2:1 Sie tauschen ihre verkehrten Gedanken aus und sagen: Kurz und
traurig ist unser Leben; fuer das Ende des Menschen gibt es keine
Arznei, und man kennt keinen, der aus der Welt des Todes befreit.
2:2 Durch Zufall sind wir geworden, und danach werden wir sein, als
waeren wir nie gewesen. Der Atem in unserer Nase ist Rauch, und das
Denken ist ein Funke, der vom Schlag des Herzens entfacht wird;
2:3 verloescht er, dann zerfaellt der Leib zu Asche, und der Geist
verweht wie duenne Luft.
2:4 Unser Name wird bald vergessen, niemand denkt mehr an unsere Taten.
Unser Leben geht vorueber wie die Spur einer Wolke und loest sich auf
wie ein Nebel, der von den Strahlen der Sonne verscheucht und von
ihrer Waerme zu Boden gedrueckt wird.
[Koh 9,5]
2:5 Unsere Zeit geht vorueber wie ein Schatten, unser Ende wiederholt
sich nicht; es ist versiegelt, und keiner kommt zurueck.
[Ijob 8,9; 7,9]
2:6 Auf, lasst uns die Gueter des Lebens geniessen und die Schoepfung
auskosten, wie es der Jugend zusteht.
[Koh 9,7-10]
2:7 Erlesener Wein und Salboel sollen uns reichlich fliessen, keine
Blume des Fruehlings darf uns entgehen.
2:8 Bekraenzen wir uns mit Rosen, ehe sie verwelken;
2:9 keine Wiese bleibe unberuehrt von unserem ausgelassenen Treiben.
Ueberall wollen wir Zeichen der Froehlichkeit zuruecklassen; das ist
unser Anteil, das faellt uns zu.
2:10 Lasst uns den Gerechten unterdruecken, der in Armut lebt, die Witwe
nicht schonen und das graue Haar des betagten Greises nicht scheuen!
[Hab 1,4; Ex 22,21; Lev 19,32]
2:11 Unsere Staerke soll bestimmen, was Gerechtigkeit ist; denn das
Schwache erweist sich als unnuetz.
2:12 Lasst uns dem Gerechten auflauern! Er ist uns unbequem und steht
unserem Tun im Weg. Er wirft uns Vergehen gegen das Gesetz vor und
beschuldigt uns des Verrats an unserer Erziehung.
2:13 Er ruehmt sich, die Erkenntnis Gottes zu besitzen, und nennt sich
einen Knecht des Herrn.
[Der Verfasser hat bei der Verfolgung des Gerechten den Gottesknecht
von Deuterojesaja (vgl. die Einleitung zu Jes) und Ps 22 vor Augen.
Das griechische Wort fuer Kind (pais) ist in G Uebersetzung des
hebraeischen Wortes fuer Knecht (ebed).]
2:14 Er ist unserer Gesinnung ein lebendiger Vorwurf, schon sein Anblick
ist uns laestig;
2:15 denn er fuehrt ein Leben, das dem der andern nicht gleicht, und
seine Wege sind grundverschieden.
2:16 Als falsche Muenze gelten wir ihm; von unseren Wegen haelt er sich
fern wie von Unrat. Das Ende der Gerechten preist er gluecklich und
prahlt, Gott sei sein Vater.
2:17 Wir wollen sehen, ob seine Worte wahr sind, und pruefen, wie es mit
ihm ausgeht.
2:18 Ist der Gerechte wirklich Sohn Gottes, dann nimmt sich Gott seiner
an und entreisst ihn der Hand seiner Gegner.
[Ps 22,9; Mt 27,42f]
2:19 Roh und grausam wollen wir mit ihm verfahren, um seine Sanftmut
kennenzulernen, seine Geduld zu erproben.
2:20 Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen; er behauptet ja,
es werde ihm Hilfe gewaehrt.
[5,4]
2:21 So denken sie, aber sie irren sich; denn ihre Schlechtigkeit macht
sie blind.
2:22 Sie verstehen von Gottes Geheimnissen nichts, sie hoffen nicht auf
Lohn fuer die Froemmigkeit und erwarten keine Auszeichnung fuer
untadelige Seelen.
2:23 Gott hat den Menschen zur Unvergaenglichkeit erschaffen und ihn zum
Bild seines eigenen Wesens gemacht.
[1,14; 3,4; Gen 1,26f
seines eigenen Wesens: nach anderen Textzeugen: seiner Ewigkeit.]
2:24 Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn
erfahren alle, die ihm angehoeren.
[Gen 3,1-5; Joh 8,44; Weish 1,16]
3:1 Das jenseitige Los der Guten und der Boesen: 3,1-12
Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand, und keine Qual kann
sie beruehren.
3:2 In den Augen der Toren sind sie gestorben, ihr Heimgang gilt als
Unglueck,
[Der Verfasser vermeidet fuer die Gerechten die Ausdruecke "Tod"
und "sterben" (vgl. V. 3a; 4,7.10f.16f); nur die Suender laesst er vom
Tod und Sterben der Gerechten sprechen (2,20). Der Tod, der durch den
Neid des Teufels in die Welt gekommen ist, ist fuer den Verfasser zwar
der leibliche Tod, aber nur insofern er zum ewigen Tod fuehrt (4,19f;
17,20), also der Tod der Suender (2,24).]
3:3 ihr Scheiden von uns als Vernichtung; sie aber sind in Frieden.
[Jes 57,2]
3:4 In den Augen der Menschen wurden sie gestraft; doch ihre Hoffnung
ist voll Unsterblichkeit.
[Wie in 3,1.3b.5a.6b handelt es sich um das jenseitige Leben der
Gerechten. Die Gerechten koennen auch noch nach dem Martyrium die
Hoffnung auf die Unsterblichkeit haben, weil die Auferstehung des
Leibes noch aussteht.]
3:5 Ein wenig nur werden sie gezuechtigt; doch sie empfangen grosse
Wohltat. Denn Gott hat sie geprueft und fand sie seiner wuerdig.
3:6 Wie Gold im Schmelzofen hat er sie erprobt und sie angenommen als
ein vollgueltiges Opfer.
3:7 Beim Endgericht werden sie aufleuchten wie Funken, die durch ein
Stoppelfeld spruehen.
[Dan 12,3; Mt 13,43
Beim Endgericht, woertlich: In der Zeit ihrer Heimsuchung.]
3:8 Sie werden Voelker richten und ueber Nationen herrschen, und der
Herr wird ihr Koenig sein in Ewigkeit.
[1 Kor 6,2]
3:9 Alle, die auf ihn vertrauen, werden die Wahrheit erkennen, und die
Treuen werden bei ihm bleiben in Liebe. Denn Gnade und Erbarmen wird
seinen Erwaehlten zuteil.
[4,15]
3:10 Die Frevler aber werden fuer ihre Plaene bestraft, sie, die den
Gerechten missachtet haben und vom Herrn abgefallen sind.
3:11 Ungluecklich sind alle, die Weisheit und Belehrung verachten; leer
ist ihre Hoffnung, vergeblich sind ihre Muehen und wertlos ihre
Taten.
[Sir 34,1]
3:12 Ihre Frauen sind unverstaendig und ihre Kinder boese, fluchbeladen
ist ihr Geschlecht.
[12,11]
3:13 Kinderlose Gerechte und kinderreiche Frevler: 3,13 - 4,6
Selig ist die Kinderlose, die unschuldig blieb und kein Lager der
Suende kannte; sie wird gleich einer Mutter geehrt, wenn die Seelen
ihren Lohn empfangen.
[13-4,6: Kinderlosigkeit gilt sonst im AT als Unglueck und Schande
(Gen 30,23; 1 Sam 1,6f.15f; vgl. Lk 1,25) oder gar als Strafe (Lev
20,20f); im Blick auf die ewige Vergeltung werden hier die
Kinderlosen, die Gott treu dienen, der Mutter zahlreicher Kinder
gleichgeachtet.
13cd: Woertlich: denn sie wird Frucht haben bei der Heimsuchung der
Seelen.]
3:14 Selig ist auch der Kinderlose, der sich nicht frevelhaft verging
und gegen den Herrn nichts Boeses plante; besondere Gnade wird seiner
Treue zuteil und ein gar koestlicher Anteil am Tempel des Herrn.
[Jes 56,3
14a: der Kinderlose, woertlich: der Eunuch.
14e: ein gar koestlicher, woertlich: ein mehr beglueckender (als wenn
er Kinder haette).]
3:15 Denn ruhmreich ist der Lohn guter Muehe und unvergaenglich die
Wurzel der Klugheit.
3:16 Doch die Kinder von Ehebrechern verkuemmern, und die Nachkommen
einer suendigen Verbindung schwinden dahin.
(16-19) 4,3-6; Sir 41,5-7]
3:17 Auch wenn sie lange leben, gelten sie nichts, und ehrlos ist am
Ende ihr Alter.
3:18 Sterben sie frueh, so haben sie keine Hoffnung und keinen Trost am
Tag des Gerichts;
3:19 denn schlimm ist das Ende eines schuldhaften Geschlechts.