Die dogmatischen Formulierungen unseres Glaubens sind zwar notwendig, um die
  Wahrheit aus der Undeutlichkeit und Zweideutigkeit herauszuheben und klar
  vom Irrtum zu trennen, sind also gewissermassen die dauerhaften Gefaesse zur
  Aufbewahrung und Bewahrung des Lehrgutes, sie sind aber keineswegs Schuessel,
  Teller und Becher auf dem Alltagstisch des glaeubigen Lebens. Der Glaeubige,
  der auf die Verlebendigung der Glaubenswahrheiten bedacht ist, muss den
  Rahmen der dogmatischen Saetze mit den Bildern aus der Bibel und Liturgie
  ausfuellen. Zu den wirkmaechtigsten Bildern dieser Art gehoert das Vaterbild
  Gottes. Wir wissen zwar, dass diese Wirkmaechtigkeit oft beeintraechtigt ist
  durch die fehlende oder gescheiterte Vatererfahrung im Kindesalter, aber
  einmal laesst solches Wissen einen Erwachsenen sich wieder oeffnen fuer ein
  Vaterbild wie das von Hosea 11 - ein Vaterbild, das in jedem normalen
  Menschen tief drunten in der Sehnsucht allen Verschuettungen trotzt -, und
  zum andern tritt das Vaeterliche hier ja nicht einseitig maennlich auf,
  sondern schwingt ins Muetterliche aus, das den Menschen noch tiefer zu
  umfangen und zu heilen vermag. Der alttestamentliche Gott wird nur von
  solchen als einseitig maennlich hingestellt, die das Alte Testament und seine
  Welt nicht kennen. Jedes Mal, wenn der Hebraeer das Praedikat barmherzig
  (rachum) von seinem Gott aussagen hoerte oder es selber aussagte oder die
  verwandten Ausdruecke "sich erbarmen" und Barmherzigkeit benuetzte, da sagte
  er eigentlich muetterlich. Denn die Wurzel r-ch-m bezeichnet im Semitischen
  den Mutterschoss. Fuer den Israeliten hat also der Vatergott zugleich jene
  muetterlichen Zuege, die fuer eine echte Gottbeziehung des Menschen so
  bedeutsam sind (Alfons Deissler).