E-1    Das Evangelium nach Matthaeus

Die Ueberschrift des ersten Evangeliums nennt einen Matthaeus als
Verfasser und will wohl auf den Zoellner von Kafarnaum verweisen, den
Jesus nach Mt 9,9 und 10,3 in den Kreis der Zwoelf berief. Matthaeus
setzt ihn mit dem Levi des Markus- und des Lukasevangeliums gleich
(vgl. Mk 2,13-17; Lk 5,27-32). Nach alter kirchlicher Ueberlieferung
soll Matthaeus als erster ein Evangelium in hebraeischer Sprache
verfasst haben. Es sind aber keine Texte von einem solchen hebraeischen
Evangelium erhalten.

E-2    Das uns ueberlieferte Evangelium wurde in griechischer Sprache
abgefasst, und es benutzt das griechisch geschriebene Markusevangelium
als Vorlage. Es schoepft ausserdem aus einer anderen griechischen
Vorlage, die auch Lukas verwertet hat, einer heute verlorengegangenen
Sammlung von Worten Jesu (sog. Spruch- oder Redequelle). Daraus sind
die Bergpredigt, das Vaterunser und eine Reihe von Gleichnissen
genommen, die sich bei Matthaeus und Lukas, nicht aber bei Markus
finden. Ausserdem bietet Matthaeus Ueberlieferungen, die weder bei
Markus noch bei Lukas begegnen (sog. Sondergut).

E-3    Das Evangelium setzt den Untergang Jerusalems (70 n. Chr.)
voraus; es ist wohl um 80 n. Chr. verfasst worden, und zwar vermutlich
in Syrien (eher als in Palaestina). Seinem Inhalt ist zu entnehmen,
dass es in einem Gebiet entstanden sein muss, in dem Christen und Juden
zusammenlebten. Als Verfasser nimmt man heute einen uns nicht naeher
bekannten judenchristlichen Lehrer an, der noch Schueler der Apostel
war.

E-4    Matthaeus sammelt Ueberlieferungen ueber Jesus, vor allem Worte
Jesu, und ordnet sie zeitlich und thematisch in den dreistufigen
Aufbau ein, den das Markusevangelium bietet: Anfang in Galilaea;
Unterweisung der Juenger und Zug nach Jerusalem; Leiden und Tod in
dieser Stadt. An den Anfang stellt er die Vorgeschichte Jesu, an das
Ende einen Bericht von der abschliessenden Erscheinung des
Auferstandenen in Galilaea.

E-5    Im einzelnen laesst sich folgender Aufbau feststellen: Die Herkunft
und Kindheit Jesu (1,1 - 2,23). Das Wirken Jesu in Galilaea (3,1 -
18,35) mit den Abschnitten: Vorbereitung (3,1 - 4,11: Taufe,
Versuchung), erstes Auftreten in Galilaea und Berufung der ersten
Juenger (4,12-25), die Verkuendigung des Messias (5,1 - 7,29) und seine
Taten (8,1 - 9,34), Aussendungsrede (9,35 - 11,1), Beginn der
Entscheidung (11,2 - 12,50), die Rede ueber das Himmelreich (13,1-53),
Belehrung der Juenger (13,54 - 17,27), die Rede ueber das Leben in der
Gemeinde (18,1-35). Das Wirken Jesu in Judaea und Jerusalem (19,1 -
25,46) mit den Abschnitten: der Weg nach Jerusalem (19,1 - 20,34),
die Auseinandersetzung mit den Gegnern (21,1 - 23,39) und die Rede
ueber die Endereignisse (24,1 -25,46). Darauf folgen das Leiden Jesu
(26,1 - 27,66) und die Ostergeschichte (28,1-20).

E-6    Der Evangelist wollte offenbar seiner Kirche eine Art Handbuch
ueber Jesus und seine Lehre bieten. Seine Darstellung ist von der
Absicht gepraegt, Jesus als den Erben Abrahams zu erweisen, den
verheissenen Messias Israels, der von Anfang an von den religioesen
Fuehrern seines Volkes abgelehnt und verfolgt, von Suendern und Heiden
aber anerkannt wurde (vgl. 1,1.17.22f; 8,11f; 23,34-39). Diesem Zweck
dienen auch die vielen Zitate aus dem Alten Testament. An die Stelle
Israels ist nun die Kirche getreten als das wahre Volk Gottes,
bestehend aus Juden und Heiden, aufgebaut auf dem Fels Petrus (22,1-
14; 21,43; 27,42; 23,38; 16,13-20). Jesus ist als der Sohn des
lebendigen Gottes (16,16; 11,25-27) der endgueltige Offenbarer,
Gesetzgeber und Lehrer (1,21; 11,25-27; 28,16-20). Das zeigen vor
allem die fuenf grossen Reden: die Bergpredigt (Kap. 5 - 7), die
Aussendungsrede (9,35 - 11,1), die Reich-Gottes-Rede (Kap. 13), die
Rede ueber die rechte Ordnung in der Gemeinde (18,1-35), die
Gerichtsrede ueber die Schriftgelehrten und Pharisaeer und ueber die
letzten Dinge (Kap. 23 - 25). Die Mitte der Forderungen Gottes bildet
das Liebesgebot (22,34-40), das nicht nur dem Naechsten, sondern auch
dem Feind gegenueber gilt (5,43-48); als Goldene Regel steht es auch
an zentraler Stelle der Bergpredigt (7,12; vgl. 18,23-35 und 19,19).
Mit der Auferstehung Jesu ist der Weg des Heils zu allen Menschen
offen, alle sollen Juenger Jesu und Kinder des Vaters im Himmel werden
(28,18-20).

E-7    In der Alten Kirche wurde das erste Evangelium am meisten gelesen
und beachtet und wurde so zu dem Evangelium der Kirche.