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# Über Asiaticus: Adolphi 2007: Asiaticus, China 1937 (Teil 1)

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UTOPIE kreativ, Berlin, Heft 200 (Juni 2007), S. 513–527.

Vor siebzig Jahren, im Frühjahr 1937, herrscht in der deutschen Botschaft in China einige Aufregung. Grund ist ein Artikel mit dem Titel »Die Nazi-Nippon-Allianz ist die gefährlichste Bedrohung für Chinas Souveränität«. Erschienen ist er im April in der in Shanghai ansässigen englischsprachigen, von dem Amerikaner John B. Powell herausgegebenen Zeitschrift The China Weekly Review. Als Autor firmiert ein M. G. Shippe. »Wer ist Shippe?«, notiert Botschafter Oskar Trautmann auf dem Umschlag der Zeitschrift, und bis Juli 1937 – so weisen es die Botschaftsakten aus – gibt es erhebliche Anstrengungen, die Identität des Autors zu ermitteln. Beteiligt an der Suche sind neben Trautmann der Botschaftsrat Martin Fischer, der Legationsrat Dr. Georg Rosen, weiter der Chef der deutschen Beratergruppe bei Tschiang Kai-schek, General a. D. Alexander v. Falkenhausen, sowie die Journalisten Glimpf vom Deutschen Nachrichtenbüro (DNB) und Eigner von der Transozean-Presseagentur. Trautmann und Falkenhausen mutma�
�en zunächst, daß es sich um einen »Russen oder Engländer« handeln müsse; der Diplomat Behrend vom deutschen Generalkonsulat in Shanghai kommt der Sache näher, als er am 12. Juli feststellt, daß »M. G. Shippe (...) der Schriftstellername eines aus Deutschland emigrierten Journalisten (ist)«; aber um wen genau es sich handelt, bleibt für die Ermittelnden im Unklaren.

Was ist es, das an diesem Artikel für so heftige Aufregung sorgt? Die offizielle deutsche Ostasien-Politik erklärt sich zu dieser Zeit als »neutral«.Das ist zwar eigentlich ein Unding: Japan – Nippon – führt bereits seit mehr als einem Jahrzehnt einen unerklärten Krieg gegen China, okkupiert immer neue chinesische Gebiete, wie soll da »Neutralität« funktionieren können? Aber irgendwie geht es bis zu diesem Frühsommer 1937 doch, denn die Westmächte insgesamt fahren einen ähnlichen Schlingerkurs, engagieren sich nicht zu Chinas Gunsten, lassen Japan schalten und walten, und sie profitieren bei dieser Haltung von dem Umstand, daß sich auch in China selbst noch keine eindeutig antijapanische Einheitsfront formiert hat. Da ist es für Berlin ein Leichtes, immer wieder zu erklären, zu China und Japan gleichermaßen gute Beziehungen unterhalten zu wollen.

Innenpolitisch getragen wird dieser Kurs im faschistischen Deutschland durch das Patt, das bis 1937 zwischen dem »China-« und dem »Japan-Flügel« herrscht. Die beiden Flügel stehen dabei beispielhaft für einen Interessenkonflikt in der deutschen Politik insgesamt. Konsens ist: Man will den Krieg und weiß, es wird wieder ein Weltkrieg sein. Streitpunkt ist die Geschwindigkeit, mit der man [S. 513] ihn herbeiführen will. Der »China-Flügel« will eine längere Zeit der Vorbereitung. Seine Repräsentanten sind Vertreter der rohstoffabhängigen, nach Kupfer-, Mangan-, Antimon- und Wolfram-Importen aus China gierenden und im Gegenzug dort fest auf den Absatz von Maschinen, Ausrüstungen und Waffen bauenden Stahl- und Rüstungsindustrie sowie die Spitzen der »traditionell« orientierten Heeresführung unter Reichswehrminister Werner v. Blomberg und der ebenso »traditionellen« Außenpolitik unter Außenminister Konstantin Freiherr v. Neurath. Sie unterstützen die von Tschiang Kai-schek geführte Zentra
lregierung der Republik China und deren Truppen direkt mit einem Beraterstab, zu dem Dutzende Offiziere, aber auch Verwaltungsexperten, Geologen und andere Fachleute gehören. Den »Japan-Flügel« hingegen bilden Vertreter der »neuen Industrien« – insbesondere des Chemiekonzerns IG Farben und der großen Konzerne der Elektroindustrie –, und diese haben ihren außenpolitischen Exponenten in Hitlers Außenexperten Joachim v. Ribbentrop, der Neurath beim »großen Revirement« vom Februar 1938, bei dem auch Blomberg gehen muß, als Außenminister ablösen wird. Diese Gruppierung ist sich mit Hitler darin einig, daß man nicht zögern sollte mit dem Krieg, sondern sofort losschlagen, um das Überraschungsmoment zu nutzen. Aus dieser Sicht ist Japan der ideale Bündnispartner. Es will wie Deutschland auch die Neuaufteilung der Welt, und es hat mehrfach den Beweis dafür erbracht, was mit Überraschungsschlägen zu erreichen ist. Am 18. September 1931 hat es Nordostchina – die Mandschurei – überfallen,
dort am 16. Februar 1932 den Marionettenstaat »Manzhouguo« gebildet und zugleich von Januar bis März 1932 Shanghai mit schweren Kriegshandlungen attackiert, ohne daß es zu nennenswerten internationalen Protesten gekommen wäre, und es steht dem Völkerbund ebenso feindselig gegenüber wie Deutschland.

Im Februar 1938 wird der Flügelkampf in Deutschland zugunsten der »Blitzkriegs«-Strategen entschieden sein, aber im Frühjahr/Sommer 1937, zur Zeit des Shippe-Artikels, ist er es noch nicht, und wenn Hitler und Ribbentrop auch mit Vehemenz auf das Bündnis mit Japan hinarbeiten, wollen sie die Dinge nach außen hin doch zunächst aus verschiedenen Gründen noch offen halten. Zum ersten laufen die Geschäfte mit China so gut wie nie zuvor, und jeder Monat an stabilen chinesischen Lieferungen – übrigens nicht nur an den oben genannten Metallerzen, die für die Stahlveredlung gebraucht werden, sondern auch an Trockenei und Soja zur Herstellung von dauerhaft haltbaren Lebensmitteln, an Tierhaaren zur Filzproduktion, an Pflanzenölen und Fallschirmseide und etlichem mehr – hilft der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung. Zum zweiten gibt es Zweifel an der Berechenbarkeit der Japaner. Werden sie im Fall des Falles eine zweite Front gegen die Sowjetunion eröffnen? Und zudem auch bereit sein, die Beute, die si
e in China machen, mit Deutschland zu teilen? Und zum dritten liegt Hitler insgesamt noch sehr daran, sich in »Friedens«-Rhetorik zu üben.

## Ein Pakt für die Neuaufteilung der Welt – und gegen China

Da paßt es gar nicht in den Kram, daß in Ostasien einer sitzt, der die Dinge so unverblümt beim Namen nennt. Ein Emigrierter – die Annahme des Diplomaten Behrend ist ja richtig – obendrein! [S. 514]

Es geht in dem Artikel, der in der Botschaft für soviel Aufsehen sorgt, um den »Antikomintern-Pakt«, den Deutschland und Japan am 25. November 1936 unterzeichnet haben – die deutsche Unterschrift hat bezeichnender Weise schon Ribbentrop geleistet und nicht der noch im Amt befindliche Außenminister Neurath! –, und es geht um den Platz dieses Paktes in der Welt.

Es ist ein Pakt – schreibt M. G. Shippe –, mit dem »eine direkte Allianz der beiden gefährlichsten und aggressivsten Mächte, die nach einer Neuaufteilung der Welt streben«, geschmiedet wird, »und die Rolle, die Deutschland dabei spielt, ist die einer lückenlosen Fortsetzung der imperialistischen Vorkriegspolitik in Übersee (gemeint ist die Politik vor 1914 – W. A.), getragen von den gleichen Interessen der deutschen Kriegsindustrie und seiner gewaltigen Elektrik- und Chemiekonzerne. Mit der Bildung ihrer ›antikommunistischen‹ Allianz haben Deutschland und Japan der ganzen Welt zu verstehen gegeben, daß sie beide einen internationalen Krieg vorbereiten. Das ganze Ausmaß dessen wird erst richtig deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie mit der Allianz zwei strategische Einfallstore für die Kräfte des Krieges und der Aggression in die kolonialen Imperien und Sphären des ökonomischen Einflusses Großbritanniens, Frankreichs und der Niederlande geschaffen wurden. Mit seiner Einmischung
in Spanien und in Spanisch-Marokko, die mit ökonomischer Expansion im Nahen Osten und einer Politik der militärischen Beherrschung ganz Zentraleuropas verknüpft ist, sowie mit seiner engen Zusammenarbeit mit Italien verfolgt Deutschland das Ziel, Stützpunkte im Rücken Frankreichs und entlang der Mittelmeerflanke des britischen Empire zu schaffen. Die japanische Politik der territorialen Expansion auf dem asiatischen Kontinent, der Beherrschung Chinas und der Kontrolle des Ostpazifik ist die Politik eines Verbündeten Deutschlands, die in die gleiche Richtung geht.«

»Es ist leicht, sich vorzustellen«, fährt Shippe fort, »was das Schicksal Chinas wäre, wenn es den ›freundlichen‹ Einladungen Japans oder Deutschlands (zur Teilnahme am Antikominternpakt – W. A.) folgen würde, anstatt sich auf entschiedensten nationalen und internationalen Widerstand gegen diese höchst bedrohlichen Angriffe auf Chinas nationale Existenz vorzubereiten. In der gesamten Geschichte ausländischer Aggressionen gegen China hat es nur wenige Schritte gegeben, die so sehr die Existenz der Nation selbst in Frage gestellt haben wie die gegenwärtige Nazi-Nippon-Allianz. Die englisch-japanische Allianz war gewiß zerstörerisch für das Land, weil sie zur Aufteilung Chinas in Interessensphären der verbündeten Mächte führte. Die jetzige Nazi-Nippon-Allianz jedoch kam zustande auf der Grundlage der Anerkennung des japanischen Vorherrschaftsanspruches über den ganzen Fernen Osten, für die Japan als Gegenleistung gewisse Handelsprivilegien in Mandschukuo und im kolonisierten China einger
äumt und versprochen hat, und zusätzlich will Japan künftig auch deutschen Kolonien in Südostasien, die dort auf direkte Kosten Großbritanniens und der Niederlande entstehen sollen, Rückhalt geben. Das japanische Einverständnis mit den deutschen Expansionsplänen in Übersee und die Zusammenarbeit der beiden Mächte bei der Verwirklichung ihrer aggressiven Ziele sind [S. 515] verknüpft mit der deutschen Zustimmung zur Eroberung Chinas durch Japan und der engen Zusammenarbeit zwischen Japan und Deutschland im Fernen Osten. Das ist das wirkliche Ausmaß der Nazi-Nippon-Allianz, das vor der Öffentlichkeit geheimgehalten wird, um China zu täuschen und davon abzulenken, daß bei der Erfüllung der Ziele dieser Allianz China keine andere Existenzmöglichkeit bleiben wird als die einer japanischen Kolonie oder – wie es das japanische Militär ausdrückt – ›in vollendeter Harmonie zwischen Japan, Mandschukuo und China‹«.

Soviel scharfe Analyse und weitreichende Voraussicht läuft dem offiziellen deutschen Kurs diametral entgegen. »Der Inhalt des deutsch-japanischen Abkommens zielt auf eine Zusammenarbeit ab, um uns vor der Kommunistischen Internationale, einer aufwiegelnden Organisation, zu schützen. Auf keinen Fall richtet es sich gegen irgendeinen Staat als solchen. Die chinesisch-deutsche Zusammenarbeit beruht wie stets vollkommen auf dem gegenseitigen Vertrauen und der gegenseitigen Unterstützung«, hat Blomberg bereits am 25. November 1936, dem Tag der Paktunterzeichnung, dem chinesischen Finanzminister Kong Xiangxi versichert. Und Botschafter Trautmann ist zufrieden gewesen, am 1. Dezember 1936 nach Berlin melden zu können, daß in der chinesischen Presse im Ergebnis einer Rede von Tschiang Kai-schek die zuvor massiv geäußerten Befürchtungen, daß es sich entgegen allen deutschen und japanischen Beteuerungen doch um ein »Militärbündnis zwischen Deutschland und Japan« handeln könnte, leiser geworden seien un
d einer »gewisse(n) Entspannung« Platz gemacht hätten.

Er sitzt damit jedoch – ganz anders als der ihn so in Harnisch bringende Shippe – einem Irrtum auf. Zwar hat Tschiang Kai-schek, der scharfe Antikommunist und unverhohlene Hitler-Verehrer, in der Militärakademie tatsächlich eine Erklärung abgegeben, die den deutschen Vorstellungen entspricht. »Durch das Abkommen«, hat er gesagt, werde sich »in den internationalen Beziehungen zwischen Deutschland, Japan und der übrigen Welt nichts ändern«, und es werde auch »keinen fühlbaren Einfluß auf die ostasiatische Lage« geben. Und was den Kommunismus in China betreffe, so bestehe der »jetzt (...) noch verbleibende Rest von kommunistischen Banditen (...) eigentlich nur aus Landesverrätern«, und deren Bekämpfung sei eine »reine innenpolitische Frage«, die man mit Kampf »bis zur endgültigen Ausrottung der Kommunisten« lösen werde.

Aber Tschiang Kai-schek ist zu diesem Zeitpunkt durchaus nicht der uneingeschränkte Meinungsführer, den Trautmann in ihm zu sehen gewohnt ist. Nicht nur diejenigen, die Tschiang »ausrotten« will – die Kommunisten also – sind ganz anderer Auffassung, sondern auch etliche meinungsbildende Zeitungen und sogar einige seiner unmittelbaren Gefolgsleute. Es gärt im Land, und wenige Tage nach seiner Erklärung von Ende November bekommt Tschiang dies am eigenen Leibe zu spüren. Zwei der ihm untergebenen Generäle – Zhang Xueliang und Yang Hucheng – setzen ihn am 12. Dezember 1936 nahe der alten Hauptstadt Xi’an fest, weil sie seinen Kurs der Priorität des antikommunistischen Bürgerkrieges gegenüber dem nationalen Abwehrkampf gegen Japan nicht mehr mittragen wollen, und nachdem Zhou Enlai vom Hauptquartier der Kommunisten in [S. 516] Yan’an zu Verhandlungen nach Xi’an geeilt ist, sieht sich Tschiang Kai-schek gezwungen, am 23. Dezember einer Sechs-Punkte-Vereinbarung zuzustimmen, die auf eine Be
endigung des Bürgerkrieges und die Herstellung einer antijapanischen Kampfgemeinschaft hinausläuft.

Am 22. März 1937 – wenige Tage vor dem Shippe-Artikel – muß Trautmann im Gespräch mit Tschiang Kai-schek angesichts der trotz aller von deutscher Seite unternommenen Abwiegelungen nicht zur Ruhe kommenden chinesischen Presse einräumen, daß er »nie gedacht« habe, »daß das Abkommen einen so großen Einfluß auf die innere chinesische Politik haben würde«. Zugleich versucht er ein weiteres Mal den Eindruck zu erwecken, daß der Pakt eigentlich unbedeutend sei. Er habe, notiert er, Tschiang Kai-schek deutlich gemacht, daß Deutschland sich mit Japan »unter der Bedrohung des Kommunismus« lediglich »auf eine Spezialarbeit einer Art polizeilicher Natur geeinigt« habe, und »die praktische Ausgestaltung dieser Spezialarbeit werde zeigen, daß darin keinerlei Gefahren für irgendwelche Länder enthalten seien.«

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=> https://www.asiaticus.de/texte-asiaticus/detailansicht/news/ueber-asiaticus-adolphi-2007-asiaticus-china-1937 Originaltext von Prof. W. Adolphi mit Fußnoten

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