen Drucker, der so schnell
druckt, wie kein Drucker jemals zuvor.
So weit so gut.
Problem: Wiesbaden. Wo der Drucker steht. Die Dudes durch ver‐
schwörerische Verkehrsplanung abgeschnitten von Deepprint
4934. Idee hier in den Hessischen Wudang Bergen, Produktions‐
mittel dort, im Moloch der Stadt, die von unheimlichen Kräften
abgeschottet wird.
Kampmann jedoch, Doppelagent, bauernschlau, mit den Waffen der
modernen Welt gerüstet, gelang die Flucht. Schlage den Kapi‐
talismus mit seinen eigenen Mitteln, so lautete seine Lösung:
Mit Kreditkarten. Bei einem internationalen Autoverleih
erkaufte er sich ein Transportmittel, um den beschwerlichen
Weg von zu Hause in die Wudang Berge zu bewältigen.