4:1    Das Oel der Witwe: 4,1-7

Eine von den Frauen der Prophetenjuenger wandte sich laut rufend an
Elischa: Mein Mann, dein Knecht, ist gestorben. Du weisst, dass dein
Knecht gottesfuerchtig war. Nun kommt der Glaeubiger, um sich meine
beiden Soehne als Sklaven zu nehmen.
[Zahlungsunfaehige Schuldner konnten zu Sklaven gemacht werden (vgl.
Am 2,6; 8,6; Mt 18,25).]

4:2    Elischa fragte sie: Was kann ich fuer dich tun? Sag mir: Was hast du
im Haus? Sie antwortete: Deine Magd hat nichts im Haus als einen
Krug Oel.

4:3    Da sagte er: Geh und erbitte dir auf der Gasse von allen deinen
Nachbarn leere Gefaesse, aber nicht zu wenige!

4:4    Dann geh heim, verschliess die Tuer hinter dir und deinen Soehnen, giess
Oel in alle diese Gefaesse, und stell die gefuellten beiseite!

4:5    Sie ging von ihm weg und verschloss die Tuer hinter sich und ihren
Soehnen. Diese reichten ihr die Gefaesse hin, und sie fuellte ein.

4:6    Als alle Gefaesse voll waren, sagte sie zu ihrem Sohn: Bring mir noch
ein Gefaess! Er antwortete: Es ist keines mehr da. Da floss das Oel
nicht mehr weiter.

4:7    Sie aber kam und erzaehlte es dem Gottesmann. Dieser befahl ihr: Geh,
verkauf das Oel, und bezahl deine Schuld! Von dem, was uebrig bleibt,
magst du mit deinen Soehnen leben.

4:8    Die Totenerweckung: 4,8-37

Eines Tages ging Elischa nach Schunem. Dort lebte eine vornehme
Frau, die ihn dringend bat, bei ihr zu essen. Seither kehrte er zum
Essen bei ihr ein, sooft er vorbeikam.
[Schunem: noerdlich von Jesreel.]

4:9    Sie aber sagte zu ihrem Mann: Ich weiss, dass dieser Mann, der staendig
bei uns vorbeikommt, ein heiliger Gottesmann ist.

4:10   Wir wollen ein kleines, gemauertes Obergemach herrichten und dort
ein Bett, einen Tisch, einen Stuhl und einen Leuchter fuer ihn
bereitstellen. Wenn er dann zu uns kommt, kann er sich dorthin
zurueckziehen.

4:11   Als Elischa eines Tages wieder hinkam, ging er in das Obergemach, um
dort zu schlafen.

4:12   Dann befahl er seinem Diener Gehasi: Ruf diese Schunemiterin! Er
rief sie, und als sie vor ihm stand,

4:13   befahl er dem Diener: Sag zu ihr: Du hast dir so viel Muehe um uns
gemacht. Was koennen wir fuer dich tun? Sollen wir beim Koenig oder
beim Obersten des Heeres ein Wort fuer dich einlegen? Doch sie
entgegnete: Ich wohne inmitten meiner Verwandten.
[Die Frau haelt eine Vermittlung beim Koenig fuer unnoetig und bezeugt
damit die starke Stellung des Familienverbands im israelitischen
Staat.]

4:14   Und als er weiter fragte, was man fuer sie tun koenne, sagte Gehasi:
Nun, sie hat keinen Sohn, und ihr Mann ist alt.

4:15   Da befahl er: Ruf sie herein! Er rief sie, und sie blieb in der Tuer
stehen.

4:16   Darauf versicherte ihr Elischa: Im naechsten Jahr um diese Zeit wirst
du einen Sohn liebkosen. Sie aber entgegnete: Ach nein, Herr, Mann
Gottes, taeusche doch deiner Magd nichts vor!

4:17   Doch die Frau wurde schwanger, und im naechsten Jahr, um die Zeit,
die Elischa genannt hatte, gebar sie einen Sohn.

4:18   Als das Kind herangewachsen war, ging es eines Tages zu seinem Vater
hinaus zu den Schnittern.
[(18-37) 1 Koen 17,17-24]

4:19   Dort klagte es ihm: Mein Kopf, mein Kopf! Der Vater befahl seinem
Knecht: Trag das Kind heim zu seiner Mutter!

4:20   Der Knecht nahm es und brachte es zu ihr. Es sass noch bis zum Mittag
auf ihren Knien; dann starb es.

4:21   Sie stieg nun in das obere Gemach hinauf, legte das Kind auf das
Bett des Gottesmannes und schloss die Tuer hinter ihm ab. Dann verliess
sie das Haus,

4:22   rief ihren Mann und bat ihn: Schick mir einen von den Knechten und
einen Esel! Ich will zum Gottesmann eilen und komme bald zurueck.

4:23   Er wandte ein: Warum gehst du heute zu ihm? Es ist doch nicht
Neumond und nicht Sabbat. Doch sie sagte nur: Friede mit dir!,
Aus der Frage geht hervor, dass man an Neumondtagen und Sabbaten
Propheten aufsuchte.

4:24   sattelte den Esel und befahl dem Knecht: Treib tuechtig an, und halte
mich beim Reiten nicht auf, es sei denn, dass ich es dir sage.

4:25   So reiste sie ab und kam zum Gottesmann auf den Karmel. Als er sie
von ferne sah, sagte er zu seinem Diener Gehasi: Da kommt die
Schunemiterin.

4:26   Lauf ihr entgegen, und frag sie: Geht es dir gut? Geht es auch
deinem Mann und dem Kind gut? Sie antwortete: Es geht gut.

4:27   Sobald sie aber zum Gottesmann auf den Berg kam, umfasste sie seine
Fuesse. Gehasi trat hinzu, um sie wegzudraengen; aber der Gottesmann
wehrte ab: Lass sie; denn ihre Seele ist betruebt. Doch der Herr hat
mir den Grund verborgen und mir nicht mitgeteilt.

4:28   Darauf sagte sie: Habe ich denn meinen Herrn um einen Sohn gebeten?
Habe ich nicht gesagt: Mach mir keine falschen Hoffnungen?

4:29   Elischa befahl nun Gehasi: Guerte dich, nimm meinen Stab in die Hand,
und mach dich auf den Weg! Wenn du jemand begegnest, so gruess ihn
nicht; und wenn dich jemand gruesst, so antworte ihm nicht! Leg meinen
Stab auf das Gesicht des Kindes!

4:30   Aber die Mutter des Kindes sagte: So wahr der Herr lebt, und so wahr
du lebst: Ich lasse nicht von dir ab. Da stand er auf und folgte
ihr.

4:31   Gehasi war vorausgeeilt und hatte den Stab auf das Gesicht des
Kindes gelegt; doch es kam kein Laut und kein Lebenszeichen. Daher
lief er zum Gottesmann zurueck und berichtete: Das Kind ist nicht
aufgewacht.

4:32   Als Elischa in das Haus kam, lag das Kind tot auf seinem Bett.

4:33   Er ging in das Gemach, schloss die Tuer hinter sich und dem Kind und
betete zum Herrn.

4:34   Dann trat er an das Bett und warf sich ueber das Kind; er legte
seinen Mund auf dessen Mund, seine Augen auf dessen Augen, seine
Haende auf dessen Haende. Als er sich so ueber das Kind hinstreckte,
kam Waerme in dessen Leib.
[1 Koen 17,21; Apg 20,10]

4:35   Dann stand er auf, ging im Haus einmal hin und her, trat wieder an
das Bett und warf sich ueber das Kind. Da nieste es siebenmal und
oeffnete die Augen.

4:36   Nun rief Elischa seinen Diener Gehasi und befahl ihm, die
Schunemiterin zu rufen. Er rief sie, und als sie kam, sagte der
Gottesmann zu ihr: Nimm deinen Sohn!

4:37   Sie trat hinzu, fiel Elischa zu Fuessen und verneigte sich bis zur
Erde. Dann nahm sie ihren Sohn und ging hinaus.

4:38   Die ungeniessbare Speise: 4,38-41

Elischa kehrte nach Gilgal zurueck. Im Land herrschte damals eine
Hungersnot. Als die Prophetenjuenger vor ihm sassen, befahl er seinem
Diener: Setz den grossen Topf auf, und koch ein Gericht fuer die
Prophetenjuenger!

4:39   Einer von ihnen ging auf das Feld hinaus, um Malven zu holen. Dabei
fand er ein wildes Rankengewaechs und pflueckte davon so viele
Fruechte, wie sein Gewand fassen konnte. Dann kam er zurueck und
schnitt sie in den Kochtopf hinein, da man sie nicht kannte.

4:40   Als man sie aber den Maennern zum Essen vorsetzte und sie von der
Speise kosteten, schrien sie laut und riefen: Der Tod ist im Topf,
Mann Gottes. Sie konnten nichts essen.

4:41   Doch er befahl: Bringt mir etwas Mehl! Er streute das Mehl in den
Topf und sagte: Setzt es nun den Leuten zum Essen vor! Jetzt war
nichts Schaedliches mehr im Topf.

4:42   Die Brotvermehrung: 4,42-44

Einmal kam ein Mann von Baal-Schalischa und brachte dem Gottesmann
Brot von Erstlingsfruechten, zwanzig Gerstenbrote, und frische Koerner
in einem Beutel. Elischa befahl seinem Diener: Gib es den Leuten zu
essen!

4:43   Doch dieser sagte: Wie soll ich das hundert Maennern vorsetzen?
Elischa aber sagte: Gib es den Leuten zu essen! Denn so spricht der
Herr: Man wird essen und noch uebriglassen.

4:44   Nun setzte er es ihnen vor; und sie assen und liessen noch uebrig, wie
der Herr gesagt hatte.