Dressler hauste in einer Baracke am Rande der Siedlung, ein
paar Straßen östlich des EAR‐Hauptquartiers. Die Tür hing et‐
was schräg in den Angeln, und es quietschte, als Kampmann mit
Dressler eintrat. «Beeil Dich, Kerl», befahl Dressler dem
Flüchtigen. Kampmann trug zwar die Uniform, doch in ihr konnte
er sich nicht sicher sein. Über NOSE hatte ihm Dr. Holger
Karsch mitteilen können, dass Büttner keinen Weg mehr aus den
United State of Amnesia finden würde, da Bono wieder einmal
den Zeithahn zugedreht hatte. Dass Büttner sich daraufhin zu
einem der populärsten Lederstrümpfe entwickelte, dessen Verdi‐
enst für die Gegenwartsanthropologie unermesslich geworden
ist, war zwar nicht abzusehen, aber folgerichtig. Letztlich
verfeinerte er dort in der Wildnis die Theorien der Zeitmanip‐
ulation und legte die Grundlage sowohl für ein neues
physikalisches Weltbild als auch dessen technische Verwertung.
Seine Grand Theory wird das Verständnis der Menschheit vom
Universum und die Raumfahrt verändern. «Wäre ich nicht in die
USA katapultiert worden, hätte ich das alles nicht entdeckt»,
lautete sein tiefsinniges Fazit, das er immer wieder bei
seinen Vorträgen zog. Es gab ein legendäre Szene während eines
Potlatschs des Geistes in der Einöde Arizonas, als er am Rande
des Death Valley auf einem Hektar schrundig‐sandigen Wüsten‐
grunds mit einem kleinen Kirschzweig, den er immer bei sich
trug, unendlich viele, für die Menschen unverständliche
Formeln niederschrieb, in denen er die neu erkannten Naturge‐
setze aufzeigte und rechnerisch die Einheit aus Quanten‐
mechanik und Relativitätstheorie belegte, womit er der Physik
des 21. Jahrhunderts den Weg bahnte. Sternstunden der Men‐
schheit! Ein Dude, der das alles allen schenkte. Während der
Rechnereien wurde Büttner auch klar, dass die Vorstellung
einer Zeitbombe, basierend auf den Urlaubsplänen der Wherma‐
cht, schierer Nonsens gewesen war. Sicher, ein Gedankenexperi‐
ment ist es wert, jedoch, so lange man nicht an die Pläne für
alle Streitkräfte kommen konnte, die Albert Speer wie seine
Augäpfel in Berlin hütete, war das Unterfangen zum Scheitern
verurteilt. Es musste ja so kommen, dass Kampmann und Büttner
getrennt wurden. Aber wollte Büttner nun wirklich wieder nach‐
hause kommen?
Kampmann hingegen wollte unbedingt. Die Bohlen knarzten, als
er mit seinen schweren Knobelbechern müden Schritts auf den
kleinen Ofen zuwankte. Erschöpft und von der Sinnlosigkeit
seines bisherigen Umherirrens entmutigt, versuchte er, sich in
Hans‐Dieter Dresslers Bude erst einmal aufzuwärmen. Jahreszeit
um Jahreszeit war vergangen, und es sah nicht danach aus, dass
er jemals aus dieser Zeit wieder zurück in seine finden würde.
Es war wieder einmal Herbst geworden. «Du setzt dich erst ein‐
mal. Ich wärme eine kräftige Erbsensuppe auf. Das bringt dich
wieder auf die Beine», befahl Dressler dem Temponauten. In der
Bude roch es nach Asche, Grill und harzigem Holz. Kampmann
fühlte sich mit einem Mal wohl und geborgen. Dressler war ein
patenter Bursche. Der scherte sich nicht um das zerzauste
Aussehen von Kampmann. Er würde ihm die Haare schneiden, den
Bart stutzen und ihm dann seinen Gilette‐Rasierer anbieten.
«Kampmann, wenn du satt bist, trinken wir ’ne Afri Cola und
hören ein bisschen SOS Band. Das bringt uns beide nach vorn.
Ich hab’ hier das ganze Zeugs mitgebracht.» Und dann gab
Dressler sein Wissen um den Tunnel preis. Dass es einen gibt,
hatte Kampmann ja schon lange vermutet. Immer wieder entdeckte
er kleine Inkonsistenzen. Beispielsweise waren die Klischees,
mit denen Zigarettenschachteln in vier Farben gedruckt wurden,
viel zu präzise und die Farben viel zu rein, als dass die
Juno, die er am Wegesrand, etwa am Moselufer vor drei Wochen
gefunden hatte, aus den Jahren 1933 bis 1945 hätte stammen
können. Es hatte also den Anschein, als hätte eine andere Or‐
ganisation als die RDS einen Zuweg durch die Zeit getrieben.
«Wer hat diesen Schlauch installiert und hält ihn am Leben,
Dressler?», hauchte Kampmann heiser. «Tja», sagte der und be‐
gann mit seiner Erzählung, während der andere seine Ohren
spitzte und mit großem Erstaunen hörte, dass ganz andere
Kräfte als je vermutet werden konnte, am Werke waren.