11:1    Als Jesus die Unterweisung der zwoelf Juenger beendet hatte, zog er
weiter, um in den Staedten zu lehren und zu predigen.

11:2    Der Beginn der Entscheidung: 11,2 - 12,50
Die Frage des Taeufers: 11,2-6

Johannes hoerte im Gefaengnis von den Taten Christi. Da schickte er
seine Juenger zu ihm
[14,3; (2-6) Lk 7,18-23
2-6: Aus der Anfrage des Taeufers spricht eine gewisse Unsicherheit,
ob Jesus wirklich der verheissene Messias ist.]

11:3    und liess ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder muessen wir
auf einen andern warten?
[Joh 1,15.27; 3,31; 11,27]

11:4    Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hoert
und seht:

11:5    Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussaetzige werden rein, und
Taube hoeren; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium
verkuendet.
[Jes 26,19; 29,18; 35,5f; 61,1]

11:6    Selig ist, wer an mir keinen Anstoss nimmt.

11:7    Das Urteil Jesu ueber den Taeufer: 11,7-19

Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge ueber Johannes zu
reden; er sagte: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die
Wueste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt?
[(7-19) Lk 7,24-35]

11:8    Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen
Mann in feiner Kleidung? Leute, die fein gekleidet sind, findet man
in den Palaesten der Koenige.

11:9    Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja,
ich sage euch: Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten.

11:10   Er ist der, von dem es in der Schrift heisst: Ich sende meinen Boten
vor dir her; er soll den Weg fuer dich bahnen.
[Mk 1,2; Lk 1,76; Ex 23,20; Mal 3,1]

11:11   Amen, das sage ich euch: Unter allen Menschen hat es keinen groesseren
gegeben als Johannes den Taeufer; doch der Kleinste im Himmelreich
ist groesser als er.
[Unter allen Menschen, woertlich: Unter allen von einer Frau Geborenen.]

11:12   Seit den Tagen Johannes' des Taeufers bis heute wird dem Himmelreich
Gewalt angetan; die Gewalttaetigen reissen es an sich.
[(12f) Lk 16,16
Der Sinn der Stelle ist umstritten, weil nicht klar ist, ob das
griechische Wort fuer "Gewalt anwenden" hier im positiven oder
negativen Sinn zu verstehen ist. Im positiven Sinn sagte es: Das
Himmelreich wird mit Macht oder Gewalt erstrebt. Doch spricht die
Fortsetzung in V. 12 eher fuer die in der Uebersetzung bevorzugte
negative Bedeutung, obwohl dann unklar bleibt, wer die Gewalttaetigen
sind: die Gegner Jesu, die Zeloten, die Pharisaeer und
Schriftgelehrten oder gar die Anhaenger Jesu und des Taeufers.]

11:13   Denn bis hin zu Johannes haben alle Propheten und das Gesetz (ueber
diese Dinge) geweissagt.
[1 Petr 1,10]

11:14   Und wenn ihr es gelten lassen wollt: Ja, er ist Elija, der
wiederkommen soll.
[17,12; Mk 9,13]

11:15   Wer Ohren hat, der hoere!
[13,9.43; Mk 4,9.23; 7,16; Lk 8,8; 14,35]

11:16   Mit wem soll ich diese Generation vergleichen? Sie gleicht Kindern,
die auf dem Marktplatz sitzen und anderen Kindern zurufen:
[16-19: Das Doppelgleichnis von den launischen Kindern vergleicht die
Zeitgenossen Jesu mit Kindern, die auf den Marktplaetzen Hochzeit und
Totenklage spielen wollen, aber sich ueber die Rollen der einzelnen
nicht einigen koennen.]

11:17   Wir haben fuer euch auf der Floete (Hochzeitslieder) gespielt, und ihr
habt nicht getanzt; wir haben Klagelieder gesungen, und ihr habt
euch nicht an die Brust geschlagen.

11:18   Johannes ist gekommen, er isst nicht und trinkt nicht, und sie sagen:
Er ist von einem Daemon besessen.
[9,14]

11:19   Der Menschensohn ist gekommen, er isst und trinkt; darauf sagen sie:
Dieser Fresser und Saeufer, dieser Freund der Zoellner und Suender! Und
doch hat die Weisheit durch die Taten, die sie bewirkt hat, recht
bekommen.
[9,10f; Lk 5,30; 15,1f; 19,7]

11:20   Vom Gericht ueber die galilaeischen Staedte: 11,20-24

Dann begann er den Staedten, in denen er die meisten Wunder getan
hatte, Vorwuerfe zu machen, weil sie sich nicht bekehrt hatten:
[(20-24) Lk 10,12-15]

11:21   Weh dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida! Wenn einst in Tyrus und Sidon
die Wunder geschehen waeren, die bei euch geschehen sind - man haette
dort in Sack und Asche Busse getan.
[Joel 4,4f; Est 4,1
21f: Chorazin und Betsaida lagen in der Nachbarschaft Kafarnaums.
Offensichtlich hat Jesus auch dort gewirkt, aber wie in Kafarnaum
wenig Glauben gefunden. Die Hafenstaedte Tyrus und Sidon galten wegen
ihrer Goetzenkulte und ihrer Sittenlosigkeit den Israeliten als
besonders verwerflich (vgl. Ez 28,20-23; Joel 4,4), ebenso wie Sodom
(Gen 18,16-20; 19,23-29).]

11:22   Ja, das sage ich euch: Tyrus und Sidon wird es am Tag des Gerichts
nicht so schlimm ergehen wie euch.

11:23   Und du, Kafarnaum, meinst du etwa, du wirst bis zum Himmel erhoben?
Nein, in die Unterwelt wirst du hinabgeworfen. Wenn in Sodom die
Wunder geschehen waeren, die bei dir geschehen sind, dann stuende es
noch heute.
[Jes 14,13.15]

11:24   Ja, das sage ich euch: Dem Gebiet von Sodom wird es am Tag des
Gerichts nicht so schlimm ergehen wie dir.
[10,15]

11:25   Der Dank Jesu an den Vater: 11,25-27

In jener Zeit sprach Jesus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels
und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den
Unmuendigen aber offenbart hast.
[Jes 29,14 G; (25-27) Lk 10,21f]

11:26   Ja, Vater, so hat es dir gefallen.

11:27   Mir ist von meinem Vater alles uebergeben worden; niemand kennt den
Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und
der, dem es der Sohn offenbaren will.
[28,18; Joh 3,35; 13,3; 10,15]

11:28   Vom leichten Joch Jesu: 11,28-30

Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen
habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.
[Jer 31,25]

11:29   Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin guetig und
von Herzen demuetig; so werdet ihr Ruhe finden fuer eure Seele.
[Jer 6,16; Jes 28,12
Die Wendung "ein Joch auf sich nehmen" besagt, die Vorschriften oder
Lehren eines anderen uebernehmen. Sprichwoertlich waren bei den
juedischen Schriftgelehrten die Aussagen vom "Joch des Gesetzes" oder
vom "Joch der Herrschaft des Himmels". - "Seele" bezeichnet hier -
wie im Alten Testament - das "Ich" des Menschen.]

11:30   Denn mein Joch drueckt nicht, und meine Last ist leicht.