Krabbenpulen

    Vor  8000 Jahren besiedelten die ersten Hominiden das, was wir
    Helgoland nennen. Noch heute finden sich die Spuren  der  Vor‐
    fahren  im  Schlick des Wattenmeers. Diese zeugen von der Gle‐
    ichmut, mit der sie gegen die Unbilden der  Natur  ankämpften.
    Denn   schließlich   haben  sich  bis  in  die  Gegenwart  die
    widerständigen Menschen dort oben gehalten und  beispielsweise
    auf  den Halligen die eindrucksvollsten Zeugnisse ihrer Behar‐
    rungskräfte  abgelegt.  Und  schon  damals  lernten  sie,  die
    Früchte  der Natur urbar zu machen: für sich und das Überleben
    ihrer Nachkommen. Etwa durch das  Krabbenfischen  und  ‐pulen.
    Aber  erst  mit  der aufkeimenden Selbstreflexivität als Folge
    der Einflüsse antiker Philosophie im Nachgang von  Reformation
    und Humanismus auf die europäischen Gesellschaften entwickelte
    im 17. Jahrhundert eine kleine Gruppe umfassend Gebildeter den
           Gedanken konstruktiv‐meditativen Krabbenpulens.

    Man  hat sich das nicht so vorzustellen wie in den Zirkeln und
    Klubs etwa der bürgerlichen Oberschicht, nein.  Auf  den  ost‐
    friesischen  Inseln,  beispielsweise auf Langeoog, trafen sich
    regelmäßig Fischer, Pfarrer, Ärzte und lokale  Gelehrte,  aber
    auch  die  Tischler  und  Schreiner,  Küfer und Schmiede, also
    nicht alle einer Insel oder  Hallig  oder  eines  Küstendorfs,
    sondern  in  der  Regel  nur ein paar von ihnen. Diese Treffen
    hatten Anschluss zu anderen Zirkeln, nämlich der Radical  Dude
    Society  (RDS).  Diese standfesten Menschen fanden Energie und
    Einheit in Einfachheit mit  sich  und  anderen,  wenn  sie  in
    Gemeinschaft  der  besinnlichen  Tätigkeit  des  Krabbenpulens
    nachgingen. In diesen Runden erlebten  sie,  wie  integrierend
    und  wohltuend  ihre  Tätigkeit  war, und sie beschlossen, mit
    diesem Wissen nicht unterzugehen, sondern es in  der  Welt  zu
    verbreiten.  Daher kann man heute noch an der Küste problemlos
    mit dem Kutter hinausfahren, ohne Fischer  zu  sein,  und  man
    kann  gemeinsam  mit  den Mitgliedern der RDS erleben, wie man
    mittels minimalistischer, repetitiver Tätigkeiten zu bewusster
    Nahrungsaufnahme das Selbst, also sich, mit dem  und  den  An‐
    deren in Frieden verbindet.

    Matthias Kampmann