Die Epoche, die mit dem Namen Samuel verbunden ist, ist eine Zeit
des uebergangs. Samuel handelt noch wie einer der Richter, er tritt
aber auch wie ein Prophet auf. Unter seiner massgeblichen Mitwirkung
entsteht in Israel das Koenigtum. Weder zwischen den beiden Buechern
noch am Ende von 2 Sam ist ein Einschnitt in der Geschichte Israels
zu erkennen. Dennoch hat die Abgrenzung und Zweiteilung des
urspruenglich einen Samuelbuches innerhalb des Deuteronomistischen
Geschichtswerks (dazu vgl. die Einleitung zu Dtn) Sinn und Grund. 1
Sam schliesst mit dem Ende des ersten Koenigs, des Benjaminiters Saul;
in 1 Koen beginnt mit Salomo, dem Nachfolger Davids, die Reihe von
Herrschern, die einen bereits zur festen Institution gewordenen Thron
besteigen.
E-2 Der Aufbau der beiden Samuelbuecher folgt dem Verlauf der
Ereignisse, setzt aber Schwerpunkte, an denen die Darstellung
ausfuehrlicher wird. 1 Sam beginnt mit der Kindheitsgeschichte Samuels
(Kap. 1 - 3), wohl einer Ueberlieferung aus Schilo. Daran schliesst sich
die Lade-Erzaehlung an (Kap. 4 - 6), zu der sachlich auch 2 Sam 6
gehoert. Samuel wirkt als Richter (Kap. 7) und als prophetischer Seher
und Gottesmann. Im Auftrag Gottes salbt er Saul zum ersten Koenig
Israels (Kap. 8 - 12), dessen Regierungszeit in Kap. 13 - 31 geschildert
wird. Nach Sauls Tod wird David, dessen Aufstieg sich seit langem
angebahnt hat, Koenig zunaechst von Juda (2 Sam 2 - 4), dann von ganz
Israel (5,1-5). David erobert Jerusalem (5,6-16), macht es nach einem
Sieg ueber die Philister (5,17-25) zur Hauptstadt und ueberfuehrt die
Bundeslade dorthin (Kap. 6). Gott verheisst ihm durch den Propheten
Natan seinen besonderen Beistand und ein ewiges Koenigtum (Kap. 7).
E-3 Von den Kriegen Davids ist in den Kapiteln 8, 10 und 11 die Rede.
Kap. 9 berichtet von Davids Grossmut gegen den Enkel Sauls, Kap. 11
und 12 von seiner Suende, Kap. 13 - 19 von den Wirren um die
Thronnachfolge und von Abschaloms Aufstand und Ende, Kap. 20 von der
Erhebung des Benjaminiters Scheba. Hier schliesst 1 Koen an. Ausserhalb
des Erzaehlungszusammenhangs stehen die Nachtraege ueber die Hungersnot
und ueber die Blutrache der Gibeoniter (21,1-14), ueber Davids Helden
(21,15-22; 23,8-29) - dazu der Psalm Davids (Kap. 22 = Ps 18) und
seine letzten Worte (23,1-7) - sowie ueber die Volkszaehlung und ihre
Bestrafung (Kap. 24).
E-4 Den Autoren, die die Samuelbuecher in der vorliegenden Form
gestaltet haben, lagen bereits groessere Werke vor, die sie aufnahmen
und anscheinend nur wenig veraenderten: die bereits genannte Lade-
Erzaehlung (1 Sam 4 - 6; 2 Sam 6), die Geschichte von Davids Aufstieg (1
Sam 16,13 - 2 Sam 5) und die Geschichte der Thronfolge (2 Sam 10 - 20; 1
Koen 1 und 2). Die Erzaehlung von der heiligen Lade diente dazu,
Jerusalem als die von Israels Gott erwaehlte Stadt auszuweisen. Im
Ziel mit ihr verwandt ist 2 Sam 24, wo auf den Platz des kuenftigen
Tempels durch die Erscheinung des Engels Jahwes hingewiesen wird. Die
beiden Darstellungen vom Aufstieg Davids und von seiner Nachfolge
sind aus Helden- und Familiengeschichten zusammengefuegt. Die
Kindheitsgeschichte Samuels (1 Sam 1 - 3) ist mit Ueberlieferungen des
Heiligtums von Schilo eng verbunden. Das Danklied der Hanna (1 Sam
2), das Totenlied auf Saul und Jonatan (2 Sam 1), der Psalm (2 Sam
22) und die letzten Worte Davids (2 Sam 23) sind dem Liedgut Israels
entnommen.
E-5 Die deuteronomistischen Kreise, die bei der Gestaltung der
Samuelbuecher taetig waren, trugen an wichtigen Punkten ihre eigene
theologische Meinung ein, besonders in ihrer Auffassung vom Koenigtum.
Einer koenigfreundlichen Stroemung, die dem geschichtlichen Hergang
eher entsprechen duerfte, steht eine kritische Haltung gegenueber. Hier
meldet sich warnend (1 Sam 8 und 10) die deuteronomistische Theologie
zu Wort, sie bejaht jedoch die davidische Dynastie, vor allem wegen
ihrer Verbindung mit dem Tempel (2 Sam 7). So wird in 2 Sam 7 der
Grund fuer die messianische Erwartung gelegt, die bis ins Neue
Testament weiterwirken sollte.