Demokratie und E-Voting // 19-5-4

  _Replik zum Artikel "Direkte Demokratie braucht Pflege"_ _von M.Ammann
  und F.Schnell, "Schweiz am Wochenende" vom 4.Mai 2019_

  Die zunehmende Zurueckhaltung gegenueber E-Voting in der Schweiz ist
  wohlbegruendet. Die aufgedeckten Maengel des Systemes der Post zeigen,
  dass die Zeit noch nicht reif dafuer ist; kommt hinzu, dass bei dem
  erwaehnten Test nicht ehrlich gespielt wurde, denn die
  wahrscheinlichsten Angriffsszenarien (bei den waehlenden Personen und
  ihren Clients/Browsern) wurden ausdruecklich ausbedungen. Zudem ist das
  System nicht wirklich quelloffen. Wenn schon, so muss ein fuer die
  Demokratie zentrales Werkzeug auch von dieser kontrolliert, sprich
  entwickelt werden, ansonsten begeben wir uns in die Abhaengigkeit von
  wirtschaftlichen Interessen.

  Die Autoren behaupten, demokratische Beschluesse beduerften moeglichst
  grosser Beteiligung, um legitim zu sein. Dann wuerden aber angesichts
  niedriger Stimmbeteiligungen die meisten Ergebnisse der vergangenen
  Jahrzehnte von zweifelhafter Legitimitaet sein, was jedoch niemand
  behauptet. Wichtig hingegen ist, dass man sich darauf verlassen kann,
  dass die Stimmen derjenigen, die sich beteiligt haben, korrekt gezaehlt
  wurden und nur diese -- und genau hierin liegt die Gefahr von
  elektronischen Abstimmungen, weil nur eine verschwindende Minderheit
  von Experten faehig und berechtigt ist, die Korrektheit zu beurteilen.
  Alle anderen muessen diesen glauben, weil man naemlich nicht einfach
  einige (zehn/hundert/tausend) beliebige Helfer abstellen kann, um die
  Stimmen nachzuzaehlen. Im elektronischen Bereich skaliert auch Betrug:
  wenn ich mit einem Programm zwei von zehn Stimmen faelschen kann, geht
  das genauso leicht bei 200'000 von einer Million, aber auf Papier wird
  es aufwendig. Die analoge Eigenschaft ist da deshalb von Nutzen und
  nicht von Schaden, weil der Betrugsaufwand inhaerent gross ist.

  Wahlen und Abstimmungen sind wichtig fuer eine Demokratie, aber
  letztere funktioniert nur gut, wenn sich das Volk auch wirklich mit der
  Materie befasst. Da sollte es kein Problem sein, wenn man einmal einige
  Zettel zur Hand und sich ein paar Minuten Zeit nehmen muss, diese
  auszufuellen und den Umschlag in den naechsten Briefkasten zu stecken,
  statt kurz zwischen zwei Social-Media-Posts drei Buttons zu klicken.
  Die Demokratie gewinnt wenig durch die Beteiligung von jenen Digital
  Natives, welche unfaehig sind, sich mehr als fuenf Minuten lang zu
  konzentrieren. Deshalb sollte man nicht fuer ein wenig "Convenience"
  oder gar "Voting Experience" die Sicherheit und Zuverlaessigkeit ueber
  Bord werfen.

  Die Behauptung, ungueltige Wahlzettel gebe es in der digitalen Welt
  nicht, zielt komplett am Problem vorbei: wenn das E-Voting-System eine
  Eingabe als korrekt definiert, heisst das noch lange nicht, dass sie
  dem Willen der abstimmenden Person entspricht! Schlecht formulierte
  Abstimmungsfragen oder Wahlarrangements sind unabhaengig davon, ob
  handschriftlich oder per Klick eine Stimme abgegeben wird; es faellt im
  Gegenteil eine Kontrolle weg, die zeigen kann, ob die Leute verstanden
  haben, worueber sie abstimmen sollen.

  Die Autoren unterstellen den Kritikern, sie wuerden Denkverbote
  aussprechen. Das Moratorium ist aber ganz im Gegenteil eine
  Aufforderung dazu, erstmal nachzudenken, bevor das Kind mit der Urne,
  pardon, mit dem Bade ausgeschuettet wird! Aus den obengenannten
  Gruenden (schlechte Skalierbarkeit) _haben_ die analogen Kanaele nun
  mal Qualitaeten, welche auch mit dem Gejammer ob der Herausforderungen
  der Zeit nicht einfach wegzudiskutieren sind.

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