Buffalo Bill

                          Pahreah Ghost Town

    In  der  Paria Ghost Town wurde ihnen erst so richtig bewusst,
    wie beschissen dieses Land eigentlich  war.  Sie  hofften  auf
    Ruhe, auf das Urtümliche, das Rauhe, die Kultur und sahen doch
                          nur ein Phantasma.

    Das  echte Leben, was sollte das sein? Diese abgewrackte Geis‐
    terstadt, in der jeden Moment John Wayne auftauchen würde?  In
    der Buffalo Bill die Main Street rauf und runter reiten würde?
    Eben  jener  Buffalo, der selbst zu einem Phantasma wurde. Zum
    ersten Spektakel‐Helden der USA. Der mit zwielichtigen Gestal‐
    ten seinen Zirkus aufbaute, in dem Sitting Bull der  grölenden
    Masse zum Fraß vorgeworfen wurde. Jener Masse, die später dann
    Trumps  Zombie‐Armee  werden  würde.  Die das Capitol stürmte,
    gewalttätig, wie zu Anbeginn der Zeit, als Kolumbus und  seine
    Schergen festen Boden betraten.

    Plump,  wie die Europäer waren, nannten sie die, die schon im‐
    mer da waren, Indianer, ihren  Irrtum  kaschierend  und  nicht
    eingestehend, dass andere längst schon da gewesen waren.

    Büttner  blickte,  bei  all  dem  Leid,  was er spüren konnte,
    betrübt aus dem Saloon in die Mittagshitze.

    Beuys, der von alledem auch nur annähernd keine Ahnung  hatte,
    schmierte sich seinen Dickschädel mit Fett ein, um sich so vor
    der  Sonnenglut zu schützen. Reuss schlief im Schatten des Sa‐
    loons, Bohl meditierte.

    Die Artikel im Internet waren voll von der Schönheit von Utah,
    der Wüste und diesem Movie‐Set. Was sollten sie auch schon an‐
    deres würdigen, hatten doch die ersten Europäer alles aus  dem
    Weg geballert, was 2 oder 4 Beine hatte. Die, die die Vernich‐
    tungsfeldzüge  überlebt  hatten, wurden von Buffalo Bill durch
    die Manege getrieben. Ihrer Geschichte, ihrer Identität, ihrer
    Kultur beraubt.

        Mit jeder Sprache, die vernichtet  wird,  die  aus‐
        stirbt,   wird   ein   Fenster   zur   Wirklichkeit
        geschlossen.

    Büttner sah vor sich die Wild West Show durch die  staubigen
    Straßen  von Pahreah marschieren. Über allem thronte Buffalo
    Bill als reines Marketing‐Produkt.  In  leuchtenden  Lettern
    wurde  dieses  einzigartige  Spektakel  angekündigt. Büttner
    spürte den Willen der Marschierenden, sich nicht die  letzte
    Würde  nehmen zu lassen. Egal, wie sehr auch die Menge toben
    und grölen und sie anspucken würde. Es wurde ganz  ruhig  in
    Pahreah.  Kleine  Staubwolken  lösten  sich  auf.  Die Sonne
    näherte sich friedfertig dem Horizont und brachte die Farben
    der Staubwüste zum leuchten. Feine Gesänge schwirrten  durch
    die  Luft. Frauen, Kinder, Greise, Krieger versammelten sich
    auf dem zentralen Platz. Der Häuptling hatte sie  alle  satt
    zu  bekommen.  Ein Schamane stand mit Rat und Tat zur Seite.
    Es wurde gelacht. Es wurde debattiert. Entscheidungen wurden
    getroffen und der Häuptling ohne Macht hatte sie umzusetzen.
    Diese Realität, oder war es doch nur eine  eurozentristische
    Projektion eines Amerikareisenden, war weit entfernt von den
    Hollywood‐Filmen,  der Wild West Show und den Reportagen auf
    arte. Diese Realität kam dort nicht  vor,  denn  dort  wurde
    einzig   und  ausschließlich  die  Geschichte  der  Eroberer
    erzählt, in der die Unterdrückten, die Ausgebeuteten, allen‐
    falls als Staffage, als Ausschmückung der  grandiosen  Land‐
    schaft, vorkamen.

    Doch  das  reichte  den  Ausbeutern noch nicht. Als zaghafte
    Stimmen hörbar wurden, die die Geschichte der Ausbeuter  aus
    Sicht  der Unterdrückten und Ausgebeuteten erzählten, wurden
    diese kritisiert und diffamiert. Was konnten diese  Erzähler
    gegen  die  tausendfachen  Stimmen, die aus den Heimatmuseen
    die  verfälschte  Geschichte  der  Europäer  brüllten,  aus‐
    richten?  In kleinen, pittoresken Dioramen und Vitrinen kon‐
    nte man das sehen, was  FfK  hier,  in  Pahreah,  vor  Augen
    hatte:  Städte,  die nie existierten, bewohnt von Bewohnern,
    die nicht das waren, was sie vorgaben, Musik  von  Menschen,
    die unsichtbar waren.

    Als  Beuys  anfing,  auf seiner Schamanentrommel zu trommeln
    und dazu einen jaulenden Gesang (heia‐heia)  anstimmte,  re‐
    ichte  es  Büttner. Ruhigen Schrittes ging er zu Beuys, nahm
    ihm die Trommel weg, sah in mit ernster Miene an  und  sagte
    zu ihm: «Beuys, du hast jetzt Sendepause.»

    Soundtrack:  Ry  Cooder,  Dark  was the Night, Paris, Texas,
    Soundtrack, Warner Bros. Records, 1985

    Sascha Büttner