Immer noch geisterten sie durch Kalifornien. Mal wurden sie in
L.A. gesichtet, dann in einem der State Parks, dann wieder in
Santa Barbara. Am Ende wussten die drei selbst nicht mehr, wo
sie waren und wohin sie wollten.
Erschöpft folgten sie den Schildern, die ihnen den Weg ins
Paradies wiesen.
Anderntags bemerkte Büttner beim Blick aus dem Motelfenster,
dass sie im falschen Motel abgestiegen waren. Das Paradies war
auf der anderen Seite des Zauns.
Sogleich machte er sich daran, einen Vortrag über die Suche
nach dem Paradies zu konzipieren. Die religiöse wie nicht‐re‐
ligiöse Geschichte war sprudelnder Quell seiner Nachforschun‐
gen. Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen stellte das Gemälde
Garten Eden von Lucas Cranach dar. Auf diesem war, in einer
Analogie zum Blick aus dem Motelfenster, Gottvater und Adam
und Eva und allerlei Tiere zu sehen. Büttner sah in sich Gott‐
vater und in Bohl und Reuss gewissermaßen Adam und Eva. Die
Tiere wurden durch die Autos dargestellt. So war das in der
heutigen Zivilisation.
Auf NOSE erfuhr Büttner, dass es in den USA zig Paradise gab.
Berichte auf WASTE legten die Vermutung nahe, dass Paradise in
Kalifornien 2018 abbrennen würde. Die anderen Paradise
schienen auch nach 2018 unversehrt zu sein.
Das, was sich schon mit dem Rim Fire, und den vielen Feuern
zuvor, abzeichnete, würde mit den Jahren an Dynamik und Dra‐
matik zunehmen. Die wissenschaftsgläubigen Freitagfuturekids,
die mit anderen die Apokalypse kommen sehen wollten, schienen
bis dato recht zu behalten. Dabei hatten schon die Dudes vor
mehr 2000 Jahren aufgezeigt, dass der einzig sinnvolle Weg der
ist, mit dem Wandel der Dinge in Einklang zu sein.
Vielleicht, so Büttner, der nach all diesen Überlegungen
sichtlich ratlos war, warb das große Plakat nicht für ein Zim‐
mer in einem Motel namens Paradise, vielleicht war es eine
Aufforderung, sich schon jetzt ein Zimmer im Paradies zu mi‐
eten? Also im Jenseits zu reservieren? Sprach nicht der Aut‐
ofriedhof vor der Tür Bände?
Bohl machte den Überlegungen ein Ende, in dem er Büttner an‐
hielt, im ARPANET nachzuforschen. Schließlich, so Bohl, sei
man im Mutterland des militärisch‐industriellen Komplexes, so
wie es Charles in den 60er formuliert hatte. Und, Bohl weiter,
werde man schon noch in Gegenden kommen, die durch diesen Kom‐
plex geprägt seien. Nach dieser Intervention nahm sich Bohl
sein Joghurtbechertelefon und kabelte mit Marcuse, um mit ihm
über die Frankfurter Schule zu plaudern.
Irgendwann um 2015 setzte die Künstlergruppe Frankfurter
Hauptschule dem Niedergang der bürgerlichen Bildung (viele be‐
haupteten, es gehe lediglich um die Transformation von Bildung
zu Ausbildung) durch ihren Namen und ihre Aktionen ein
Denkmal.
Büttner machte sich daran, die ARPANET‐Konsole zu starten und
Nachforschungen zu betreiben. Trotz intensiver Recherche kon‐
nte er nicht mit Gewissheit sagen, wie viele Motels mit dem
Namen Paradise in den USA existierten bzw. existieren. Allerd‐
ings hatte er beunruhigende Indikatoren auf eine Reality TV
Serie gefunden, die den Schluss nahelegte, dass sie selbst Be‐
standteil dieser Serie sein könnten. Denn, wie der Beschrei‐
bung von Paradise Hotel zu entnehmen, verbrachten Woche für
Woche Paare eine bestimmte Zeit im Hotel miteinander, wurden
von Kameras auf Schritt und Tritt beobachtet, was die
Zuschauer mit entsprechenden Einschaltquoten goutierten, ver‐
brachten auch FfK gerade Zeit in einem Motel. Reuss merkte
zwar an, dass man in einem Motel und nicht in einem Hotel
abgestiegen sei, auch sei man zu dritt unterwegs und alles nur
eben kein Paar, doch Büttner beruhigte das nicht sonderlich.
War es in der Vergangenheit nicht immer und immer wieder durch
Verwechslungen zu schlimmen Folgen gekommen?
Reuss ließ Büttner links liegen und setzte seine Berechnungen
fort. Sie waren in der Nähe von Laughlin und hatten noch
einiges vor, und schon sehr viel hinter sich. Je nach dem, wie
man die Reise fortsetzte, würden unterschiedliche Routen in
Frage kommen. Es galt zu berechnen, wie viele Meilen sie
zurückzulegen hatten, wie viel Gallonen Benzin sie verbrauchen
würden, wie viele Kalorien sie benötigen würden (hier sollte
Reuss ein fataler Irrtum unterlaufen, der sie beinahe das
Leben gekostet haben würde). Für die Freitagfuturekids berech‐
nete Reuss den CO2‐Abdruck der USA Vortragsreisse. Gle‐
ichzeitig bat er Büttner, dass er Elon Musk gegenüber
begründen solle, warum E‐Mobile nicht die Lösung aller Prob‐
leme darstelle, sondern lediglich zu seiner (Musk) Bere‐
icherung beitrage, die mit seinen Eltern und der Ausbeutung
einer Smaragd‐Mine in Sambia begonnen habe.
Reuss hatte die verworrene Lage von NOSE nach OpenStreetMap
transferiert, um seinen Berechnungen eine bessere Grundlage zu
bieten. In der Kartendarstellung spielte Laughlin eine
gewichtige Rolle, auch wenn die Markierung eher am Bildrand
aufschien.
Soundtrack: David Peel & the Lower East Side, I Do My Bawling
in the Bathroom, Have a Marijuana, Elektra Records, 1968
Nachtrag
Später, Ruhe kehrte ein, die Bewohner saßen in ihren Häusern
und schauten Paradise Hotel und die Kettenhunde in den Hin‐
terhöfen ließen das Bellen sein, schaltete Büttner nochmals
das ARPANET an und fand in seiner Inbox folgende Nachricht
Hallo Büttner,
schon einmal daran gedacht, dass sich Laughlin
selbst als Paradies begreift?
Freundlichst
Ihr Theodore Kaczynski
Vielleicht, so erkannte Büttner viele Jahre später, waren
sie weder in Laughlin, noch in einem Motel namens Paradise.
Vielleicht machte das Plakat lediglich auf das Golden Nugget
Hotel Casino in Laughlin, Nevada, aufmerksam. Dafür waren
damals wie heute Plakate da.