Jakob hatte erfahren, dass die Soehne Labans sagten: Jakob hat alles,
was unserem Vater gehoert, weggenommen; auf Kosten unseres Vaters hat
er sich so bereichert.
31:2 Jakob sah Laban ins Gesicht: Laban war ihm nicht mehr zugetan wie
frueher.
31:3 Da sagte der Herr zu Jakob: Kehr zurueck in das Land deiner Vaeter und
zu deiner Verwandtschaft! Ich bin mit dir.
31:4 Jakob liess Rahel und Lea auf das Feld zu seiner Herde rufen
31:5 und sagte zu ihnen: Ich sehe am Gesicht eures Vaters, dass er mir
nicht mehr so gesinnt ist wie frueher. Aber der Gott meines Vaters
war mit mir.
31:6 Ihr wisst, dass ich mit allen Kraeften eurem Vater gedient habe.
31:7 Aber euer Vater hat mich hintergangen und meinen Lohn zehnmal
geaendert; Gott freilich hat ihn daran gehindert, mich zu schaedigen.
31:8 Sagte er, die Gesprenkelten sollen dein Lohn sein, dann warfen alle
Tiere gesprenkelte Junge; sagte er, die Gestreiften sollen dein Lohn
sein, dann warfen alle Tiere gestreifte Junge.
31:9 Gott hat eurem Vater den Viehbestand entzogen und ihn mir gegeben.
31:10 Zur Zeit, da die Tiere bruenstig waren, hatte ich einen Traum; ich
sah: Gestreifte, gesprenkelte und fleckige Boecke besprangen die
Tiere.
31:11 Der Engel Gottes sprach im Traum zu mir: Jakob! Ich antwortete: Hier
bin ich.
31:12 Dann sprach er: Schau hin: Alle Boecke, welche die Tiere bespringen,
sind gestreift, gesprenkelt oder gefleckt. Ich habe naemlich alles
gesehen, was dir Laban antut.
31:13 Ich bin der Gott von Bet-El, wo du das Steinmal gesalbt und mir ein
Geluebde gemacht hast. Jetzt auf, zieh fort aus diesem Land, und kehr
in deine Heimat zurueck!
[28,18.20]
31:14 Rahel und Lea antworteten ihm: Haben wir noch Anteil oder Erbe im
Haus unseres Vaters?
31:15 Gelten wir ihm nicht wie Fremde? Er hat uns ja verkauft und sogar
unser Geld aufgezehrt.
31:16 Ja, der ganze Reichtum, den Gott unserem Vater weggenommen hat, uns
gehoert er und unseren Soehnen. Nun also, tu jetzt alles, was Gott dir
gesagt hat.
31:17 Da machte sich Jakob auf, hob seine Soehne und Frauen auf die Kamele
31:18 und fuehrte sein ganzes Vieh fort, seinen ganzen Besitz an Vieh, den
er in Paddan-Aram erworben hatte, um zu seinem Vater Isaak nach
Kanaan zurueckzukehren.
31:19 Laban war weggegangen, um seine Schafe zu scheren; da stahl Rahel
die Goetterbilder ihres Vaters,
[Die Schafschur war mit einem Fest verbunden. Laban war daher
abgelenkt, und fuer Jakob war das eine guenstige Gelegenheit zur
Flucht. Nach dem in der Heimat Labans geltenden Erbrecht gehen die
Bilder der Familiengoetter in den Besitz des Erben ueber. Durch die
Mitnahme der Familiengoetter beansprucht Rahel also das Erbrecht.]
31:20 und Jakob ueberlistete den Aramaeer Laban: Er verriet ihm nicht, dass
er sich davonmachen wollte.
31:21 Mit allem, was ihm gehoerte, machte er sich auf und davon. Er
ueberquerte den Strom (den Eufrat) und schlug die Richtung zum
Gebirge von Gilead ein.
31:22 Am dritten Tag meldete man Laban, Jakob sei auf und davon.
31:23 Da nahm Laban seine Brueder mit und jagte ihm sieben Tage lang nach.
Im Gebirge von Gilead war er ihm schon ganz nahe.
31:24 Gott aber kam in einem naechtlichen Traum zum Aramaeer Laban und
sprach zu ihm: Huete dich, Jakob auch nur das Geringste vorzuwerfen.
31:25 Laban holte Jakob ein, als dieser gerade im Gebirge die Zelte
aufgeschlagen hatte. Da schlug auch Laban mit seinen Bruedern im
Gebirge von Gilead die Zelte auf.
31:26 Laban sagte nun zu Jakob: Was hast du getan? Du hast mich ueberlistet
und meine Toechter wie Kriegsgefangene weggefuehrt.
31:27 Warum hast du mir verheimlicht, dass du dich davonmachen wolltest,
und warum hast du mich ueberlistet und mir nichts gesagt? Ich haette
dir gern das Geleit gegeben mit Gesang, Pauken und Harfen.
31:28 Du hast mir aber nicht einmal gestattet, meine Soehne und Toechter zu
kuessen. Da hast du toericht gehandelt.
[Soehne: hier im Sinn von "Enkel".]
31:29 Es stuende in meiner Macht, euch Schlimmes anzutun; aber der Gott
eures Vaters hat mir gestern nacht gesagt: Huete dich, Jakob auch nur
das Geringste vorzuwerfen.
31:30 Nun bist du also fortgezogen, weil du Heimweh hattest nach deinem
Vaterhaus. Aber warum hast du meine Goetter gestohlen?
31:31 Jakob erwiderte Laban: Ich fuerchtete mich und meinte, du koenntest
mir deine Toechter wegnehmen.
31:32 Bei wem du aber deine Goetter findest, der soll nicht am Leben
bleiben. In Gegenwart unserer Brueder durchsuche, was ich habe, und
nimm, was dein ist. Jakob wusste nicht, dass Rahel die Goetter
gestohlen hatte.
31:33 Laban betrat das Zelt Jakobs, das Zelt der Lea und das der beiden
Maegde, fand aber nichts. Vom Zelt der Lea ging er in das Zelt
Rahels.
[33-35: Aus der Erzaehlung klingt eine Verspottung der heidnischen
Goetter heraus.]
31:34 Rahel hatte die Goetterbilder genommen, sie in die Satteltasche des
Kamels gelegt und sich daraufgesetzt. Laban durchstoeberte das ganze
Zelt, fand aber nichts.
31:35 Rahel aber sagte zu ihrem Vater: Sei nicht boese, mein Herr! Ich kann
vor dir nicht aufstehen, es geht mir gerade, wie es eben Frauen
ergeht. Er suchte weiter, die Goetterbilder aber fand er nicht.
31:36 Da wurde Jakob zornig und begann mit Laban zu streiten. Jakob
ergriff das Wort und sagte zu Laban: Was habe ich verbrochen, was
habe ich Unrechtes getan, dass du mir nachhetzt?
31:37 Alle meine Sachen hast du durchstoebert. Was hast du gefunden an
Sachen, die zu deinem Haus gehoeren? Leg sie her vor meine und deine
Brueder, und sie sollen zwischen uns beiden entscheiden.
[Brueder: hier im Sinn von "Verwandte".]
31:38 Schon zwanzig Jahre bin ich bei dir. Deine Schafe und Ziegen hatten
keinen Fehlwurf. Die Boecke deiner Herde habe ich nicht aufgezehrt.
31:39 Gerissenes Vieh habe ich dir nicht gebracht; ich habe es selbst
ersetzt. Du haettest ja doch Ersatz gefordert, ob es mir nun bei Tag
oder bei Nacht abhanden kam.
31:40 So ging es mir: Bei Tag frass mich die Hitze, der Frost bei Nacht,
und der Schlaf floh meine Augen.
31:41 Schon zwanzig Jahre diene ich in deinem Haus, vierzehn Jahre um
deine beiden Toechter und sechs Jahre um dein Vieh. Du aber hast
meinen Lohn zehnmal geaendert.
31:42 Waere nicht der Gott meines Vaters, der Gott Abrahams und der
Schrecken Isaaks, fuer mich eingetreten, dann haettest du mich jetzt
mit leeren Haenden weggeschickt. Doch Gott hat mein Elend und die
Muehe meiner Haende gesehen, und gestern nacht hat er entschieden.
["Schrecken Isaaks" ist ein altertuemlicher Gottesname.]
31:43 Darauf ergriff Laban das Wort und sagte zu Jakob: Die Toechter sind
meine Toechter, und die Soehne sind meine Soehne, und das Vieh ist mein
Vieh, und alles, was du siehst, gehoert mir. Was kann ich heute fuer
meine Toechter tun oder fuer die Soehne, die sie geboren haben?
31:44 Jetzt aber komm, wir wollen einen Vertrag schliessen, ich und du. Der
Vertrag soll Zeuge sein zwischen mir und dir.
31:45 Da nahm Jakob einen Stein und richtete ihn als Steinmal auf.
31:46 Jakob sagte zu seinen Bruedern: Tragt Steine zusammen! Da holten sie
Steine und legten einen Steinhuegel an. Dort auf dem Steinhuegel assen
sie.
31:47 Laban nannte ihn Jegar-Sahaduta, und Jakob nannte ihn Gal-Ed.
31:48 Dieser Steinhuegel, sagte Laban, soll heute Zeuge sein zwischen mir
und dir. Darum gab er ihm den Namen Gal-Ed (Zeugenhuegel)
31:49 und Mizpa (Spaehturm), weil er sagte: Der Herr sei Spaeher zwischen
mir und dir, wenn wir voneinander nichts mehr wissen.
Gott soll wie ein Spaeher darueber wachen, dass beide den Vertrag
einhalten.
31:50 Solltest du meine Toechter schlecht behandeln oder dir ausser meinen
Toechtern noch andere Frauen nehmen - auch wenn kein Mensch bei uns
ist: Sieh, Gott ist Zeuge zwischen mir und dir.
31:51 Weiter sagte Laban zu Jakob: Hier, dieser Steinhuegel, hier, dieses
Steinmal, das ich zwischen mir und dir errichtet habe -
31:52 Zeuge sei dieser Steinhuegel. Zeuge sei dieses Steinmal: Nie will ich
diesen Steinhuegel in boeser Absicht gegen dich ueberschreiten, und nie
sollst du diesen Steinhuegel oder dieses Steinmal in boeser Absicht
gegen mich ueberschreiten.
31:53 Der Gott Abrahams und der Gott Nahors seien Richter zwischen uns. Da
leistete Jakob einen Eid beim Schrecken seines Vaters Isaak.
[zwischen uns: H fuegt hinzu "der Gott ihrer Vaeter", was G mit Recht
weglaesst. - Zu "Schrecken seines Vaters" vgl. V. 42 und die dortige
Anmerkung.]
31:54 Dann schlachtete Jakob auf dem Berg ein Opfertier und lud seine
Brueder zum Mahl ein. Sie assen und verbrachten die Nacht auf dem
Berg.